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[[Datei:Meister der Reichenauer Schule 004.jpg|hochkant=2|mini|Aus dem [[Evangeliar Ottos III. (München)|Evangeliar Ottos III.]] (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4453, fol. 23v–24r): Der Kaiser thronend zwischen zwei Säulen vor einer angedeuteten Palastarchitektur. Neben ihm stehen zwei geistliche und weltliche Standesvertreter. Auf der linken Bildseite nähern sich dem Herrscher barfuß, mit reichen Gaben und in demütiger Haltung die vier Personifikationen des Reiches: ''[[Slawen#Name|Sclavinia]]'', ''[[Germania (Personifikation)|Germania]]'', ''[[Gallien|Gallia]]'' und ''[[Roma (Mythologie)|Roma]]''. (Buchmalerei der [[Kloster Reichenau|Reichenauer Schule]], um 1000)]]
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'''Frühmittelalter''' oder '''frühes Mittelalter''' ist eine moderne Bezeichnung für den ersten der drei großen Abschnitte des [[Mittelalter]]s, bezogen auf [[Europa]] und den [[Mittelmeerraum]] für die Zeit von ca. 500 bis 1050. Dem Frühmittelalter voran geht die [[Spätantike]] (ca. 300 bis 600), die bereits eine [[Transformation (Politikwissenschaft)|Transformationszeit]] darstellt und sich teils mit dem beginnenden Frühmittelalter überschneidet. Die beiden auf das Frühmittelalter folgenden Zeitabschnitte sind das [[Hochmittelalter|Hoch-]] und das [[Spätmittelalter]].
 
'''Frühmittelalter''' oder '''frühes Mittelalter''' ist eine moderne Bezeichnung für den ersten der drei großen Abschnitte des [[Mittelalter]]s, bezogen auf [[Europa]] und den [[Mittelmeerraum]] für die Zeit von ca. 500 bis 1050. Dem Frühmittelalter voran geht die [[Spätantike]] (ca. 300 bis 600), die bereits eine [[Transformation (Politikwissenschaft)|Transformationszeit]] darstellt und sich teils mit dem beginnenden Frühmittelalter überschneidet. Die beiden auf das Frühmittelalter folgenden Zeitabschnitte sind das [[Hochmittelalter|Hoch-]] und das [[Spätmittelalter]].
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Auch nach dem Erlöschen des [[Weströmisches Reich|weströmischen Kaisertums]] im Jahr 476 war das [[Römisches Reich|römische]] Erbe im Mittelalter weiterhin von Bedeutung. [[Latein]] blieb die zentrale Verkehrs- und Gelehrtensprache, römische Ämter existierten noch lange nach dem Ende Westroms in den germanisch-romanischen Nachfolgereichen fort. Viele Zeitgenossen nahmen 476 daher nicht als Einschnitt wahr. Materielle Hinterlassenschaften waren allgegenwärtig und wurden teils ebenfalls weiterhin genutzt. Die in [[Konstantinopel]] residierenden Kaiser des [[Byzantinisches Reich|Ostreichs]] wurden in den meisten Regionen des Westens noch das ganze 6. Jahrhundert hindurch als Oberherr anerkannt (wenngleich meist ohne praktische Konsequenzen). Denn die Idee des römischen Imperiums prägte nachhaltig das gelehrte Denken: Da die Kirchenväter gelehrt hatten, das Römische Reich sei das letzte vor dem Weltende, folgerten viele christliche Autoren hieraus im Umkehrschluss, dass das ''Imperium Romanum'' weiterhin bestehe. Dieses Reich allerdings wandelte sich bereits lange vor 476 in vielerlei Hinsicht, und diese Tendenzen setzten sich nun nach dem Wegfall der kaiserlichen Zentralgewalt fort.
 
Auch nach dem Erlöschen des [[Weströmisches Reich|weströmischen Kaisertums]] im Jahr 476 war das [[Römisches Reich|römische]] Erbe im Mittelalter weiterhin von Bedeutung. [[Latein]] blieb die zentrale Verkehrs- und Gelehrtensprache, römische Ämter existierten noch lange nach dem Ende Westroms in den germanisch-romanischen Nachfolgereichen fort. Viele Zeitgenossen nahmen 476 daher nicht als Einschnitt wahr. Materielle Hinterlassenschaften waren allgegenwärtig und wurden teils ebenfalls weiterhin genutzt. Die in [[Konstantinopel]] residierenden Kaiser des [[Byzantinisches Reich|Ostreichs]] wurden in den meisten Regionen des Westens noch das ganze 6. Jahrhundert hindurch als Oberherr anerkannt (wenngleich meist ohne praktische Konsequenzen). Denn die Idee des römischen Imperiums prägte nachhaltig das gelehrte Denken: Da die Kirchenväter gelehrt hatten, das Römische Reich sei das letzte vor dem Weltende, folgerten viele christliche Autoren hieraus im Umkehrschluss, dass das ''Imperium Romanum'' weiterhin bestehe. Dieses Reich allerdings wandelte sich bereits lange vor 476 in vielerlei Hinsicht, und diese Tendenzen setzten sich nun nach dem Wegfall der kaiserlichen Zentralgewalt fort.
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[[Datei:Roman empire 395.jpg|mini|Das Römische Reich zum Zeitpunkt des Todes Theodosius’ I. im Jahr 395]]
      
Das Römische Reich durchlief in der [[Spätantike]] einen Transformationsprozess, der lange mit [[Dekadenz]] bzw. Verfall gleichgesetzt wurde und erst in der modernen Forschung differenzierter analysiert worden ist.<ref>Zur ersten Orientierung ist auf ''[[The Oxford Dictionary of Late Antiquity]]'' hinzuweisen. Grundlegend ist die Darstellung von [[Arnold Hugh Martin Jones]]: ''The Later Roman Empire 284–602. A Social, Economic and Administrative Survey.'' 3 Bde., Oxford 1964 (Nachdruck in zwei Bänden, Baltimore 1986). Neuere Überblicksdarstellungen: Douglas Boin: ''A Social and Cultural History of Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018; [[Alexander Demandt]]: ''Die Spätantike. [[Handbuch der Altertumswissenschaft]] III.6''. 2. Auflage, München 2007; Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018; Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity''. Oxford u.&nbsp;a. 2012; [[Reinhold Kaiser]]: ''Die Mittelmeerwelt und Europa in Spätantike und Frühmittelalter.'' Frankfurt am Main 2014; A. D. Lee: ''From Rome to Byzantium Ad 363 to 565: The Transformation of Ancient Rome.'' Edinburgh 2013; Stephen Mitchell: ''A History of the Later Roman Empire. AD 284–641.'' 2. Aufl., Oxford u.&nbsp;a. 2015; Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014; Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300-800 n. Chr.'' Wien 2018; Philip Rousseau (Hrsg.): ''A Companion to Late Antiquity.'' Malden (Massachusetts) u.&nbsp;a. 2009; ''[[Cambridge Ancient History]]'', 2. Auflage, Cambridge 1997–2005, Bände 12 bis 14.</ref> An die Reformen Kaiser [[Diokletian]]s anknüpfend organisierte [[Konstantin der Große]] Verwaltung und Heer zu Beginn des 4. Jahrhunderts weitgehend neu. Noch folgenreicher war die von Konstantin betriebene religionspolitische Wende, die oft als [[konstantinische Wende]] bezeichnet wird, vor allem die nach 312 deutliche Privilegierung des [[Christentum]]s. Die auf Konstantin folgenden Kaiser waren mit Ausnahme [[Julian (Kaiser)|Julians]] alle Christen. Diese Entwicklung gipfelte am Ende des 4. Jahrhunderts in der Erhebung des Christentums zur [[Staatsreligion]] durch [[Theodosius I.]] Die [[Heidentum|paganen (heidnischen)]] Kulte konnten sich noch bis ins 6. Jahrhundert halten, verloren aber spätestens nach 400 zunehmend an Bedeutung und wurden nur noch von einer schrumpfenden Minderheit praktiziert.<ref>Aktueller Überblick für die Entwicklung im 4. Jahrhundert bei [[Alan Cameron]]: ''The Last Pagans of Rome.'' Oxford/New York 2011, der die Bedeutung der paganen Kulte bereits für das späte 4. Jahrhundert relativiert.</ref> Im Gegensatz dazu gewann die christliche [[Reichskirche]] immer stärker an Einfluss, wenngleich die verschiedenen innerchristlichen Streitigkeiten (→ [[Erstes Konzil von Nicäa]], [[Arianismus]], [[Nestorianismus]], [[Monophysitismus]]) teilweise erhebliche gesellschaftliche und politische Probleme verursachten. Bereits im 3. Jahrhundert entwickelte sich zuerst im Osten des Reiches das [[Mönchtum]], das im Mittelalter von großer Bedeutung war.
 
Das Römische Reich durchlief in der [[Spätantike]] einen Transformationsprozess, der lange mit [[Dekadenz]] bzw. Verfall gleichgesetzt wurde und erst in der modernen Forschung differenzierter analysiert worden ist.<ref>Zur ersten Orientierung ist auf ''[[The Oxford Dictionary of Late Antiquity]]'' hinzuweisen. Grundlegend ist die Darstellung von [[Arnold Hugh Martin Jones]]: ''The Later Roman Empire 284–602. A Social, Economic and Administrative Survey.'' 3 Bde., Oxford 1964 (Nachdruck in zwei Bänden, Baltimore 1986). Neuere Überblicksdarstellungen: Douglas Boin: ''A Social and Cultural History of Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018; [[Alexander Demandt]]: ''Die Spätantike. [[Handbuch der Altertumswissenschaft]] III.6''. 2. Auflage, München 2007; Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018; Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity''. Oxford u.&nbsp;a. 2012; [[Reinhold Kaiser]]: ''Die Mittelmeerwelt und Europa in Spätantike und Frühmittelalter.'' Frankfurt am Main 2014; A. D. Lee: ''From Rome to Byzantium Ad 363 to 565: The Transformation of Ancient Rome.'' Edinburgh 2013; Stephen Mitchell: ''A History of the Later Roman Empire. AD 284–641.'' 2. Aufl., Oxford u.&nbsp;a. 2015; Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014; Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300-800 n. Chr.'' Wien 2018; Philip Rousseau (Hrsg.): ''A Companion to Late Antiquity.'' Malden (Massachusetts) u.&nbsp;a. 2009; ''[[Cambridge Ancient History]]'', 2. Auflage, Cambridge 1997–2005, Bände 12 bis 14.</ref> An die Reformen Kaiser [[Diokletian]]s anknüpfend organisierte [[Konstantin der Große]] Verwaltung und Heer zu Beginn des 4. Jahrhunderts weitgehend neu. Noch folgenreicher war die von Konstantin betriebene religionspolitische Wende, die oft als [[konstantinische Wende]] bezeichnet wird, vor allem die nach 312 deutliche Privilegierung des [[Christentum]]s. Die auf Konstantin folgenden Kaiser waren mit Ausnahme [[Julian (Kaiser)|Julians]] alle Christen. Diese Entwicklung gipfelte am Ende des 4. Jahrhunderts in der Erhebung des Christentums zur [[Staatsreligion]] durch [[Theodosius I.]] Die [[Heidentum|paganen (heidnischen)]] Kulte konnten sich noch bis ins 6. Jahrhundert halten, verloren aber spätestens nach 400 zunehmend an Bedeutung und wurden nur noch von einer schrumpfenden Minderheit praktiziert.<ref>Aktueller Überblick für die Entwicklung im 4. Jahrhundert bei [[Alan Cameron]]: ''The Last Pagans of Rome.'' Oxford/New York 2011, der die Bedeutung der paganen Kulte bereits für das späte 4. Jahrhundert relativiert.</ref> Im Gegensatz dazu gewann die christliche [[Reichskirche]] immer stärker an Einfluss, wenngleich die verschiedenen innerchristlichen Streitigkeiten (→ [[Erstes Konzil von Nicäa]], [[Arianismus]], [[Nestorianismus]], [[Monophysitismus]]) teilweise erhebliche gesellschaftliche und politische Probleme verursachten. Bereits im 3. Jahrhundert entwickelte sich zuerst im Osten des Reiches das [[Mönchtum]], das im Mittelalter von großer Bedeutung war.
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Die sogenannte Völkerwanderung (ca. 375 bis 568) bildet ein Bindeglied zwischen der Spätantike und dem Beginn des europäischen Frühmittelalters.<ref>Die umfassendste Darstellung auf Grundlage der aktuellen Forschung bietet [[Mischa Meier]]: ''Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert.'' München 2019. Des Weiteren siehe Guy Halsall: ''Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568.'' Cambridge 2007; [[Walter Pohl]]: ''Die Völkerwanderung.'' 2. Auflage, Stuttgart u.&nbsp;a. 2005; [[Peter J. Heather]]: ''Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe.'' London 2009; [[Verena Postel]]: ''Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter.'' Stuttgart 2004; [[Herwig Wolfram]]: ''Das Römerreich und seine Germanen: Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft.'' Wien/Köln/Weimar 2018. Reich illustriert und mit zahlreichen (knappen) Fachbeiträgen ausgestattet ist der Ausstellungskatalog ''Rom und die Barbaren. Europa zur Zeit der Völkerwanderung.'' München 2008.</ref> Die zunehmend schwach verteidigten weströmischen Grenzen wurden nun verstärkt von Plünderern germanischer Stämme aus dem [[Barbaricum]] überschritten, während im Inneren des Reiches Kriegerverbände (sehr oft mit Familien) umherzogen. ''[[Foederaten|Foederati]]'' (aufgrund von Verträgen in römischen Diensten stehende reichsfremde Kriegergruppen mit eigenen Befehlshabern) wurden insbesondere in die internen Kämpfe verwickelt, die in Westrom jahrzehntelang andauerten.<ref>Siehe dazu [[Henning Börm]]: ''Westrom. Von Honorius bis Justinian.'' Stuttgart 2013 (2. Auflage 2018).</ref> Teils im Zusammenspiel und durch Verträge ''(foedera)'' mit den römischen Behörden, teils mit militärischer Gewalt gewannen ihre Anführer die Kontrolle über immer größere Teile des Imperiums, indem sie oft das Machtvakuum füllten, das die fortschreitende Desintegration der kaiserlichen Herrschaft geschaffen hatte. Auf diese Weise trugen sie umgekehrt zu einer Destabilisierung des [[Weströmisches Reich|Weströmischen Reiches]] bei. Der Auflösungsprozess, verbunden mit dem sukzessiven Verlust der Westprovinzen (vor allem ''Africa'' und Gallien), schritt bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts rasch voran und endete im Jahr 476 mit der Absetzung des letzten Kaisers in Italien, während sich Ostrom behaupten konnte.
 
Die sogenannte Völkerwanderung (ca. 375 bis 568) bildet ein Bindeglied zwischen der Spätantike und dem Beginn des europäischen Frühmittelalters.<ref>Die umfassendste Darstellung auf Grundlage der aktuellen Forschung bietet [[Mischa Meier]]: ''Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert.'' München 2019. Des Weiteren siehe Guy Halsall: ''Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568.'' Cambridge 2007; [[Walter Pohl]]: ''Die Völkerwanderung.'' 2. Auflage, Stuttgart u.&nbsp;a. 2005; [[Peter J. Heather]]: ''Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe.'' London 2009; [[Verena Postel]]: ''Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter.'' Stuttgart 2004; [[Herwig Wolfram]]: ''Das Römerreich und seine Germanen: Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft.'' Wien/Köln/Weimar 2018. Reich illustriert und mit zahlreichen (knappen) Fachbeiträgen ausgestattet ist der Ausstellungskatalog ''Rom und die Barbaren. Europa zur Zeit der Völkerwanderung.'' München 2008.</ref> Die zunehmend schwach verteidigten weströmischen Grenzen wurden nun verstärkt von Plünderern germanischer Stämme aus dem [[Barbaricum]] überschritten, während im Inneren des Reiches Kriegerverbände (sehr oft mit Familien) umherzogen. ''[[Foederaten|Foederati]]'' (aufgrund von Verträgen in römischen Diensten stehende reichsfremde Kriegergruppen mit eigenen Befehlshabern) wurden insbesondere in die internen Kämpfe verwickelt, die in Westrom jahrzehntelang andauerten.<ref>Siehe dazu [[Henning Börm]]: ''Westrom. Von Honorius bis Justinian.'' Stuttgart 2013 (2. Auflage 2018).</ref> Teils im Zusammenspiel und durch Verträge ''(foedera)'' mit den römischen Behörden, teils mit militärischer Gewalt gewannen ihre Anführer die Kontrolle über immer größere Teile des Imperiums, indem sie oft das Machtvakuum füllten, das die fortschreitende Desintegration der kaiserlichen Herrschaft geschaffen hatte. Auf diese Weise trugen sie umgekehrt zu einer Destabilisierung des [[Weströmisches Reich|Weströmischen Reiches]] bei. Der Auflösungsprozess, verbunden mit dem sukzessiven Verlust der Westprovinzen (vor allem ''Africa'' und Gallien), schritt bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts rasch voran und endete im Jahr 476 mit der Absetzung des letzten Kaisers in Italien, während sich Ostrom behaupten konnte.
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[[Datei:Butler Migrations of the Barbarians.jpg|mini|Grundzüge der „Völkerwanderung“ nach traditioneller Vorstellung.]]
      
Ihren Anfang nahm diese Entwicklung gemäß traditioneller Ansicht bereits im 4. Jahrhundert: Im Jahr 376 baten [[Goten]] an der Donau auf der Flucht vor den [[Hunnen]] um Aufnahme im Osten des Imperiums. Die Römer warben die Krieger als Söldner an. Bald auftretende Spannungen führten jedoch zu einer Meuterei und 378 zur [[Schlacht von Adrianopel (378)|Schlacht von Adrianopel]], in der der oströmische Kaiser [[Valens]] und ein Großteil seines Heeres fielen. In den folgenden Jahrzehnten agierten diese gotischen Gruppen im Imperium manchmal als ''foederati'' und manchmal als Gegner Roms. Unter ihrem Anführer [[Alarich I.|Alarich]] forderten gotische ''foederati'' vom Westkaiser [[Flavius Honorius]] seit 395 zunehmend verzweifelt Versorgung ''(annona militaris)''; als es zu keiner Einigung kam, [[Plünderung Roms (410)|plünderten sie 410 Rom]], das längst nicht mehr kaiserliche Residenz, aber doch ein wichtiges Symbol des Imperiums war. In den Jahren 416/18 wurden die Krieger schließlich in [[Aquitanien]] angesiedelt. Sie agierten in der folgenden Zeit als römische ''foederati'' und kämpften etwa unter dem mächtigen weströmischen Heermeister [[Flavius Aëtius]] 451 gegen die Hunnen. Der westgotische ''rex'' [[Eurich]] (II.) brach bald nach seinem Regierungsantritt 466 den Vertrag mit dem geschwächten Westreich und betrieb eine expansive Politik in [[Gallien]] und [[Hispanien]]. Aus diesen Eroberungen entstand das neue [[Westgotenreich]], das bis zum Jahr 507 weite Teile Hispaniens und den Südwesten Galliens umfasste.<ref>Vgl. mit weiterer Literatur: Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711.'' Oxford 2004.</ref>
 
Ihren Anfang nahm diese Entwicklung gemäß traditioneller Ansicht bereits im 4. Jahrhundert: Im Jahr 376 baten [[Goten]] an der Donau auf der Flucht vor den [[Hunnen]] um Aufnahme im Osten des Imperiums. Die Römer warben die Krieger als Söldner an. Bald auftretende Spannungen führten jedoch zu einer Meuterei und 378 zur [[Schlacht von Adrianopel (378)|Schlacht von Adrianopel]], in der der oströmische Kaiser [[Valens]] und ein Großteil seines Heeres fielen. In den folgenden Jahrzehnten agierten diese gotischen Gruppen im Imperium manchmal als ''foederati'' und manchmal als Gegner Roms. Unter ihrem Anführer [[Alarich I.|Alarich]] forderten gotische ''foederati'' vom Westkaiser [[Flavius Honorius]] seit 395 zunehmend verzweifelt Versorgung ''(annona militaris)''; als es zu keiner Einigung kam, [[Plünderung Roms (410)|plünderten sie 410 Rom]], das längst nicht mehr kaiserliche Residenz, aber doch ein wichtiges Symbol des Imperiums war. In den Jahren 416/18 wurden die Krieger schließlich in [[Aquitanien]] angesiedelt. Sie agierten in der folgenden Zeit als römische ''foederati'' und kämpften etwa unter dem mächtigen weströmischen Heermeister [[Flavius Aëtius]] 451 gegen die Hunnen. Der westgotische ''rex'' [[Eurich]] (II.) brach bald nach seinem Regierungsantritt 466 den Vertrag mit dem geschwächten Westreich und betrieb eine expansive Politik in [[Gallien]] und [[Hispanien]]. Aus diesen Eroberungen entstand das neue [[Westgotenreich]], das bis zum Jahr 507 weite Teile Hispaniens und den Südwesten Galliens umfasste.<ref>Vgl. mit weiterer Literatur: Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711.'' Oxford 2004.</ref>
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=== Die Mittelmeerwelt im Wandel: Von Justinian bis zum Einbruch des Islam ===
 
=== Die Mittelmeerwelt im Wandel: Von Justinian bis zum Einbruch des Islam ===
[[Datei:Meister von San Vitale in Ravenna 004.jpg|mini|Justinian, Mosaikdetail aus der Kirche San Vitale in Ravenna]]
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Im 6. Jahrhundert wurden die Mittelmeerwelt und der Vordere Orient von zwei rivalisierenden Großmächten dominiert: dem [[Byzantinisches Reich|Oströmischen Reich]] und dem neupersischen [[Sassanidenreich|Sāsānidenreich]], das Ostrom militärisch und kulturell durchaus gewachsen war.<ref>Aktueller Überblick bei Michael Bonner: ''The Last Empire of Iran.'' Piscataway 2020. Zu den wechselseitigen Beziehungen siehe etwa [[Henning Börm]]: ''Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike.'' Stuttgart 2007; Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009; [[Engelbert Winter]], Beate Dignas: ''Rom und das Perserreich. Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz.'' Berlin 2001.</ref> Der (ost-)römische Kaiser [[Justinian I.|Justinian]] (reg. 527–565)<ref>Zu Justinian siehe nun eingehend [[Hartmut Leppin]]: ''Justinian. Das christliche Experiment''. Stuttgart 2011; Michael Maas (Hrsg.): ''The Cambridge Companion to the Age of Justinian''. Cambridge 2005. Vgl. auch Peter Heather: ''Rome Resurgent. War and Empire in the Age of Justinian.'' Oxford 2018.</ref> betonte im Inneren die christlich-sakrale Komponente seines Kaisertums, nach außen strebte er seit den 530er Jahren die Rückgewinnung von Territorien im Westen an. Wenngleich die Zeit Justinians den Charakter einer Übergangszeit hat, orientierte sich der Kaiser politisch weiterhin an der römischen Tradition. Er kümmerte sich intensiv um die Religionspolitik und ging gegen die Reste der paganen Kulte und gegen [[Häresie|häretische]] christliche Gruppen vor. Eine Lösung der teils schwierigen theologischen Probleme (siehe unter [[Monophysitismus]]) und die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich gelang ihm allerdings nicht. Außerdem betrieb er eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe ''[[Corpus iuris civilis]]''). Außenpolitisch ging das Imperium in seiner Regierungszeit im Westen in die Offensive und konnte auf den ersten Blick beeindruckende Erfolge vorweisen. Dank fähiger Befehlshaber wie [[Belisar]] gelang 533/34 die rasche Eroberung des Vandalenreichs in Nordafrika. 535 bis 552 wurde nach harten Kämpfen im [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] das Ostgotenreich in Italien erobert. Sogar in Südspanien fasste Ostrom seit 552 vorläufig wieder Fuß. Damit erstreckte sich das ''Imperium Romanum'' wieder vom Atlantik bis nach [[Mesopotamien]]. Allerdings beanspruchte diese Ausweitung alle Mittel des Reiches, das im Inneren durch Naturkatastrophen und Seuchen (→ [[Justinianische Pest]]) geschwächt wurde. Im Osten musste Justinian zudem gegen die Sāsāniden Rückschläge hinnehmen und konnte erst nach wechselhaften und verlustreichen Kämpfen 562 mit dem bedeutenden Perserkönig [[Chosrau I.]] Frieden schließen. Als Justinian 565 starb, war das Imperium von den langen Kriegen im Westen und im Osten geschwächt, aber zugleich unzweifelhaft die bedeutendste Macht im Mittelmeerraum.
 
Im 6. Jahrhundert wurden die Mittelmeerwelt und der Vordere Orient von zwei rivalisierenden Großmächten dominiert: dem [[Byzantinisches Reich|Oströmischen Reich]] und dem neupersischen [[Sassanidenreich|Sāsānidenreich]], das Ostrom militärisch und kulturell durchaus gewachsen war.<ref>Aktueller Überblick bei Michael Bonner: ''The Last Empire of Iran.'' Piscataway 2020. Zu den wechselseitigen Beziehungen siehe etwa [[Henning Börm]]: ''Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike.'' Stuttgart 2007; Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009; [[Engelbert Winter]], Beate Dignas: ''Rom und das Perserreich. Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz.'' Berlin 2001.</ref> Der (ost-)römische Kaiser [[Justinian I.|Justinian]] (reg. 527–565)<ref>Zu Justinian siehe nun eingehend [[Hartmut Leppin]]: ''Justinian. Das christliche Experiment''. Stuttgart 2011; Michael Maas (Hrsg.): ''The Cambridge Companion to the Age of Justinian''. Cambridge 2005. Vgl. auch Peter Heather: ''Rome Resurgent. War and Empire in the Age of Justinian.'' Oxford 2018.</ref> betonte im Inneren die christlich-sakrale Komponente seines Kaisertums, nach außen strebte er seit den 530er Jahren die Rückgewinnung von Territorien im Westen an. Wenngleich die Zeit Justinians den Charakter einer Übergangszeit hat, orientierte sich der Kaiser politisch weiterhin an der römischen Tradition. Er kümmerte sich intensiv um die Religionspolitik und ging gegen die Reste der paganen Kulte und gegen [[Häresie|häretische]] christliche Gruppen vor. Eine Lösung der teils schwierigen theologischen Probleme (siehe unter [[Monophysitismus]]) und die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich gelang ihm allerdings nicht. Außerdem betrieb er eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe ''[[Corpus iuris civilis]]''). Außenpolitisch ging das Imperium in seiner Regierungszeit im Westen in die Offensive und konnte auf den ersten Blick beeindruckende Erfolge vorweisen. Dank fähiger Befehlshaber wie [[Belisar]] gelang 533/34 die rasche Eroberung des Vandalenreichs in Nordafrika. 535 bis 552 wurde nach harten Kämpfen im [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] das Ostgotenreich in Italien erobert. Sogar in Südspanien fasste Ostrom seit 552 vorläufig wieder Fuß. Damit erstreckte sich das ''Imperium Romanum'' wieder vom Atlantik bis nach [[Mesopotamien]]. Allerdings beanspruchte diese Ausweitung alle Mittel des Reiches, das im Inneren durch Naturkatastrophen und Seuchen (→ [[Justinianische Pest]]) geschwächt wurde. Im Osten musste Justinian zudem gegen die Sāsāniden Rückschläge hinnehmen und konnte erst nach wechselhaften und verlustreichen Kämpfen 562 mit dem bedeutenden Perserkönig [[Chosrau I.]] Frieden schließen. Als Justinian 565 starb, war das Imperium von den langen Kriegen im Westen und im Osten geschwächt, aber zugleich unzweifelhaft die bedeutendste Macht im Mittelmeerraum.
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[[Datei:Justinian Byzanz.png|220px|mini|Das Sāsānidenreich und die spätantike Mittelmeerwelt etwa zur Zeit Justinians; die Grenzen der Randgebiete waren allerdings fließend.]]
   
Nachdem es in der Regierungszeit [[Justin II.|Justins II.]] 572 wieder zum [[Römisch-Persische Kriege|Krieg mit Persien]] gekommen war, wobei keiner Seite ein entscheidender Erfolg gelang,<ref>[[Geoffrey B. Greatrex]], Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook''. London/New York 2002, S. 142 ff.</ref> konnte Kaiser [[Maurikios]] (reg. 582–602) von einem Konflikt um die persische Thronfolge profitieren und mit König [[Chosrau II.]] 591 Frieden schließen. Die Ermordung des Kaisers im Jahr 602 nahm Chosrau II. aber zum Vorwand, um in römisches Gebiet einzufallen. Von 603 bis 628 tobte daher der „letzte große Krieg der Antike“.<ref>Geoffrey B. Greatrex, Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook''. London/New York 2002, S. 182 ff. Vgl. dazu auch [[James Howard-Johnston]]: ''Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century''. Oxford 2010; Peter Sarris: ''Empires of Faith''. Oxford 2011, S. 242 ff.</ref> Persische Truppen eroberten bis 619 Syrien und Ägypten, die Kornkammer des Reiches, und belagerten 626 zusammen mit den [[Awaren]] (die Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Reich errichtet hatten) sogar [[Konstantinopel]]. Das Reich befand sich in einer äußerst schwierigen Situation, eine vollständige Vernichtung schien nicht ausgeschlossen. Der Gegenschlag des [[Herakleios]] (reg. 610–641) in den Jahren 622 bis 628 rettete aber das Reich und zwang die Perser schließlich zum Rückzug.<ref>Zu Herakleios siehe Walter E. Kaegi: ''Heraclius – Emperor of Byzantium''. Cambridge 2003; Gerrit Jan Reinink, Bernard H. Stolte (Hrsg.): ''The Reign of Heraclius (610–641). Crisis and Confrontation''. Leuven 2002.</ref> 628 bat Persien angesichts innerer Wirren um Frieden, und Herakleios, der als einer der bedeutendsten Kaiser der oströmisch-byzantinischen Geschichte gilt, stand auf dem Höhepunkt seines Ansehens; sogar aus dem Frankenreich erreichten ihn Glückwünsche zu seinem großen Sieg. Doch das Imperium war von den schweren Kampfhandlungen über die vergangenen Jahrzehnte extrem geschwächt, in den Quellen kommt das Ausmaß der Vernichtung deutlich zum Ausdruck. Im Inneren schloss Herakleios die [[Gräzisierung]] des Staates ab, doch es gelang ihm weder die religiösen Streitigkeiten zu beenden (→ [[Monotheletismus]]) noch das Reich wieder zu konsolidieren.
 
Nachdem es in der Regierungszeit [[Justin II.|Justins II.]] 572 wieder zum [[Römisch-Persische Kriege|Krieg mit Persien]] gekommen war, wobei keiner Seite ein entscheidender Erfolg gelang,<ref>[[Geoffrey B. Greatrex]], Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook''. London/New York 2002, S. 142 ff.</ref> konnte Kaiser [[Maurikios]] (reg. 582–602) von einem Konflikt um die persische Thronfolge profitieren und mit König [[Chosrau II.]] 591 Frieden schließen. Die Ermordung des Kaisers im Jahr 602 nahm Chosrau II. aber zum Vorwand, um in römisches Gebiet einzufallen. Von 603 bis 628 tobte daher der „letzte große Krieg der Antike“.<ref>Geoffrey B. Greatrex, Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook''. London/New York 2002, S. 182 ff. Vgl. dazu auch [[James Howard-Johnston]]: ''Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century''. Oxford 2010; Peter Sarris: ''Empires of Faith''. Oxford 2011, S. 242 ff.</ref> Persische Truppen eroberten bis 619 Syrien und Ägypten, die Kornkammer des Reiches, und belagerten 626 zusammen mit den [[Awaren]] (die Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Reich errichtet hatten) sogar [[Konstantinopel]]. Das Reich befand sich in einer äußerst schwierigen Situation, eine vollständige Vernichtung schien nicht ausgeschlossen. Der Gegenschlag des [[Herakleios]] (reg. 610–641) in den Jahren 622 bis 628 rettete aber das Reich und zwang die Perser schließlich zum Rückzug.<ref>Zu Herakleios siehe Walter E. Kaegi: ''Heraclius – Emperor of Byzantium''. Cambridge 2003; Gerrit Jan Reinink, Bernard H. Stolte (Hrsg.): ''The Reign of Heraclius (610–641). Crisis and Confrontation''. Leuven 2002.</ref> 628 bat Persien angesichts innerer Wirren um Frieden, und Herakleios, der als einer der bedeutendsten Kaiser der oströmisch-byzantinischen Geschichte gilt, stand auf dem Höhepunkt seines Ansehens; sogar aus dem Frankenreich erreichten ihn Glückwünsche zu seinem großen Sieg. Doch das Imperium war von den schweren Kampfhandlungen über die vergangenen Jahrzehnte extrem geschwächt, in den Quellen kommt das Ausmaß der Vernichtung deutlich zum Ausdruck. Im Inneren schloss Herakleios die [[Gräzisierung]] des Staates ab, doch es gelang ihm weder die religiösen Streitigkeiten zu beenden (→ [[Monotheletismus]]) noch das Reich wieder zu konsolidieren.
    
Als in den 630er Jahren die [[islamische Expansion]] begann, waren Ostrom und Persien nach den langen Kriegen nicht mehr in der Lage, effektiv Widerstand zu leisten, was ein wichtiger Grund für die schnellen arabischen Erfolge war. Die Wüstengrenze war für Ostrom und Persien ohnehin kaum zu kontrollieren (man hatte hier in Gestalt der [[Lachmiden]] und [[Ghassaniden]] vielmehr auf arabische Verbündete gesetzt) und größere Truppenverbände waren dort nach dem Perserkrieg nicht stationiert; hinzu kam die Mobilität der muslimischen Araber. Das von Bürgerkriegen zusätzlich geschwächte Sāsānidenreich erlitt zwei schwere Niederlagen gegen die Araber (638 in der [[Schlacht von Kadesia]]<ref>Die Datierung 638 erscheint sinnvoller als die ältere (636 bzw. 637); vgl. James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010, S. 116 f.</ref> und 642 in der [[Schlacht bei Nehawend]]). Zwar leisteten die Perser Widerstand und konnten zu Beginn eine große Schlacht gewinnen sowie einige erfolgreiche kleinere Gegenoffensiven führen, doch schließlich brach ihr Reich 651 zusammen; die Söhne des letzten persischen Großkönigs [[Yazdegerd III.]] flohen an den chinesischen Kaiserhof der [[Tang-Dynastie]]. Persien konnte seine kulturelle Identität unter der islamischen Herrschaft aber weitgehend bewahren und wurde relativ langsam islamisiert, ähnlich wie die christlichen Gebiete in Ägypten und Syrien. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts eroberten die Araber [[Sogdien]] (siehe auch [[Ghurak]] und [[Dēwāštič]]) und stießen weiter nach [[Zentralasien]] vor.
 
Als in den 630er Jahren die [[islamische Expansion]] begann, waren Ostrom und Persien nach den langen Kriegen nicht mehr in der Lage, effektiv Widerstand zu leisten, was ein wichtiger Grund für die schnellen arabischen Erfolge war. Die Wüstengrenze war für Ostrom und Persien ohnehin kaum zu kontrollieren (man hatte hier in Gestalt der [[Lachmiden]] und [[Ghassaniden]] vielmehr auf arabische Verbündete gesetzt) und größere Truppenverbände waren dort nach dem Perserkrieg nicht stationiert; hinzu kam die Mobilität der muslimischen Araber. Das von Bürgerkriegen zusätzlich geschwächte Sāsānidenreich erlitt zwei schwere Niederlagen gegen die Araber (638 in der [[Schlacht von Kadesia]]<ref>Die Datierung 638 erscheint sinnvoller als die ältere (636 bzw. 637); vgl. James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010, S. 116 f.</ref> und 642 in der [[Schlacht bei Nehawend]]). Zwar leisteten die Perser Widerstand und konnten zu Beginn eine große Schlacht gewinnen sowie einige erfolgreiche kleinere Gegenoffensiven führen, doch schließlich brach ihr Reich 651 zusammen; die Söhne des letzten persischen Großkönigs [[Yazdegerd III.]] flohen an den chinesischen Kaiserhof der [[Tang-Dynastie]]. Persien konnte seine kulturelle Identität unter der islamischen Herrschaft aber weitgehend bewahren und wurde relativ langsam islamisiert, ähnlich wie die christlichen Gebiete in Ägypten und Syrien. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts eroberten die Araber [[Sogdien]] (siehe auch [[Ghurak]] und [[Dēwāštič]]) und stießen weiter nach [[Zentralasien]] vor.
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[[Datei:Conquête de l'Islam à la chute des Omeyyades de.svg|mini|hochkant=1.5|Die islamische Expansion (eingezeichnet sind die heutigen Staatsgrenzen)]]
   
Im Westen unterlagen oströmische Truppen 636 in der [[Schlacht am Jarmuk]] den Arabern und mussten Syrien vollständig räumen, nachdem [[Damaskus]] 635 [[Eroberung von Damaskus (635)|kapituliert]] hatte. Syrien diente von nun an als Ausgangsbasis für arabische Angriffe auf [[Kleinasien]], das die Oströmer jedoch halten konnten und das nun zum Kernland des Imperiums wurde. [[Jerusalem]] ergab sich 638. Am schmerzhaftesten war der Verlust Ägyptens 640/42 (aufgrund dessen Wirtschaftskraft, des Steueraufkommens und des Getreides). Bald darauf nahmen die Araber Armenien, [[Zypern]] (649) und [[Rhodos]] (654) ein. Sie stießen die nordafrikanische Küste entlang nach Westen vor und besetzten um 670 das heutige Tunesien, [[Karthago]] konnte noch bis 698 gehalten werden. 711–725 folgte die Eroberung des Westgotenreichs in [[Hispanien]] und Südwestgallien. Vorstöße ins Frankenreich blieben aber erfolglos.<ref>Allgemein siehe mit weiterer Literatur Hugh Kennedy: ''The Great Arab Conquests''. Philadelphia 2007. Vgl. auch James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010.</ref> 655 erlitt die oströmische Flotte unter [[Konstans II.]] in der [[Schlacht von Phoinix]] eine schwere Niederlage gegen die Araber, die nun als Seemacht auftraten und damit den Handel und die maritime Vorherrschaft Ostroms bedrohten.<ref>[[Ekkehard Eickhoff]]: ''Seekrieg und Seepolitik zwischen Islam und Abendland.'' Berlin 1966.</ref> Den Oströmern/Byzantinern gelangen allerdings auch einige wichtige Erfolge: Bei der Verteidigung von [[Belagerung von Konstantinopel (674–678)|Konstantinopel 674 bis 678]] vernichteten sie die arabische Flotte; ob es in diesem Zusammenhang zu einer regelrechten Belagerung kam, ist in der neueren Forschung allerdings umstritten.<ref>Marek Jankowiak: ''The first Arab siege of Constantinople.'' In: ''Travaux et Mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance.'' Bd. 17. Paris 2013, S. 237–320.</ref> 677/678 konnten die Oströmer trotz beschränkter Ressourcen zu einer Offensive übergehen und vorübergehend sogar Truppen in Syrien landen.<ref>James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010, S. 226 f.</ref>
 
Im Westen unterlagen oströmische Truppen 636 in der [[Schlacht am Jarmuk]] den Arabern und mussten Syrien vollständig räumen, nachdem [[Damaskus]] 635 [[Eroberung von Damaskus (635)|kapituliert]] hatte. Syrien diente von nun an als Ausgangsbasis für arabische Angriffe auf [[Kleinasien]], das die Oströmer jedoch halten konnten und das nun zum Kernland des Imperiums wurde. [[Jerusalem]] ergab sich 638. Am schmerzhaftesten war der Verlust Ägyptens 640/42 (aufgrund dessen Wirtschaftskraft, des Steueraufkommens und des Getreides). Bald darauf nahmen die Araber Armenien, [[Zypern]] (649) und [[Rhodos]] (654) ein. Sie stießen die nordafrikanische Küste entlang nach Westen vor und besetzten um 670 das heutige Tunesien, [[Karthago]] konnte noch bis 698 gehalten werden. 711–725 folgte die Eroberung des Westgotenreichs in [[Hispanien]] und Südwestgallien. Vorstöße ins Frankenreich blieben aber erfolglos.<ref>Allgemein siehe mit weiterer Literatur Hugh Kennedy: ''The Great Arab Conquests''. Philadelphia 2007. Vgl. auch James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010.</ref> 655 erlitt die oströmische Flotte unter [[Konstans II.]] in der [[Schlacht von Phoinix]] eine schwere Niederlage gegen die Araber, die nun als Seemacht auftraten und damit den Handel und die maritime Vorherrschaft Ostroms bedrohten.<ref>[[Ekkehard Eickhoff]]: ''Seekrieg und Seepolitik zwischen Islam und Abendland.'' Berlin 1966.</ref> Den Oströmern/Byzantinern gelangen allerdings auch einige wichtige Erfolge: Bei der Verteidigung von [[Belagerung von Konstantinopel (674–678)|Konstantinopel 674 bis 678]] vernichteten sie die arabische Flotte; ob es in diesem Zusammenhang zu einer regelrechten Belagerung kam, ist in der neueren Forschung allerdings umstritten.<ref>Marek Jankowiak: ''The first Arab siege of Constantinople.'' In: ''Travaux et Mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance.'' Bd. 17. Paris 2013, S. 237–320.</ref> 677/678 konnten die Oströmer trotz beschränkter Ressourcen zu einer Offensive übergehen und vorübergehend sogar Truppen in Syrien landen.<ref>James Howard-Johnston: ''Witnesses to a World Crisis''. Oxford 2010, S. 226 f.</ref>
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=== Das Frankenreich der Merowinger ===
 
=== Das Frankenreich der Merowinger ===
[[Datei:CHILDERICI REGIS.jpg|mini|Siegelring mit dem Bildnis Childerichs I.]]
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Das im späten 5. Jahrhundert entstandene [[Fränkisches Reich|Frankenreich]] sollte sich zum bedeutendsten der germanisch-romanischen Nachfolgereiche im Westen entwickeln.<ref>Allgemeiner Überblick bis zu den frühen Karolingern bei Friedrich Prinz: ''Europäische Grundlagen deutscher Geschichte (4.–8. Jahrhundert).''  Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 1. 10. völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart 2004, S. 147–616, hier: S. 286 ff. Zur fränkischen Frühgeschichte siehe Ulrich Nonn: ''Die Franken''. Stuttgart 2010 sowie [[Erich Zöllner]]: ''Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts''. München 1970. Siehe auch die diversen Beiträge in Alfried Wieczorek, Patrick Périn, Karin von Welck, Wilfried Menghin (Hrsg.): ''Die Franken. Wegbereiter Europas. 5. bis 8. Jahrhundert.'' 2 Bände. Mainz 1996 (1997).</ref> Der Aufstieg der Franken von einer Regionalmacht im Nordosten Galliens zu einem Großreich begann unter der Führung von Königen aus dem Geschlecht der [[Merowinger]].<ref>Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994; [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015. Siehe auch die Beiträge in [[Stefan Esders (Historiker)|Stefan Esders]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources.'' London u.&nbsp;a. 2019; Stefan Esders u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective.'' Cambridge 2019.</ref> Der in [[Tournai]] residierende [[Salfranken|salfränkische]] König ''(rex)'' [[Childerich I.]] etablierte einen eigenen Machtbereich in Nordgallien, wobei er auf die weiterhin arbeitenden lokalen Waffenschmieden ''(fabricae)'' zurückgreifen konnte. Es wird oft angenommen, dass er mit dem [[Gallorömische Kultur|gallorömischen]] Feldherrn [[Aegidius (Feldherr)|Aegidius]] kooperierte, der sich 461 gegen die weströmische Regierung erhob, doch sind die Details unklar. Aegidius, der nun faktisch als [[Warlord#Spätantike|Warlord]] agierte, errichtete in Nordgallien einen unabhängigen [[Reich von Soissons|Herrschaftsbereich]]; nach seinem Tod folgte ihm nach kurzer Zeit sein Sohn [[Syagrius]] nach. Childerichs Sohn [[Chlodwig I.|Chlodwig]] vernichtete die anderen fränkischen Kleinreiche (unter anderem [[Ragnachar]]s und [[Chararich]]s) und wurde damit zum Gründer des Frankenreichs.<ref>Guter aktueller Überblick bei [[Matthias Becher]]: ''Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt''. München 2011; [[Mischa Meier]], [[Steffen Patzold]] (Hrsg.): ''Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500.'' Stuttgart 2014.</ref>
 
Das im späten 5. Jahrhundert entstandene [[Fränkisches Reich|Frankenreich]] sollte sich zum bedeutendsten der germanisch-romanischen Nachfolgereiche im Westen entwickeln.<ref>Allgemeiner Überblick bis zu den frühen Karolingern bei Friedrich Prinz: ''Europäische Grundlagen deutscher Geschichte (4.–8. Jahrhundert).''  Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 1. 10. völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart 2004, S. 147–616, hier: S. 286 ff. Zur fränkischen Frühgeschichte siehe Ulrich Nonn: ''Die Franken''. Stuttgart 2010 sowie [[Erich Zöllner]]: ''Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts''. München 1970. Siehe auch die diversen Beiträge in Alfried Wieczorek, Patrick Périn, Karin von Welck, Wilfried Menghin (Hrsg.): ''Die Franken. Wegbereiter Europas. 5. bis 8. Jahrhundert.'' 2 Bände. Mainz 1996 (1997).</ref> Der Aufstieg der Franken von einer Regionalmacht im Nordosten Galliens zu einem Großreich begann unter der Führung von Königen aus dem Geschlecht der [[Merowinger]].<ref>Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994; [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015. Siehe auch die Beiträge in [[Stefan Esders (Historiker)|Stefan Esders]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources.'' London u.&nbsp;a. 2019; Stefan Esders u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective.'' Cambridge 2019.</ref> Der in [[Tournai]] residierende [[Salfranken|salfränkische]] König ''(rex)'' [[Childerich I.]] etablierte einen eigenen Machtbereich in Nordgallien, wobei er auf die weiterhin arbeitenden lokalen Waffenschmieden ''(fabricae)'' zurückgreifen konnte. Es wird oft angenommen, dass er mit dem [[Gallorömische Kultur|gallorömischen]] Feldherrn [[Aegidius (Feldherr)|Aegidius]] kooperierte, der sich 461 gegen die weströmische Regierung erhob, doch sind die Details unklar. Aegidius, der nun faktisch als [[Warlord#Spätantike|Warlord]] agierte, errichtete in Nordgallien einen unabhängigen [[Reich von Soissons|Herrschaftsbereich]]; nach seinem Tod folgte ihm nach kurzer Zeit sein Sohn [[Syagrius]] nach. Childerichs Sohn [[Chlodwig I.|Chlodwig]] vernichtete die anderen fränkischen Kleinreiche (unter anderem [[Ragnachar]]s und [[Chararich]]s) und wurde damit zum Gründer des Frankenreichs.<ref>Guter aktueller Überblick bei [[Matthias Becher]]: ''Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt''. München 2011; [[Mischa Meier]], [[Steffen Patzold]] (Hrsg.): ''Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500.'' Stuttgart 2014.</ref>
    
486/487 eroberte Chlodwig das Reich des Syagrius. 507 wurden die Westgoten in der [[Schlacht von Vouillé]] besiegt und faktisch aus Gallien verdrängt. Gegen die [[Alamannen]] ging Chlodwig ebenfalls vor, während es mit den Burgunden zu einer vorläufigen Annäherung kam. Der ursprünglich pagane Chlodwig trat zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt (wahrscheinlich eher gegen Ende seiner Herrschaft) zum Christentum über. Entscheidend war, dass er sich für das katholische Bekenntnis entschied und somit Probleme vermied, die sich bisweilen in den anderen germanisch-romanischen Reichen zwischen den Eroberern und der römischen Bevölkerung ergaben. Das geschickte und gleichzeitig skrupellose Vorgehen Chlodwigs sicherte den Franken eine beherrschende Stellung in Gallien.
 
486/487 eroberte Chlodwig das Reich des Syagrius. 507 wurden die Westgoten in der [[Schlacht von Vouillé]] besiegt und faktisch aus Gallien verdrängt. Gegen die [[Alamannen]] ging Chlodwig ebenfalls vor, während es mit den Burgunden zu einer vorläufigen Annäherung kam. Der ursprünglich pagane Chlodwig trat zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt (wahrscheinlich eher gegen Ende seiner Herrschaft) zum Christentum über. Entscheidend war, dass er sich für das katholische Bekenntnis entschied und somit Probleme vermied, die sich bisweilen in den anderen germanisch-romanischen Reichen zwischen den Eroberern und der römischen Bevölkerung ergaben. Das geschickte und gleichzeitig skrupellose Vorgehen Chlodwigs sicherte den Franken eine beherrschende Stellung in Gallien.
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[[Datei:Münze Gold Solidus Theudebert I um 534.jpg|mini|Gold-[[Solidus]] König Theudeberts nach oströmischem Vorbild]]
      
Das Frankenreich wurde nach dem Tod Chlodwigs im Jahr 511 unter seinen vier Söhnen [[Theuderich I.|Theuderich]], [[Chlodomer]], [[Childebert I.|Childebert]] und [[Chlothar I.|Chlotar]] aufgeteilt, wobei jeder einen Anteil an dem fränkischen Stammland in Nordgallien und den eroberten Gebieten im Süden erhielt.<ref>Zum Folgenden siehe Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006, S. 31ff.; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994, S. 88ff.; Sebastian Scholz: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015, S. 35ff.</ref> Die verbreitete Praxis unter den Franken, den Herrschaftsbesitz nach dem Tod eines Königs unter den Söhnen zu teilen, sorgte für eine Zersplitterung der königlichen Zentralgewalt. Thronstreitigkeiten waren nicht selten, zumal die meisten Merowinger kein hohes Alter erreichten und oft Kinder von mehreren Frauen hatten, was die Nachfolgeregelung erschwerte. Für Verwaltungsaufgaben hatte bereits Chlodwig die gallorömische Oberschicht und hierbei speziell die Bischöfe (wie [[Gregor von Tours]], dessen Geschichtswerk die wichtigste Quelle zur fränkischen Geschichte des 6. Jahrhunderts ist) herangezogen.<ref>Vgl. dazu auch [[Karl Friedrich Stroheker]]: ''Der senatorische Adel im spätantiken Gallien.'' Tübingen 1948 (ND Darmstadt 1970).</ref> Er hatte außerdem das System der vor allem in Südgallien verbreiteten römischen ''[[civitates]]'' genutzt, wo der [[Gallorömischer Senatsadel|gallorömisch-senatorische Adel]] (deren Vorfahren einst römische Staatsämter bekleidet hatten und nun als lokale und vor allem kirchliche Würdenträger fungierten) noch längere Zeit nachweisbar ist. Die Verwaltung orientierte sich zunächst noch weitgehend an spätrömischen Institutionen, bevor diese verschwanden und zunehmend Grafen ''(comites)'' und Herzöge ''(duces)'' an Einfluss gewannen.
 
Das Frankenreich wurde nach dem Tod Chlodwigs im Jahr 511 unter seinen vier Söhnen [[Theuderich I.|Theuderich]], [[Chlodomer]], [[Childebert I.|Childebert]] und [[Chlothar I.|Chlotar]] aufgeteilt, wobei jeder einen Anteil an dem fränkischen Stammland in Nordgallien und den eroberten Gebieten im Süden erhielt.<ref>Zum Folgenden siehe Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006, S. 31ff.; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994, S. 88ff.; Sebastian Scholz: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015, S. 35ff.</ref> Die verbreitete Praxis unter den Franken, den Herrschaftsbesitz nach dem Tod eines Königs unter den Söhnen zu teilen, sorgte für eine Zersplitterung der königlichen Zentralgewalt. Thronstreitigkeiten waren nicht selten, zumal die meisten Merowinger kein hohes Alter erreichten und oft Kinder von mehreren Frauen hatten, was die Nachfolgeregelung erschwerte. Für Verwaltungsaufgaben hatte bereits Chlodwig die gallorömische Oberschicht und hierbei speziell die Bischöfe (wie [[Gregor von Tours]], dessen Geschichtswerk die wichtigste Quelle zur fränkischen Geschichte des 6. Jahrhunderts ist) herangezogen.<ref>Vgl. dazu auch [[Karl Friedrich Stroheker]]: ''Der senatorische Adel im spätantiken Gallien.'' Tübingen 1948 (ND Darmstadt 1970).</ref> Er hatte außerdem das System der vor allem in Südgallien verbreiteten römischen ''[[civitates]]'' genutzt, wo der [[Gallorömischer Senatsadel|gallorömisch-senatorische Adel]] (deren Vorfahren einst römische Staatsämter bekleidet hatten und nun als lokale und vor allem kirchliche Würdenträger fungierten) noch längere Zeit nachweisbar ist. Die Verwaltung orientierte sich zunächst noch weitgehend an spätrömischen Institutionen, bevor diese verschwanden und zunehmend Grafen ''(comites)'' und Herzöge ''(duces)'' an Einfluss gewannen.
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Die frühen karolingischen Könige erwiesen sich als fähige Herrscher.<ref>Für die Zeit ab Pippin dem Jüngeren siehe [[Pierre Riché]]: ''Die Karolinger. Eine Familie formt Europa.'' Stuttgart 1987, S. 87 ff.; Rudolf Schieffer: ''Die Karolinger''. 4. Auflage, Stuttgart 2006, S. 50 ff. Allgemein siehe auch Jörg W. Busch: ''Die Herrschaften der Karolinger 714–911.'' München 2011; Rudolf Schieffer: ''Die Zeit des karolingischen Großreichs (714–887).'' Stuttgart 2005.</ref> Pippin intervenierte in Italien, wo er gegen die Langobarden vorging, führte Feldzüge in [[Aquitanien]] und sicherte die Pyrenäengrenze. Er genoss bei seinem Tod im Jahr 768 weit über die Grenzen des Frankenreichs hinaus Ansehen. Das Reich wurde unter seinen beiden Söhnen [[Karlmann I.|Karlmann]] und Karl aufgeteilt. Zwischen den Brüdern bestanden offenbar starke Spannungen; nach dem unerwarteten Tod Karlmanns Ende 771 ignorierte Karl die Erbansprüche der Söhne Karlmanns (die später vermutlich auf Karls Befehl beseitigt wurden) und besetzte dessen Reichsteil.
 
Die frühen karolingischen Könige erwiesen sich als fähige Herrscher.<ref>Für die Zeit ab Pippin dem Jüngeren siehe [[Pierre Riché]]: ''Die Karolinger. Eine Familie formt Europa.'' Stuttgart 1987, S. 87 ff.; Rudolf Schieffer: ''Die Karolinger''. 4. Auflage, Stuttgart 2006, S. 50 ff. Allgemein siehe auch Jörg W. Busch: ''Die Herrschaften der Karolinger 714–911.'' München 2011; Rudolf Schieffer: ''Die Zeit des karolingischen Großreichs (714–887).'' Stuttgart 2005.</ref> Pippin intervenierte in Italien, wo er gegen die Langobarden vorging, führte Feldzüge in [[Aquitanien]] und sicherte die Pyrenäengrenze. Er genoss bei seinem Tod im Jahr 768 weit über die Grenzen des Frankenreichs hinaus Ansehen. Das Reich wurde unter seinen beiden Söhnen [[Karlmann I.|Karlmann]] und Karl aufgeteilt. Zwischen den Brüdern bestanden offenbar starke Spannungen; nach dem unerwarteten Tod Karlmanns Ende 771 ignorierte Karl die Erbansprüche der Söhne Karlmanns (die später vermutlich auf Karls Befehl beseitigt wurden) und besetzte dessen Reichsteil.
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[[Datei:Charlemagne denier Mayence 812 814.jpg|mini|Fränkischer [[Denarius|Denar]] mit dem Profilbild Karls des Großen]]
      
[[Karl der Große|Karl]], später ''Carolus Magnus'' („Karl der Große“) genannt, gilt als der bedeutendste Karolinger und als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Herrscher (reg. 768–814).<ref>Siehe einführend Johannes Fried: ''Karl der Grosse.'' München 2013; [[Dieter Hägermann]]: ''Karl der Große. Herrscher des Abendlandes''. Berlin 2000; [[Wilfried Hartmann (Historiker)|Wilfried Hartmann]]: ''Karl der Große''. Stuttgart 2010; [[Rosamond McKitterick]]: ''Charlemagne. The Formation of a European Identity''. Cambridge 2008 (dt. ''Karl der Große'', Darmstadt 2008); [[Stefan Weinfurter]]: ''Karl der Große. Der heilige Barbar.'' München 2013.</ref> Nach Sicherung der Herrschaft im Inneren begann Karl ab dem Sommer 772 Feldzüge gegen die [[Sachsen (Volk)|Sachsen]]. Die daraus resultierenden [[Sachsenkriege (Karl der Große)|Sachsenkriege]] dauerten mit Unterbrechungen bis 804 und wurden mit äußerster Brutalität geführt. Ziel war nicht nur die Eroberung des Landes, sondern auch die gewaltsame Christianisierung der bis dahin paganen Sachsen. Militärisch spielte die fränkische [[Panzerreiter]]ei eine wichtige Rolle. Zeitgleich dazu [[Langobardenfeldzug|intervenierte]] Karl auf päpstlichen Wunsch hin 774 in Italien und eroberte das Langobardenreich, das er mit dem Frankenreich vereinigte. Weniger erfolgreich verlief der Spanienfeldzug im Jahr 778 gegen die [[Mauren]], wenngleich später zumindest die [[Spanische Mark]] errichtet werden konnte. Karls diplomatische Kontakte reichten bis zum Kalifen [[Hārūn ar-Raschīd]]. Im Osten seines Reiches beendete er 788 die Selbstständigkeit des Stammesherzogtums [[Bayern]]. Es kam außerdem zu Kämpfen mit den [[Dänen]] und mehreren [[Slawen]]stämmen sowie zum letzten Endes erfolgreichen Reichskrieg gegen die [[Awaren]] (791–796). Karl hatte in jahrzehntelangen Kämpfen die Grenzen des Reiches erheblich erweitert und das Frankenreich als neue Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat etabliert. Das Karolingerreich umschloss nun weite Teile der lateinischen Christenheit und war das bedeutendste staatliche Gebilde im Westen seit dem Fall Westroms. Karl machte [[Aachen]] zu seiner Hauptresidenz. Zur effizienteren Organisation der Herrschaftsordnung nutzte er ''comites'' (sogenannte „Grafschaftsverfassung“) und die von ihm geförderte Kirche. Die sogenannte [[karolingische Renaissance]] (die besser als „karolingische Bildungsreform“ bezeichnet werden sollte) sorgte für eine kulturelle Neubelebung des christlichen Westeuropas, nachdem es ab dem 7. Jahrhundert zu einem Bildungsverfall im Frankenreich gekommen war. Den Höhepunkt von Karls Regierungszeit stellte seine Kaiserkrönung zu Weihnachten des Jahres 800 durch Papst [[Leo III. (Papst)|Leo III.]] in Rom dar. Die Details dieses Vorgangs und seine Vorgeschichte sind in der Forschung umstritten.<ref>Aktueller Überblick bei Matthias Becher: ''Das Kaisertum Karls des Großen zwischen Rückbesinnung und Neuerung.'' In: Hartmut Leppin, [[Bernd Schneidmüller]], [[Stefan Weinfurter]] (Hrsg.): ''Kaisertum im ersten Jahrtausend.'' Regensburg 2012, S. 251–270. Vgl. auch Jörg W. Busch: ''Die Herrschaften der Karolinger 714-911.'' München 2011, S. 79 ff.</ref> Fest steht, dass damit aus Sicht der Zeitgenossen das Kaisertum erneuert worden war, was allerdings zu Konflikten mit Byzanz führte ([[Zweikaiserproblem]]). Für die Geschichte des Mittelalters ist dieses Ereignis von großer Bedeutung, da es den Grundstein für das [[Heiliges Römisches Reich|westliche mittelalterliche Kaisertum]] legte. Karl hinterließ bei den folgenden Generationen einen bleibenden Eindruck. Im anonymen [[Paderborner Epos|Karlsepos]] wird der Kaiser sogar als ''pater Europae'', als Vater Europas, gepriesen. Er galt im Mittelalter als Idealkaiser. Damit begann bereits die Mythenbildung um Karl, was bis in die Neuzeit unterschiedliche Geschichtsbilder zur Folge hatte.
 
[[Karl der Große|Karl]], später ''Carolus Magnus'' („Karl der Große“) genannt, gilt als der bedeutendste Karolinger und als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Herrscher (reg. 768–814).<ref>Siehe einführend Johannes Fried: ''Karl der Grosse.'' München 2013; [[Dieter Hägermann]]: ''Karl der Große. Herrscher des Abendlandes''. Berlin 2000; [[Wilfried Hartmann (Historiker)|Wilfried Hartmann]]: ''Karl der Große''. Stuttgart 2010; [[Rosamond McKitterick]]: ''Charlemagne. The Formation of a European Identity''. Cambridge 2008 (dt. ''Karl der Große'', Darmstadt 2008); [[Stefan Weinfurter]]: ''Karl der Große. Der heilige Barbar.'' München 2013.</ref> Nach Sicherung der Herrschaft im Inneren begann Karl ab dem Sommer 772 Feldzüge gegen die [[Sachsen (Volk)|Sachsen]]. Die daraus resultierenden [[Sachsenkriege (Karl der Große)|Sachsenkriege]] dauerten mit Unterbrechungen bis 804 und wurden mit äußerster Brutalität geführt. Ziel war nicht nur die Eroberung des Landes, sondern auch die gewaltsame Christianisierung der bis dahin paganen Sachsen. Militärisch spielte die fränkische [[Panzerreiter]]ei eine wichtige Rolle. Zeitgleich dazu [[Langobardenfeldzug|intervenierte]] Karl auf päpstlichen Wunsch hin 774 in Italien und eroberte das Langobardenreich, das er mit dem Frankenreich vereinigte. Weniger erfolgreich verlief der Spanienfeldzug im Jahr 778 gegen die [[Mauren]], wenngleich später zumindest die [[Spanische Mark]] errichtet werden konnte. Karls diplomatische Kontakte reichten bis zum Kalifen [[Hārūn ar-Raschīd]]. Im Osten seines Reiches beendete er 788 die Selbstständigkeit des Stammesherzogtums [[Bayern]]. Es kam außerdem zu Kämpfen mit den [[Dänen]] und mehreren [[Slawen]]stämmen sowie zum letzten Endes erfolgreichen Reichskrieg gegen die [[Awaren]] (791–796). Karl hatte in jahrzehntelangen Kämpfen die Grenzen des Reiches erheblich erweitert und das Frankenreich als neue Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat etabliert. Das Karolingerreich umschloss nun weite Teile der lateinischen Christenheit und war das bedeutendste staatliche Gebilde im Westen seit dem Fall Westroms. Karl machte [[Aachen]] zu seiner Hauptresidenz. Zur effizienteren Organisation der Herrschaftsordnung nutzte er ''comites'' (sogenannte „Grafschaftsverfassung“) und die von ihm geförderte Kirche. Die sogenannte [[karolingische Renaissance]] (die besser als „karolingische Bildungsreform“ bezeichnet werden sollte) sorgte für eine kulturelle Neubelebung des christlichen Westeuropas, nachdem es ab dem 7. Jahrhundert zu einem Bildungsverfall im Frankenreich gekommen war. Den Höhepunkt von Karls Regierungszeit stellte seine Kaiserkrönung zu Weihnachten des Jahres 800 durch Papst [[Leo III. (Papst)|Leo III.]] in Rom dar. Die Details dieses Vorgangs und seine Vorgeschichte sind in der Forschung umstritten.<ref>Aktueller Überblick bei Matthias Becher: ''Das Kaisertum Karls des Großen zwischen Rückbesinnung und Neuerung.'' In: Hartmut Leppin, [[Bernd Schneidmüller]], [[Stefan Weinfurter]] (Hrsg.): ''Kaisertum im ersten Jahrtausend.'' Regensburg 2012, S. 251–270. Vgl. auch Jörg W. Busch: ''Die Herrschaften der Karolinger 714-911.'' München 2011, S. 79 ff.</ref> Fest steht, dass damit aus Sicht der Zeitgenossen das Kaisertum erneuert worden war, was allerdings zu Konflikten mit Byzanz führte ([[Zweikaiserproblem]]). Für die Geschichte des Mittelalters ist dieses Ereignis von großer Bedeutung, da es den Grundstein für das [[Heiliges Römisches Reich|westliche mittelalterliche Kaisertum]] legte. Karl hinterließ bei den folgenden Generationen einen bleibenden Eindruck. Im anonymen [[Paderborner Epos|Karlsepos]] wird der Kaiser sogar als ''pater Europae'', als Vater Europas, gepriesen. Er galt im Mittelalter als Idealkaiser. Damit begann bereits die Mythenbildung um Karl, was bis in die Neuzeit unterschiedliche Geschichtsbilder zur Folge hatte.
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[[Datei:Droysens-21.jpg|mini|hochkant=1.5|Das Karolingerreich zur Zeit Karls des Großen und die späteren Teilreiche]]
      
Nach Karls Tod im Januar 814 folgte ihm sein Sohn [[Ludwig der Fromme]] nach, den Karl bereits 813 zum Mitkaiser gekrönt hatte.<ref>[[Egon Boshof]]: ''Ludwig der Fromme''. Darmstadt 1996; Mayke de Jong: ''The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840''. Cambridge 2009.</ref> Die ersten Regierungsjahre Ludwigs waren vor allem von seinem Reformwillen im kirchlichen und weltlichen Bereich geprägt.<ref>Egon Boshof: ''Ludwig der Fromme''. Darmstadt 1996, S. 108 ff.</ref> Programmatisch verkündete er die ''Renovatio imperii Francorum'', die Erneuerung des fränkischen Reiches. Ludwig bestimmte 817, dass nach seinem Tod eine [[Ordinatio imperii|Reichsteilung]] erfolgen sollte. Sein ältester Sohn [[Lothar I. (Frankenreich)|Lothar]] sollte jedoch eine Vorrangstellung vor seinen anderen Söhnen [[Ludwig der Deutsche|Ludwig]] (in Bayern) und [[Pippin I. (Aquitanien)|Pippin]] (in Aquitanien) erhalten. Eine schwierige Lage entstand jedoch, als Kaiser Ludwig 829 auch [[Karl der Kahle|Karl]], seinem Sohn aus seiner zweiten Ehe mit der am Hof einflussreichen [[Judith (Kaiserin)|Judith]], einen Anteil am Erbe zusicherte. Bereits zuvor hatte es Gegner der neuen Reichsordnung gegeben; sie leisteten dem Kaiser nun offen Widerstand.
 
Nach Karls Tod im Januar 814 folgte ihm sein Sohn [[Ludwig der Fromme]] nach, den Karl bereits 813 zum Mitkaiser gekrönt hatte.<ref>[[Egon Boshof]]: ''Ludwig der Fromme''. Darmstadt 1996; Mayke de Jong: ''The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840''. Cambridge 2009.</ref> Die ersten Regierungsjahre Ludwigs waren vor allem von seinem Reformwillen im kirchlichen und weltlichen Bereich geprägt.<ref>Egon Boshof: ''Ludwig der Fromme''. Darmstadt 1996, S. 108 ff.</ref> Programmatisch verkündete er die ''Renovatio imperii Francorum'', die Erneuerung des fränkischen Reiches. Ludwig bestimmte 817, dass nach seinem Tod eine [[Ordinatio imperii|Reichsteilung]] erfolgen sollte. Sein ältester Sohn [[Lothar I. (Frankenreich)|Lothar]] sollte jedoch eine Vorrangstellung vor seinen anderen Söhnen [[Ludwig der Deutsche|Ludwig]] (in Bayern) und [[Pippin I. (Aquitanien)|Pippin]] (in Aquitanien) erhalten. Eine schwierige Lage entstand jedoch, als Kaiser Ludwig 829 auch [[Karl der Kahle|Karl]], seinem Sohn aus seiner zweiten Ehe mit der am Hof einflussreichen [[Judith (Kaiserin)|Judith]], einen Anteil am Erbe zusicherte. Bereits zuvor hatte es Gegner der neuen Reichsordnung gegeben; sie leisteten dem Kaiser nun offen Widerstand.
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=== Das Reich der Ottonen ===
 
=== Das Reich der Ottonen ===
[[Datei:HRR 10Jh.jpg|mini|hochkant=1.5|Ostfränkisches Reichsgebiet in ottonischer Zeit]]
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Nach dem Tod des ostfränkischen Königs [[Konrad I. (Ostfrankenreich)|Konrad]] im Jahr 919 bestieg mit [[Heinrich I. (Ostfrankenreich)|Heinrich I.]] das erste Mitglied des sächsischen Hauses der [[Liudolfinger]] („Ottonen“) den ostfränkischen Königsthron; sie konnten sich in der Folgezeit bis 1024 im Reich behaupten.<ref>Zum Folgenden allgemein siehe Gerd Althoff: ''Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat''. 2. Aufl., Stuttgart u. a. 2005; [[Helmut Beumann]]: ''Die Ottonen''. 5. Aufl. Stuttgart u.&nbsp;a. 2000; Gerd Althoff, Hagen Keller: ''Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024.'' Stuttgart 2008.</ref> In der neueren Forschung wird zwar die Bedeutung der Ottonenzeit für die Ausformung Ostfrankens betont, sie gilt aber nicht mehr als Beginn der eigentlichen „deutschen“ Geschichte.<ref>Zur Einordnung der ottonischen Geschichte allgemein Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 18 ff.</ref> Der damit verbundene komplexe Prozess zog sich vielmehr mindestens bis ins 11. Jahrhundert hin.<ref>Zu den unterschiedlichen Forschungsansätzen siehe Joachim Ehlers: ''Die Entstehung des Deutschen Reiches''. 4. Aufl., München 2012; vgl. allgemein auch Johannes Fried: ''Der Weg in die Geschichte''. Berlin 1994, speziell S. 9 ff. und S. 853 ff. Grundlegend ist Carlrichard Brühl: ''Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker''. 2. Auflage Köln/Wien 1995.</ref>
 
Nach dem Tod des ostfränkischen Königs [[Konrad I. (Ostfrankenreich)|Konrad]] im Jahr 919 bestieg mit [[Heinrich I. (Ostfrankenreich)|Heinrich I.]] das erste Mitglied des sächsischen Hauses der [[Liudolfinger]] („Ottonen“) den ostfränkischen Königsthron; sie konnten sich in der Folgezeit bis 1024 im Reich behaupten.<ref>Zum Folgenden allgemein siehe Gerd Althoff: ''Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat''. 2. Aufl., Stuttgart u. a. 2005; [[Helmut Beumann]]: ''Die Ottonen''. 5. Aufl. Stuttgart u.&nbsp;a. 2000; Gerd Althoff, Hagen Keller: ''Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024.'' Stuttgart 2008.</ref> In der neueren Forschung wird zwar die Bedeutung der Ottonenzeit für die Ausformung Ostfrankens betont, sie gilt aber nicht mehr als Beginn der eigentlichen „deutschen“ Geschichte.<ref>Zur Einordnung der ottonischen Geschichte allgemein Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 18 ff.</ref> Der damit verbundene komplexe Prozess zog sich vielmehr mindestens bis ins 11. Jahrhundert hin.<ref>Zu den unterschiedlichen Forschungsansätzen siehe Joachim Ehlers: ''Die Entstehung des Deutschen Reiches''. 4. Aufl., München 2012; vgl. allgemein auch Johannes Fried: ''Der Weg in die Geschichte''. Berlin 1994, speziell S. 9 ff. und S. 853 ff. Grundlegend ist Carlrichard Brühl: ''Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker''. 2. Auflage Köln/Wien 1995.</ref>
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In der Regierungszeit [[Otto I. (HRR)|Ottos I.]] (reg. 936–973) sollte das Ostfrankenreich eine [[Hegemonie|hegemoniale]] Stellung im lateinischen Europa einnehmen.<ref>Neben der genannten allgemeinen Literatur zu den Ottonen siehe Matthias Becher: ''Otto der Große. Kaiser und Reich''. München 2012; [[Johannes Laudage]]: ''Otto der Große (912–973). Eine Biographie''. Regensburg 2001.</ref> Otto erwies sich als energischer Herrscher. 948 übertrug er das wichtige Herzogtum Bayern seinem Bruder [[Heinrich I. (Bayern)|Heinrich]]. Ottos Herrschaftsausübung war allerdings nicht unproblematisch, denn er wich von der konsensualen Herrschaftspraxis seines Vaters ab. Bisweilen verhielt sich Otto rücksichtslos und geriet mehrfach in Konflikt mit engen Verwandten.<ref>Johannes Laudage: ''Otto der Große''. Regensburg 2001, S. 110 ff.</ref> So agierte etwa Ottos ältester Sohn [[Liudolf (Schwaben)|Liudolf]] gegen den König und stand sogar in Verbindung mit den Ungarn. Diese nutzten die Lage im Reich aus und griffen 954 offen an. Liudolfs Lage wurde unhaltbar und er unterwarf sich dem König. Otto gelang es, gegen die Ungarn eine Abwehr zu organisieren und sie 955 in der [[Schlacht auf dem Lechfeld]] vernichtend zu schlagen. Sein Ansehen im Reich wurde durch diesen Erfolg erheblich gesteigert und eröffnete ihm neue Optionen. Im Osten errang er Siege über die Slawen, womit die elbslawischen Gebiete ''(Sclavinia)'' verstärkt in die ottonische Politik eingebunden wurden. Otto trieb die Errichtung des [[Erzbistum Magdeburg|Erzbistums Magdeburg]] voran, was ihm 968 endgültig gelang. Ziel war die [[Slawenmission]] im Osten und die Ausdehnung des ostfränkischen Herrschaftsbereichs, wozu nach karolingischem Vorbild Grenzmarken errichtet wurden. Die erstarkte Stellung Ottos ermöglichte ein Eingreifen in Italien, das nie ganz aus dem Blickfeld der ostfränkischen Herrscher geraten war. Während des ersten [[Italienzug]]s 951 scheiterte sein Versuch, in Rom das westliche Kaisertum zu erneuern, wenngleich ihm italienische Adlige als „König der Langobarden“ huldigten. Er brach 961 wieder nach Italien auf und wurde am 2. Februar 962 in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt, im Gegenzug bestätigte er die Rechte und Besitzungen der Kirche. Das an die antike römische Kaiserwürde angelehnte westliche Kaisertum wurde nun mit dem ostfränkischen (bzw. römisch-deutschen) Königtum verbunden.<ref>Zu diesem Aspekt siehe [[Hartmut Leppin]], [[Bernd Schneidmüller]], [[Stefan Weinfurter]] (Hrsg.): ''Kaisertum im ersten Jahrtausend.'' Regensburg 2012.</ref> Außerdem wurden weite Teile Ober- und Mittelitaliens dem ostfränkischen Reich angegliedert ([[Reichsitalien]]). Allerdings erforderte eine effektive Beherrschung Reichsitaliens die persönliche Präsenz des Herrschers, eine Regierung aus der Ferne war in dieser Zeit kaum möglich. Dieses Strukturdefizit sollte auch seinen Nachfolgern noch Probleme bereiten.<ref>Hagen Keller: ''Das „Erbe“ Ottos des Großen''. In: ''[[Frühmittelalterliche Studien]]'' 41, 2007, S. 43–72, speziell S. 62 ff.</ref> Ein dritter Italienzug (966–972) erfolgte aufgrund eines päpstlichen Hilferufs, diente aber gleichzeitig der Absicherung der ottonischen Herrschaft. Im Inneren stützte sich Otto, wie generell viele frühmittelalterlichen Herrscher, für Verwaltungsaufgaben vor allem auf die Kirche. Beim Tod Ottos am 7. Mai 973 war nach schwierigen Anfängen das Reich konsolidiert und das Kaisertum wieder ein politischer Machtfaktor.
 
In der Regierungszeit [[Otto I. (HRR)|Ottos I.]] (reg. 936–973) sollte das Ostfrankenreich eine [[Hegemonie|hegemoniale]] Stellung im lateinischen Europa einnehmen.<ref>Neben der genannten allgemeinen Literatur zu den Ottonen siehe Matthias Becher: ''Otto der Große. Kaiser und Reich''. München 2012; [[Johannes Laudage]]: ''Otto der Große (912–973). Eine Biographie''. Regensburg 2001.</ref> Otto erwies sich als energischer Herrscher. 948 übertrug er das wichtige Herzogtum Bayern seinem Bruder [[Heinrich I. (Bayern)|Heinrich]]. Ottos Herrschaftsausübung war allerdings nicht unproblematisch, denn er wich von der konsensualen Herrschaftspraxis seines Vaters ab. Bisweilen verhielt sich Otto rücksichtslos und geriet mehrfach in Konflikt mit engen Verwandten.<ref>Johannes Laudage: ''Otto der Große''. Regensburg 2001, S. 110 ff.</ref> So agierte etwa Ottos ältester Sohn [[Liudolf (Schwaben)|Liudolf]] gegen den König und stand sogar in Verbindung mit den Ungarn. Diese nutzten die Lage im Reich aus und griffen 954 offen an. Liudolfs Lage wurde unhaltbar und er unterwarf sich dem König. Otto gelang es, gegen die Ungarn eine Abwehr zu organisieren und sie 955 in der [[Schlacht auf dem Lechfeld]] vernichtend zu schlagen. Sein Ansehen im Reich wurde durch diesen Erfolg erheblich gesteigert und eröffnete ihm neue Optionen. Im Osten errang er Siege über die Slawen, womit die elbslawischen Gebiete ''(Sclavinia)'' verstärkt in die ottonische Politik eingebunden wurden. Otto trieb die Errichtung des [[Erzbistum Magdeburg|Erzbistums Magdeburg]] voran, was ihm 968 endgültig gelang. Ziel war die [[Slawenmission]] im Osten und die Ausdehnung des ostfränkischen Herrschaftsbereichs, wozu nach karolingischem Vorbild Grenzmarken errichtet wurden. Die erstarkte Stellung Ottos ermöglichte ein Eingreifen in Italien, das nie ganz aus dem Blickfeld der ostfränkischen Herrscher geraten war. Während des ersten [[Italienzug]]s 951 scheiterte sein Versuch, in Rom das westliche Kaisertum zu erneuern, wenngleich ihm italienische Adlige als „König der Langobarden“ huldigten. Er brach 961 wieder nach Italien auf und wurde am 2. Februar 962 in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt, im Gegenzug bestätigte er die Rechte und Besitzungen der Kirche. Das an die antike römische Kaiserwürde angelehnte westliche Kaisertum wurde nun mit dem ostfränkischen (bzw. römisch-deutschen) Königtum verbunden.<ref>Zu diesem Aspekt siehe [[Hartmut Leppin]], [[Bernd Schneidmüller]], [[Stefan Weinfurter]] (Hrsg.): ''Kaisertum im ersten Jahrtausend.'' Regensburg 2012.</ref> Außerdem wurden weite Teile Ober- und Mittelitaliens dem ostfränkischen Reich angegliedert ([[Reichsitalien]]). Allerdings erforderte eine effektive Beherrschung Reichsitaliens die persönliche Präsenz des Herrschers, eine Regierung aus der Ferne war in dieser Zeit kaum möglich. Dieses Strukturdefizit sollte auch seinen Nachfolgern noch Probleme bereiten.<ref>Hagen Keller: ''Das „Erbe“ Ottos des Großen''. In: ''[[Frühmittelalterliche Studien]]'' 41, 2007, S. 43–72, speziell S. 62 ff.</ref> Ein dritter Italienzug (966–972) erfolgte aufgrund eines päpstlichen Hilferufs, diente aber gleichzeitig der Absicherung der ottonischen Herrschaft. Im Inneren stützte sich Otto, wie generell viele frühmittelalterlichen Herrscher, für Verwaltungsaufgaben vor allem auf die Kirche. Beim Tod Ottos am 7. Mai 973 war nach schwierigen Anfängen das Reich konsolidiert und das Kaisertum wieder ein politischer Machtfaktor.
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[[Datei:Otto II. (HRR).jpg|mini|[[Gregormeister]]: Kaiser Otto II., Einzelblatt aus dem ''[[Trier, Stadtbibliothek, Hs. 171/1626|Registrum Gregorii]]'', Trier, nach 983]]
      
Ottos Sohn [[Otto II. (HRR)|Otto II.]] (reg. 973–983) war bereits sehr jung 961 zum Mitkönig und 967 zum Mitkaiser gekrönt worden.<ref>Siehe zusammenfassend Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen.'' Stuttgart 2008, S. 239 ff.</ref> Im April 972 hatte er die gebildete byzantinische Prinzessin [[Theophanu (HRR)|Theophanu]] geheiratet. Otto war selbst gleichfalls gebildet und wie bei seiner Ehefrau Theophanu galt sein Interesse auch geistigen Angelegenheiten. Im Norden wehrte er Angriffe der Dänen ab, während in Bayern [[Heinrich II. (Bayern)|Heinrich der Zänker]] (ein Verwandter des Kaisers) gegen ihn agierte und Unterstützung durch Böhmen und Polen erhielt. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, doch erst 976 gelang die (vorläufige) Unterwerfung Heinrichs. Die Ostmark wurde von Bayern abgetrennt und den [[Babenberger]]n übertragen. Im Westen kam es zu Kampfhandlungen mit Westfranken (Frankreich), bevor 980 eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Otto plante, anders als noch sein Vater, die Eroberung Süditaliens, wo Byzantiner, Langobarden und Araber herrschten. Ende 981 begann der Feldzug, doch erlitt das kaiserliche Heer im Juli 982 eine vernichtende Niederlage gegen die Araber in der [[Schlacht am Kap Colonna]]. Otto gelang nur mit Mühe die Flucht. Im Sommer 983 plante er einen erneuten Feldzug nach Süditalien, als sich unter Führung der [[Liutizen]] Teile der Elbslawen erhoben ([[Slawenaufstand von 983]]) und somit die ottonische Missions- und Besiedlungspolitik einen schweren Rückschlag erlitt. Noch in Rom starb der Kaiser am 7. Dezember 983, wo er auch beigesetzt wurde. In der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wurde Otto II. aufgrund der militärischen Rückschläge und kirchenpolitischer Entscheidungen (so die Aufhebung des [[Bistum Merseburg|Bistums Merseburg]]) stark kritisiert, während in der modernen Forschung seine nicht leichte Ausgangslage berücksichtigt wird, ohne die militärischen Fehlschläge zu übersehen.
 
Ottos Sohn [[Otto II. (HRR)|Otto II.]] (reg. 973–983) war bereits sehr jung 961 zum Mitkönig und 967 zum Mitkaiser gekrönt worden.<ref>Siehe zusammenfassend Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen.'' Stuttgart 2008, S. 239 ff.</ref> Im April 972 hatte er die gebildete byzantinische Prinzessin [[Theophanu (HRR)|Theophanu]] geheiratet. Otto war selbst gleichfalls gebildet und wie bei seiner Ehefrau Theophanu galt sein Interesse auch geistigen Angelegenheiten. Im Norden wehrte er Angriffe der Dänen ab, während in Bayern [[Heinrich II. (Bayern)|Heinrich der Zänker]] (ein Verwandter des Kaisers) gegen ihn agierte und Unterstützung durch Böhmen und Polen erhielt. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, doch erst 976 gelang die (vorläufige) Unterwerfung Heinrichs. Die Ostmark wurde von Bayern abgetrennt und den [[Babenberger]]n übertragen. Im Westen kam es zu Kampfhandlungen mit Westfranken (Frankreich), bevor 980 eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Otto plante, anders als noch sein Vater, die Eroberung Süditaliens, wo Byzantiner, Langobarden und Araber herrschten. Ende 981 begann der Feldzug, doch erlitt das kaiserliche Heer im Juli 982 eine vernichtende Niederlage gegen die Araber in der [[Schlacht am Kap Colonna]]. Otto gelang nur mit Mühe die Flucht. Im Sommer 983 plante er einen erneuten Feldzug nach Süditalien, als sich unter Führung der [[Liutizen]] Teile der Elbslawen erhoben ([[Slawenaufstand von 983]]) und somit die ottonische Missions- und Besiedlungspolitik einen schweren Rückschlag erlitt. Noch in Rom starb der Kaiser am 7. Dezember 983, wo er auch beigesetzt wurde. In der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wurde Otto II. aufgrund der militärischen Rückschläge und kirchenpolitischer Entscheidungen (so die Aufhebung des [[Bistum Merseburg|Bistums Merseburg]]) stark kritisiert, während in der modernen Forschung seine nicht leichte Ausgangslage berücksichtigt wird, ohne die militärischen Fehlschläge zu übersehen.
    
Die Nachfolge trat sein gleichnamiger Sohn an, [[Otto III. (HRR)|Otto III.]] (reg. 983–1002), der noch vor dem Tod seines Vaters als nicht ganz Dreijähriger zum Mitkönig gewählt worden war.<ref>Allgemeiner Überblick bei Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 273 ff. Siehe daneben auch Gerd Althoff: ''Otto III.'' Darmstadt 1997; [[Ekkehard Eickhoff]]: ''Theophanu und der König. Otto III. und seine Welt.'' Stuttgart 1996; Ekkehard Eickhoff: ''Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas.'' 2. Auflage, Stuttgart 2000.</ref> Aufgrund seines jungen Alters übernahm zunächst seine Mutter Theophanu, nach deren Tod 991 dann seine Großmutter [[Adelheid von Burgund (931–999)|Adelheid von Burgund]] die Regentschaft. 994 trat Otto III. mit 14 Jahren die Regierung an. Der für seine Zeit hochgebildete Herrscher umgab sich im Laufe der Zeit mit Gelehrten, darunter [[Silvester II.|Gerbert von Aurillac]]. Otto interessierte sich besonders für Italien. Streitigkeiten in Rom zwischen Papst [[Johannes XV.]] und der mächtigen Adelsfamilie der Crescentier waren der Anlass für Ottos Italienzug 996. Papst Johannes war jedoch bereits verstorben, so dass Otto seinen Verwandten Bruno als [[Gregor V. (Papst)|Gregor V.]] zum neuen Papst bestimmte, der ihn am 21. Mai 996 zum Kaiser krönte. Anschließend kehrte Otto nach Deutschland zurück. Gregor wurde jedoch aus Rom vertrieben, so dass Otto 997 erneut nach Italien aufbrach und den Aufstand Anfang 998 brutal niederschlug.<ref>Gerd Althoff: ''Otto III.'' Darmstadt 1997, S. 100 ff.</ref> Der Kaiser hielt sich noch bis 999 in Italien auf und strebte im Zusammenspiel mit dem Papst eine kirchliche Reform an. Während dieser Zeit ist ein Regierungsmotto Ottos belegt: ''Renovatio imperii Romanorum'', die Erneuerung des römischen Reiches, als dessen Fortsetzung man das mittelalterliche römisch-deutsche Reich betrachtete. Die Einzelheiten sind jedoch umstritten; eine geschlossene Konzeption ist eher unwahrscheinlich, weshalb die Bedeutung in der neueren Forschung relativiert wird.<ref>Vgl. etwa Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 292 ff. (mit weiteren Belegen); Knut Görich: ''Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus: kaiserliche Rompolitik und sächsische Historiographie.'' Sigmaringen 1995, S. 267 ff.</ref> Nach Gregors Tod machte der Kaiser Gerbert von Aurillac als Silvester II. zum neuen Papst. Beide Papsternennungen verdeutlichen die Machtverteilung zwischen Kaisertum und Papsttum in dieser Zeit. Otto knüpfte auch Kontakte zum polnischen Herrscher [[Bolesław I. (Polen)|Bolesław I.]] und begab sich nach [[Gnesen]].<ref>Vgl. Ekkehard Eickhoff: ''Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas.'' 2. Aufl. Stuttgart 2000, S. 271–273.</ref> Die nächsten Monate verbrachte der Kaiser in Deutschland, bevor er sich wieder nach Italien begab. 1001 brach in Rom ein Aufstand aus. Otto zog sich nach [[Ravenna]] zurück, beim erneuten Vormarsch nach Rom starb der Kaiser Ende Januar 1002. In den Quellen wird sein großes Engagement in Italien eher negativ bewertet; in der modernen Forschung wird betont, dass der frühe Tod Ottos eine abschließende Bewertung erschwert, da seine Politik nicht über Anfänge hinauskam.
 
Die Nachfolge trat sein gleichnamiger Sohn an, [[Otto III. (HRR)|Otto III.]] (reg. 983–1002), der noch vor dem Tod seines Vaters als nicht ganz Dreijähriger zum Mitkönig gewählt worden war.<ref>Allgemeiner Überblick bei Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 273 ff. Siehe daneben auch Gerd Althoff: ''Otto III.'' Darmstadt 1997; [[Ekkehard Eickhoff]]: ''Theophanu und der König. Otto III. und seine Welt.'' Stuttgart 1996; Ekkehard Eickhoff: ''Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas.'' 2. Auflage, Stuttgart 2000.</ref> Aufgrund seines jungen Alters übernahm zunächst seine Mutter Theophanu, nach deren Tod 991 dann seine Großmutter [[Adelheid von Burgund (931–999)|Adelheid von Burgund]] die Regentschaft. 994 trat Otto III. mit 14 Jahren die Regierung an. Der für seine Zeit hochgebildete Herrscher umgab sich im Laufe der Zeit mit Gelehrten, darunter [[Silvester II.|Gerbert von Aurillac]]. Otto interessierte sich besonders für Italien. Streitigkeiten in Rom zwischen Papst [[Johannes XV.]] und der mächtigen Adelsfamilie der Crescentier waren der Anlass für Ottos Italienzug 996. Papst Johannes war jedoch bereits verstorben, so dass Otto seinen Verwandten Bruno als [[Gregor V. (Papst)|Gregor V.]] zum neuen Papst bestimmte, der ihn am 21. Mai 996 zum Kaiser krönte. Anschließend kehrte Otto nach Deutschland zurück. Gregor wurde jedoch aus Rom vertrieben, so dass Otto 997 erneut nach Italien aufbrach und den Aufstand Anfang 998 brutal niederschlug.<ref>Gerd Althoff: ''Otto III.'' Darmstadt 1997, S. 100 ff.</ref> Der Kaiser hielt sich noch bis 999 in Italien auf und strebte im Zusammenspiel mit dem Papst eine kirchliche Reform an. Während dieser Zeit ist ein Regierungsmotto Ottos belegt: ''Renovatio imperii Romanorum'', die Erneuerung des römischen Reiches, als dessen Fortsetzung man das mittelalterliche römisch-deutsche Reich betrachtete. Die Einzelheiten sind jedoch umstritten; eine geschlossene Konzeption ist eher unwahrscheinlich, weshalb die Bedeutung in der neueren Forschung relativiert wird.<ref>Vgl. etwa Hagen Keller, Gerd Althoff: ''Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen''. Stuttgart 2008, S. 292 ff. (mit weiteren Belegen); Knut Görich: ''Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus: kaiserliche Rompolitik und sächsische Historiographie.'' Sigmaringen 1995, S. 267 ff.</ref> Nach Gregors Tod machte der Kaiser Gerbert von Aurillac als Silvester II. zum neuen Papst. Beide Papsternennungen verdeutlichen die Machtverteilung zwischen Kaisertum und Papsttum in dieser Zeit. Otto knüpfte auch Kontakte zum polnischen Herrscher [[Bolesław I. (Polen)|Bolesław I.]] und begab sich nach [[Gnesen]].<ref>Vgl. Ekkehard Eickhoff: ''Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas.'' 2. Aufl. Stuttgart 2000, S. 271–273.</ref> Die nächsten Monate verbrachte der Kaiser in Deutschland, bevor er sich wieder nach Italien begab. 1001 brach in Rom ein Aufstand aus. Otto zog sich nach [[Ravenna]] zurück, beim erneuten Vormarsch nach Rom starb der Kaiser Ende Januar 1002. In den Quellen wird sein großes Engagement in Italien eher negativ bewertet; in der modernen Forschung wird betont, dass der frühe Tod Ottos eine abschließende Bewertung erschwert, da seine Politik nicht über Anfänge hinauskam.
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[[Datei:Kronung Heinrich II.jpg|mini|Krönungsbild aus dem [[Sakramentar Heinrichs II.]] Das Regensburger Sakramentar stiftete Heinrich II. dem Bamberger Dom. Miniatur aus dem Sakramentar Heinrichs II., heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (Clm 4456, fol. 11r)]]
      
Nachfolger Ottos III. wurde [[Heinrich II. (HRR)|Heinrich II.]] (reg. 1002–1024), der aus der bayerischen Nebenlinie der Ottonen stammte und dessen Herrschaftsantritt umstritten war.<ref>Stefan Weinfurter: ''Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende der Zeiten.'' 3. Aufl., Regensburg 2002.</ref> Heinrich II. setzte andere Schwerpunkte als sein Vorgänger und konzentrierte sich vor allem auf die Herrschaftsausübung im nördlichen Reichsteil, wenngleich er dreimal nach Italien zog. Auf seinem zweiten Italienzug 1014 wurde er in Rom zum Kaiser gekrönt. Im Süden kam es 1021/22 auch zu Auseinandersetzungen mit den Byzantinern, die letzten Endes ergebnislos verliefen und dem Kaiser keinen Gewinn einbrachten. Im Osten führte er vier Feldzüge gegen Bolesław von Polen, wobei es um polnisch beanspruchten Besitz und um Fragen der Ehre und Ehrbezeugung ging, bevor 1018 der [[Frieden von Bautzen]] geschlossen wurde.<ref>Knut Görich: ''Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry''. In: Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): ''Otto III. – Heinrich II. Eine Wende?''. Sigmaringen 1997, S. 95–167.</ref> Im Inneren präsentierte sich Heinrich als ein von der sakralen Würde seines Amtes durchdrungener Herrscher. Er gründete das [[Erzbistum Bamberg|Bistum Bamberg]] und begünstigte die Reichskirche, auf die er sich im Sinne des „Reichskirchensystems“ stützte, wenngleich in neuerer Zeit dieser Aspekt unterschiedlich bewertet wird. Einige Forscher betrachten Heinrichs diesbezügliches Vorgehen als realpolitisch motiviert; Heinrich habe über die Reichskirche geherrscht, mit ihr regiert und damit versucht, die Königsherrschaft zu intensivieren.<ref>Johannes Fried: ''Der Weg in die Geschichte.'' Berlin 1994, S. 630 f.</ref> Sicher ist die enge Verzahnung von Königsherrschaft mit der Kirche im Reich. Damit erhoffte sich Heinrich wohl auch ein Gegengewicht zur Adelsopposition, die sich wiederholt gegen den König erhob, der seine Führungsrolle gegenüber den Großen im Reich betonte. Seine Regierungszeit wird sehr unterschiedlich bewertet; erst im Rückblick wurde er, von der Bamberger Kirche vorangetrieben, zu einem „heiligen Kaiser“ stilisiert und 1146 heiliggesprochen. Seine Ehe blieb kinderlos, statt der Ottonen traten die [[Salier]] die Königsherrschaft an.
 
Nachfolger Ottos III. wurde [[Heinrich II. (HRR)|Heinrich II.]] (reg. 1002–1024), der aus der bayerischen Nebenlinie der Ottonen stammte und dessen Herrschaftsantritt umstritten war.<ref>Stefan Weinfurter: ''Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende der Zeiten.'' 3. Aufl., Regensburg 2002.</ref> Heinrich II. setzte andere Schwerpunkte als sein Vorgänger und konzentrierte sich vor allem auf die Herrschaftsausübung im nördlichen Reichsteil, wenngleich er dreimal nach Italien zog. Auf seinem zweiten Italienzug 1014 wurde er in Rom zum Kaiser gekrönt. Im Süden kam es 1021/22 auch zu Auseinandersetzungen mit den Byzantinern, die letzten Endes ergebnislos verliefen und dem Kaiser keinen Gewinn einbrachten. Im Osten führte er vier Feldzüge gegen Bolesław von Polen, wobei es um polnisch beanspruchten Besitz und um Fragen der Ehre und Ehrbezeugung ging, bevor 1018 der [[Frieden von Bautzen]] geschlossen wurde.<ref>Knut Görich: ''Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry''. In: Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): ''Otto III. – Heinrich II. Eine Wende?''. Sigmaringen 1997, S. 95–167.</ref> Im Inneren präsentierte sich Heinrich als ein von der sakralen Würde seines Amtes durchdrungener Herrscher. Er gründete das [[Erzbistum Bamberg|Bistum Bamberg]] und begünstigte die Reichskirche, auf die er sich im Sinne des „Reichskirchensystems“ stützte, wenngleich in neuerer Zeit dieser Aspekt unterschiedlich bewertet wird. Einige Forscher betrachten Heinrichs diesbezügliches Vorgehen als realpolitisch motiviert; Heinrich habe über die Reichskirche geherrscht, mit ihr regiert und damit versucht, die Königsherrschaft zu intensivieren.<ref>Johannes Fried: ''Der Weg in die Geschichte.'' Berlin 1994, S. 630 f.</ref> Sicher ist die enge Verzahnung von Königsherrschaft mit der Kirche im Reich. Damit erhoffte sich Heinrich wohl auch ein Gegengewicht zur Adelsopposition, die sich wiederholt gegen den König erhob, der seine Führungsrolle gegenüber den Großen im Reich betonte. Seine Regierungszeit wird sehr unterschiedlich bewertet; erst im Rückblick wurde er, von der Bamberger Kirche vorangetrieben, zu einem „heiligen Kaiser“ stilisiert und 1146 heiliggesprochen. Seine Ehe blieb kinderlos, statt der Ottonen traten die [[Salier]] die Königsherrschaft an.
    
=== Frankreich und Burgund ===
 
=== Frankreich und Burgund ===
[[Datei:Map France 1030-de.svg|mini|hochkant=1.5|Frankreich im frühen 11.&nbsp;Jahrhundert]]
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Wenngleich in Westfranken (Frankreich) die Karolinger formal noch bis 987 die Könige stellten, von der Regierungszeit einiger (durchaus durchsetzungsfähiger) Könige aus anderen Geschlechtern wie [[Odo von Paris|Odo]] abgesehen, hatten sie bereits zuvor den Großteil ihrer Macht eingebüßt.<ref>Allgemein zur Geschichte Frankreichs in dieser Zeit siehe Bernd Schneidmüller: ''Die Entstehung Frankreichs.'' In: Ernst Hinrichs (Hrsg.): ''Geschichte Frankreichs.'' Stuttgart 2014, S. 13 ff.; Jean Dunbabin: ''West Francia: The Kingdom.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 372 ff.; Rolf Große: ''Vom Frankenreich zu den Ursprüngen der Nationalstaaten 800 bis 1214.'' Darmstadt 2005 (jeweils mit weiterer Literatur).</ref> Die Politik wurde im 10. Jahrhundert von den großen Adligen dominiert, wie z.&nbsp;B. von Herzog [[Hugo der Große|Hugo Magnus]] aus dem Hause der [[Robertiner]]. Der Gegensatz zwischen Karolingern und Robertinern war in dieser Zeit prägend. In der Spätphase der westlichen Karolinger geriet König [[Lothar (Frankreich)|Lothar]] sogar in Abhängigkeit von den mächtigeren Ottonen. Er versuchte sich militärisch davon zu lösen und unternahm Vorstöße nach Ostfranken, die aber erfolglos verliefen. 987 wurde der Robertiner [[Hugo Capet]] zum neuen König gewählt. Damit begann die Herrschaft der später nach Hugos Beinamen benannten [[Kapetinger]].<ref>Joachim Ehlers: ''Geschichte Frankreichs im Mittelalter.'' Stuttgart u. a. 1987; Joachim Ehlers: ''Die Kapetinger.'' Stuttgart u. a. 2000.</ref> Von Hugo Capet stammten alle späteren französischen Könige bis zur endgültigen Abschaffung des Königtums im 19. Jahrhundert in direkter männlicher Linie ab. Hugos Zeitgenossen nahmen seinen Regierungsantritt allerdings nicht als bedeutsame Zäsur wahr, als dauerhafter Dynastiewechsel erwies sich seine Erhebung erst später. Noch im selben Jahr erhob Hugo seinen Sohn [[Robert II. (Frankreich)|Robert]] zum Mitkönig; er sollte seinem Vater 996 als Robert II. nachfolgen und bis 1031 regieren. Der Dynastiewechsel von 987 verlief aber nicht ohne Konflikte. Herzog [[Karl (Niederlothringen)|Karl von Niederlothringen]], ein karolingischer Königssohn, machte seinen Thronanspruch geltend. Er verbuchte einige Erfolge, bevor er durch Verrat in die Hände der Kapetinger fiel. Ein Umsturzversuch der [[Haus Blois|Familie Blois]] im Jahr 993 scheiterte ebenfalls.
 
Wenngleich in Westfranken (Frankreich) die Karolinger formal noch bis 987 die Könige stellten, von der Regierungszeit einiger (durchaus durchsetzungsfähiger) Könige aus anderen Geschlechtern wie [[Odo von Paris|Odo]] abgesehen, hatten sie bereits zuvor den Großteil ihrer Macht eingebüßt.<ref>Allgemein zur Geschichte Frankreichs in dieser Zeit siehe Bernd Schneidmüller: ''Die Entstehung Frankreichs.'' In: Ernst Hinrichs (Hrsg.): ''Geschichte Frankreichs.'' Stuttgart 2014, S. 13 ff.; Jean Dunbabin: ''West Francia: The Kingdom.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 372 ff.; Rolf Große: ''Vom Frankenreich zu den Ursprüngen der Nationalstaaten 800 bis 1214.'' Darmstadt 2005 (jeweils mit weiterer Literatur).</ref> Die Politik wurde im 10. Jahrhundert von den großen Adligen dominiert, wie z.&nbsp;B. von Herzog [[Hugo der Große|Hugo Magnus]] aus dem Hause der [[Robertiner]]. Der Gegensatz zwischen Karolingern und Robertinern war in dieser Zeit prägend. In der Spätphase der westlichen Karolinger geriet König [[Lothar (Frankreich)|Lothar]] sogar in Abhängigkeit von den mächtigeren Ottonen. Er versuchte sich militärisch davon zu lösen und unternahm Vorstöße nach Ostfranken, die aber erfolglos verliefen. 987 wurde der Robertiner [[Hugo Capet]] zum neuen König gewählt. Damit begann die Herrschaft der später nach Hugos Beinamen benannten [[Kapetinger]].<ref>Joachim Ehlers: ''Geschichte Frankreichs im Mittelalter.'' Stuttgart u. a. 1987; Joachim Ehlers: ''Die Kapetinger.'' Stuttgart u. a. 2000.</ref> Von Hugo Capet stammten alle späteren französischen Könige bis zur endgültigen Abschaffung des Königtums im 19. Jahrhundert in direkter männlicher Linie ab. Hugos Zeitgenossen nahmen seinen Regierungsantritt allerdings nicht als bedeutsame Zäsur wahr, als dauerhafter Dynastiewechsel erwies sich seine Erhebung erst später. Noch im selben Jahr erhob Hugo seinen Sohn [[Robert II. (Frankreich)|Robert]] zum Mitkönig; er sollte seinem Vater 996 als Robert II. nachfolgen und bis 1031 regieren. Der Dynastiewechsel von 987 verlief aber nicht ohne Konflikte. Herzog [[Karl (Niederlothringen)|Karl von Niederlothringen]], ein karolingischer Königssohn, machte seinen Thronanspruch geltend. Er verbuchte einige Erfolge, bevor er durch Verrat in die Hände der Kapetinger fiel. Ein Umsturzversuch der [[Haus Blois|Familie Blois]] im Jahr 993 scheiterte ebenfalls.
    
Die Kapetinger betonten die Sakralität ihrer Königswürde und das damit verbundene Ansehen ''(auctoritas)''. Den Kern der Königsherrschaft stellte die Krondomäne mit dem Zentrum [[Paris]] dar; der königliche Besitz wurde in den folgenden Jahrzehnten systematisch ausgebaut. Außerdem konnten die Kapetinger sich auf eine recht breite kirchliche Unterstützung verlassen. Die Durchsetzung der Königsherrschaft gelang jedoch nicht vollständig, denn die Großen des Reiches verkehrten mit den frühen Kapetingern auf einem relativ gleichen Niveau. Zwar waren sie zur Hof- und Heerfahrt verpflichtet, bisweilen kam es aber zu anti-königlichen Koalitionen. In mehreren Regionen konsolidierte sich die Fürstenherrschaft im frühen 11. Jahrhundert. Versuche Roberts II., die Königsmacht in herrschaftslos gewordenen Gebieten zu vermehren, waren nur im Herzogtum Burgund erfolgreich, während er etwa in den Grafschaften [[Grafschaft Troyes|Troyes]] und [[Grafschaft Meaux|Meaux]] scheiterte. Sein Sohn und Nachfolger [[Heinrich I. (Frankreich)|Heinrich I.]] musste sich gegen das Haus Blois durchsetzen und unterhielt recht gute Verbindungen zu den salischen Herrschern. Außenpolitisch konnten die frühen Kapetinger keine Erfolge verbuchen; so scheiterte etwa der Versuch, Lothringen von den Ottonen zurückzugewinnen. Die französischen Könige waren aber bemüht, die Gleichrangigkeit ihres Reiches mit dem Imperium zu betonen. Im 12. Jahrhundert kam es zu Konflikten mit dem mächtigen [[Haus Plantagenet]], das neben umfangreichem Festlandbesitz in Frankreich gleichzeitig bis ins [[Spätmittelalter]] die englischen Könige stellte. Erst unter [[Philipp II. (Frankreich)|Philipp II. August]] (reg. 1180–1223) gelang es den Kapetingern, die Oberhand zu gewinnen.
 
Die Kapetinger betonten die Sakralität ihrer Königswürde und das damit verbundene Ansehen ''(auctoritas)''. Den Kern der Königsherrschaft stellte die Krondomäne mit dem Zentrum [[Paris]] dar; der königliche Besitz wurde in den folgenden Jahrzehnten systematisch ausgebaut. Außerdem konnten die Kapetinger sich auf eine recht breite kirchliche Unterstützung verlassen. Die Durchsetzung der Königsherrschaft gelang jedoch nicht vollständig, denn die Großen des Reiches verkehrten mit den frühen Kapetingern auf einem relativ gleichen Niveau. Zwar waren sie zur Hof- und Heerfahrt verpflichtet, bisweilen kam es aber zu anti-königlichen Koalitionen. In mehreren Regionen konsolidierte sich die Fürstenherrschaft im frühen 11. Jahrhundert. Versuche Roberts II., die Königsmacht in herrschaftslos gewordenen Gebieten zu vermehren, waren nur im Herzogtum Burgund erfolgreich, während er etwa in den Grafschaften [[Grafschaft Troyes|Troyes]] und [[Grafschaft Meaux|Meaux]] scheiterte. Sein Sohn und Nachfolger [[Heinrich I. (Frankreich)|Heinrich I.]] musste sich gegen das Haus Blois durchsetzen und unterhielt recht gute Verbindungen zu den salischen Herrschern. Außenpolitisch konnten die frühen Kapetinger keine Erfolge verbuchen; so scheiterte etwa der Versuch, Lothringen von den Ottonen zurückzugewinnen. Die französischen Könige waren aber bemüht, die Gleichrangigkeit ihres Reiches mit dem Imperium zu betonen. Im 12. Jahrhundert kam es zu Konflikten mit dem mächtigen [[Haus Plantagenet]], das neben umfangreichem Festlandbesitz in Frankreich gleichzeitig bis ins [[Spätmittelalter]] die englischen Könige stellte. Erst unter [[Philipp II. (Frankreich)|Philipp II. August]] (reg. 1180–1223) gelang es den Kapetingern, die Oberhand zu gewinnen.
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[[Datei:Karte Hoch und Niederburgund.png|mini|hochkant=1.5|Burgund im 9./10.&nbsp;Jahrhundert]]
      
Das [[Königreich Burgund]] entstand während des Zerfalls des Karolingerreiches.<ref>Constance Brittain Bouchard: ''Burgundy and Provence.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 328 ff.</ref> 879 wurde [[Boso von Vienne]] zum König von [[Königreich Burgund#Niederburgund|Niederburgund]] gewählt, sein Sohn [[Ludwig der Blinde]] erweiterte kurzzeitig den burgundischen Herrschaftsraum. Bereits vor Ludwigs Tod 928 zerfiel der niederburgundische Herrschaftsraum, wovon zunächst [[Hugo I. (Italien)|Hugo von Vienne]], letztendlich aber [[Hochburgund]] profitierte. Dort war 888 [[Rudolf I. (Burgund)|Rudolf I.]] zum König gekrönt worden. Immer wieder kam es in der Folgezeit zu Spannungen mit dem örtlichen Adel; ein starkes Königtum konnte sich nie entwickeln, die Königsmacht blieb vielmehr regional begrenzt. [[Rudolf II. (Burgund)|Rudolf II.]], dessen Expansion nach Nordosten in den schwäbischen Raum 919 gestoppt worden war, knüpfte Kontakte zu den Ottonen. Er erkannte die ostfränkische Oberhoheit an und leitete die Vereinigung von Hoch- und Niederburgund ein (angeblich 933 vertraglich vereinbart, was allerdings in der Forschung teils bestritten wird<ref>Carlrichard Brühl: ''Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker''. 2. Aufl., Köln/Wien 1995, S. 454 ff.</ref>), doch starb er bereits 937. Sein Sohn [[Konrad III. (Burgund)|Konrad]] konnte mit ottonischer Unterstützung seinen Herrschaftsanspruch auch in Niederburgund zur Geltung bringen. Die enge Anlehnung der burgundischen Rudolfinger an die Ottonen drückte sich im Erbfolgevertrag von 1016 aus, wovon die salischen Herrscher profitierten, die 1033 Burgund mit dem Imperium vereinigten.
 
Das [[Königreich Burgund]] entstand während des Zerfalls des Karolingerreiches.<ref>Constance Brittain Bouchard: ''Burgundy and Provence.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 328 ff.</ref> 879 wurde [[Boso von Vienne]] zum König von [[Königreich Burgund#Niederburgund|Niederburgund]] gewählt, sein Sohn [[Ludwig der Blinde]] erweiterte kurzzeitig den burgundischen Herrschaftsraum. Bereits vor Ludwigs Tod 928 zerfiel der niederburgundische Herrschaftsraum, wovon zunächst [[Hugo I. (Italien)|Hugo von Vienne]], letztendlich aber [[Hochburgund]] profitierte. Dort war 888 [[Rudolf I. (Burgund)|Rudolf I.]] zum König gekrönt worden. Immer wieder kam es in der Folgezeit zu Spannungen mit dem örtlichen Adel; ein starkes Königtum konnte sich nie entwickeln, die Königsmacht blieb vielmehr regional begrenzt. [[Rudolf II. (Burgund)|Rudolf II.]], dessen Expansion nach Nordosten in den schwäbischen Raum 919 gestoppt worden war, knüpfte Kontakte zu den Ottonen. Er erkannte die ostfränkische Oberhoheit an und leitete die Vereinigung von Hoch- und Niederburgund ein (angeblich 933 vertraglich vereinbart, was allerdings in der Forschung teils bestritten wird<ref>Carlrichard Brühl: ''Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker''. 2. Aufl., Köln/Wien 1995, S. 454 ff.</ref>), doch starb er bereits 937. Sein Sohn [[Konrad III. (Burgund)|Konrad]] konnte mit ottonischer Unterstützung seinen Herrschaftsanspruch auch in Niederburgund zur Geltung bringen. Die enge Anlehnung der burgundischen Rudolfinger an die Ottonen drückte sich im Erbfolgevertrag von 1016 aus, wovon die salischen Herrscher profitierten, die 1033 Burgund mit dem Imperium vereinigten.
    
=== Italien ===
 
=== Italien ===
[[Datei:Teodorico re dei Goti (493-526).png|mini|Münze mit dem Bildnis Theoderichs]]
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Nach dem Ende Westroms 476 war es in Italien zunächst zu keinem kulturellen oder wirtschaftlichen Einbruch gekommen. Unter der Gotenherrschaft [[Theoderich der Große|Theoderichs]] (489/93 bis 526) erlebte das Land vielmehr noch einmal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen [[Boethius]] und [[Quintus Aurelius Memmius Symmachus|Symmachus]] zu erkennen ist.<ref>Zu Theoderich siehe nun aktuell und ausführlich [[Hans-Ulrich Wiemer]]: ''Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer.'' München 2018. Vgl. des Weiteren Frank M. Ausbüttel: ''Theoderich der Große.'' Darmstadt 2004; [[Wilhelm Enßlin]]: ''Theoderich der Große.'' 2. Auflage. München 1959. Zu den Quellen und deren Bewertung siehe Andreas Goltz: ''Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts.'' Berlin/New York 2008.</ref> Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe be- oder gar verhindert.<ref>Dieser Fragestellung ging Marco Aimone: ''Romani e Ostrogoti fra integrazione e separazione. Il contributo dell’archeologia a un dibattito storiografico''. In: ''Reti Medievali Rivista'' 13, 2012, S. 1–66, erstmals auf der Grundlage archäologischer Untersuchungen nach.</ref> Nach Theoderichs Tod 526 kam es zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in Italien intervenierte. Der anschließende [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] (535–552) verwüstete die Halbinsel, die nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz wurde.
 
Nach dem Ende Westroms 476 war es in Italien zunächst zu keinem kulturellen oder wirtschaftlichen Einbruch gekommen. Unter der Gotenherrschaft [[Theoderich der Große|Theoderichs]] (489/93 bis 526) erlebte das Land vielmehr noch einmal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen [[Boethius]] und [[Quintus Aurelius Memmius Symmachus|Symmachus]] zu erkennen ist.<ref>Zu Theoderich siehe nun aktuell und ausführlich [[Hans-Ulrich Wiemer]]: ''Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer.'' München 2018. Vgl. des Weiteren Frank M. Ausbüttel: ''Theoderich der Große.'' Darmstadt 2004; [[Wilhelm Enßlin]]: ''Theoderich der Große.'' 2. Auflage. München 1959. Zu den Quellen und deren Bewertung siehe Andreas Goltz: ''Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts.'' Berlin/New York 2008.</ref> Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe be- oder gar verhindert.<ref>Dieser Fragestellung ging Marco Aimone: ''Romani e Ostrogoti fra integrazione e separazione. Il contributo dell’archeologia a un dibattito storiografico''. In: ''Reti Medievali Rivista'' 13, 2012, S. 1–66, erstmals auf der Grundlage archäologischer Untersuchungen nach.</ref> Nach Theoderichs Tod 526 kam es zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in Italien intervenierte. Der anschließende [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] (535–552) verwüstete die Halbinsel, die nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz wurde.
    
Die unter ihrem König [[Alboin]] 568 nach Italien eingebrochenen [[Langobarden]] profitierten vom Zustand des erschöpften Landes und den nur wenigen kaiserlichen Besatzungstruppen.<ref>Allgemeiner Überblick zur Geschichte Italiens im Mittelalter mit weiterer Literatur bei [[Elke Goez]]: ''Geschichte Italiens im Mittelalter''. Darmstadt 2010. Zu den Langobarden siehe unter anderem Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 198 ff.; Peter Erhart, Walter Pohl (Hrsg.): ''Die Langobarden: Herrschaft und Identität''. Wien 2005; [[Wilfried Menghin]]: ''Die Langobarden''. Stuttgart 1985. Zum frühmittelalterlichen Italien siehe unter anderem: Cristina La Rocca (Hrsg.): ''Italy in the Early Middle Ages: 476–1000.'' Oxford 2002; Chris Wickham: ''Early Medieval Italy. Central Power and Local Society 400—1000''. London/Basingstoke 1981; Giovanni Tabacco: ''Sperimentazioni del potere nell’alto medioevo''. Turin 1993.</ref> Nur vereinzelt wurde den Eroberern Widerstand geleistet, so dass [[Mailand]] schon 569 fiel, [[Pavia]] jedoch erst 572. Die langobardische Eroberung von Ober- und Teilen Mittelitaliens erwies sich jedoch als verheerend für die Reste der antiken Kultur und die lokale Wirtschaft. Bereits in [[Cividale del Friuli]] hatte Alboin kurz nach Beginn der Invasion ein Dukat (Herzogtum) errichtet; diese Form der Herrschaftsorganisation (eine Zusammenführung spätrömischer Verwaltung und der langobardischen Militärordnung) sollte typisch für die Langobarden werden. Die Königsmacht verfiel nach der Ermordung Alboins 572 und der seines Nachfolgers [[Cleph]] 574, die langobardische Herrschaft zersplitterte in relativ selbstständige Dukate. Das Langobardenreich stand weiterhin unter hohem äußeren Druck. Erst angesichts einer Bedrohung durch die Franken wählten die Langobarden nach zehnjähriger Königslosigkeit 584 erstmals wieder [[Authari]] in diese Position. Die Oströmer/Byzantiner konnten zudem mehrere der Seestädte halten, außerdem Ravenna, Rom und Süditalien. Innenpolitisch blieben die Spannungen zwischen den zumeist arianischen Langobarden und den katholischen Romanen eine Belastung für das gegenseitige Verhältnis, wenngleich auch katholische Langobardenkönige herrschten. Erwähnenswert unter den Langobardenkönigen des 7. Jahrhunderts sind etwa [[Agilulf (Langobarde)|Agilulf]], unter dem die Langobarden wieder einige Erfolge erzielen konnten, und [[Rothari]], der 643 die langobardischen Rechtsgewohnheiten systematisch sammeln und aufzeichnen ließ. [[Liutprand (Langobarde)|Liutprand]] (reg. 712–744) wirkte ebenfalls als Gesetzgeber und konnte seine Macht sogar gegenüber den ''Duces'' von Spoleto und Benevent, den beiden südlichen langobardischen Herrschaften, zur Geltung bringen. Die Langobarden waren zu diesem Zeitpunkt endgültig katholisch geworden und traten wieder expansiv auf, so gegen Byzanz, und intervenierten auch in Rom. 774 schlugen die Franken König [[Desiderius (König)|Desiderius]] und eroberten das Langobardenreich.
 
Die unter ihrem König [[Alboin]] 568 nach Italien eingebrochenen [[Langobarden]] profitierten vom Zustand des erschöpften Landes und den nur wenigen kaiserlichen Besatzungstruppen.<ref>Allgemeiner Überblick zur Geschichte Italiens im Mittelalter mit weiterer Literatur bei [[Elke Goez]]: ''Geschichte Italiens im Mittelalter''. Darmstadt 2010. Zu den Langobarden siehe unter anderem Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 198 ff.; Peter Erhart, Walter Pohl (Hrsg.): ''Die Langobarden: Herrschaft und Identität''. Wien 2005; [[Wilfried Menghin]]: ''Die Langobarden''. Stuttgart 1985. Zum frühmittelalterlichen Italien siehe unter anderem: Cristina La Rocca (Hrsg.): ''Italy in the Early Middle Ages: 476–1000.'' Oxford 2002; Chris Wickham: ''Early Medieval Italy. Central Power and Local Society 400—1000''. London/Basingstoke 1981; Giovanni Tabacco: ''Sperimentazioni del potere nell’alto medioevo''. Turin 1993.</ref> Nur vereinzelt wurde den Eroberern Widerstand geleistet, so dass [[Mailand]] schon 569 fiel, [[Pavia]] jedoch erst 572. Die langobardische Eroberung von Ober- und Teilen Mittelitaliens erwies sich jedoch als verheerend für die Reste der antiken Kultur und die lokale Wirtschaft. Bereits in [[Cividale del Friuli]] hatte Alboin kurz nach Beginn der Invasion ein Dukat (Herzogtum) errichtet; diese Form der Herrschaftsorganisation (eine Zusammenführung spätrömischer Verwaltung und der langobardischen Militärordnung) sollte typisch für die Langobarden werden. Die Königsmacht verfiel nach der Ermordung Alboins 572 und der seines Nachfolgers [[Cleph]] 574, die langobardische Herrschaft zersplitterte in relativ selbstständige Dukate. Das Langobardenreich stand weiterhin unter hohem äußeren Druck. Erst angesichts einer Bedrohung durch die Franken wählten die Langobarden nach zehnjähriger Königslosigkeit 584 erstmals wieder [[Authari]] in diese Position. Die Oströmer/Byzantiner konnten zudem mehrere der Seestädte halten, außerdem Ravenna, Rom und Süditalien. Innenpolitisch blieben die Spannungen zwischen den zumeist arianischen Langobarden und den katholischen Romanen eine Belastung für das gegenseitige Verhältnis, wenngleich auch katholische Langobardenkönige herrschten. Erwähnenswert unter den Langobardenkönigen des 7. Jahrhunderts sind etwa [[Agilulf (Langobarde)|Agilulf]], unter dem die Langobarden wieder einige Erfolge erzielen konnten, und [[Rothari]], der 643 die langobardischen Rechtsgewohnheiten systematisch sammeln und aufzeichnen ließ. [[Liutprand (Langobarde)|Liutprand]] (reg. 712–744) wirkte ebenfalls als Gesetzgeber und konnte seine Macht sogar gegenüber den ''Duces'' von Spoleto und Benevent, den beiden südlichen langobardischen Herrschaften, zur Geltung bringen. Die Langobarden waren zu diesem Zeitpunkt endgültig katholisch geworden und traten wieder expansiv auf, so gegen Byzanz, und intervenierten auch in Rom. 774 schlugen die Franken König [[Desiderius (König)|Desiderius]] und eroberten das Langobardenreich.
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[[Datei:Italy 1050.jpg|mini|hochkant=1.5|Italien um die Mitte des 11. Jahrhunderts]]
      
[[Geschichte Italiens#Teil des Frankenreichs, „Nationalkönige“ (774–951)|Italien im Frühmittelalter]] war ein politisch zersplitterter Raum. Während des Zerfallsprozesses des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert stiegen lokale Machthaber auf. Sie regierten von 888 bis 961 als [[Nationalkönige|Könige]] unabhängig in Oberitalien, bis diese Region (außer der [[Republik Venedig]]) unter Otto I. in das Ostfrankenreich integriert wurde. Als [[Reichsitalien]] blieb es bis zum Ende des Mittelalters Teil des römisch-deutschen Reiches. In diesem Zusammenhang waren die von den Kaisern geförderten Bischöfe ein wichtiger Faktor zur Herrschaftssicherung. Die römisch-deutschen Könige seit Otto I. betrieben jedoch keine stringente [[Italienpolitik]], sondern mussten ihre Herrschaftsrechte ([[Regalien]]), vor allem in späterer Zeit, auch militärisch durchsetzen. Realpolitisch relevant war die Beherrschung Oberitaliens vor allem aufgrund der vergleichsweise hohen Wirtschafts- und Finanzkraft der dortigen Städte, die seit dem 11. Jahrhundert wieder aufblühten; eine Sonderrolle spielten die [[Seerepubliken]]. Zunächst standen viele Städte in Reichsitalien unter dem Einfluss der Bischöfe, bevor sie nach und nach an politischer Autonomie gewannen.<ref>Zu diesem Prozess siehe Chris Wickham: ''Early Medieval Italy''. London/Basingstoke 1981, S. 174 ff.</ref> Neben der immer noch relativ starken städtischen Kultur war auch die antike Kultur dort in Teilen bewahrt worden. Das schriftliche Niveau lag höher als im Norden, was für eine effektive Herrschaftsausübung vorteilhaft war, wenngleich die persönliche Präsenz des Herrschers weiterhin ein wichtiger Faktor war. Andererseits profitierte Oberitalien von den nun stabileren politischen Verhältnissen.<ref>Elke Goez: ''Geschichte Italiens im Mittelalter''. Darmstadt 2010, S. 76 f.</ref>
 
[[Geschichte Italiens#Teil des Frankenreichs, „Nationalkönige“ (774–951)|Italien im Frühmittelalter]] war ein politisch zersplitterter Raum. Während des Zerfallsprozesses des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert stiegen lokale Machthaber auf. Sie regierten von 888 bis 961 als [[Nationalkönige|Könige]] unabhängig in Oberitalien, bis diese Region (außer der [[Republik Venedig]]) unter Otto I. in das Ostfrankenreich integriert wurde. Als [[Reichsitalien]] blieb es bis zum Ende des Mittelalters Teil des römisch-deutschen Reiches. In diesem Zusammenhang waren die von den Kaisern geförderten Bischöfe ein wichtiger Faktor zur Herrschaftssicherung. Die römisch-deutschen Könige seit Otto I. betrieben jedoch keine stringente [[Italienpolitik]], sondern mussten ihre Herrschaftsrechte ([[Regalien]]), vor allem in späterer Zeit, auch militärisch durchsetzen. Realpolitisch relevant war die Beherrschung Oberitaliens vor allem aufgrund der vergleichsweise hohen Wirtschafts- und Finanzkraft der dortigen Städte, die seit dem 11. Jahrhundert wieder aufblühten; eine Sonderrolle spielten die [[Seerepubliken]]. Zunächst standen viele Städte in Reichsitalien unter dem Einfluss der Bischöfe, bevor sie nach und nach an politischer Autonomie gewannen.<ref>Zu diesem Prozess siehe Chris Wickham: ''Early Medieval Italy''. London/Basingstoke 1981, S. 174 ff.</ref> Neben der immer noch relativ starken städtischen Kultur war auch die antike Kultur dort in Teilen bewahrt worden. Das schriftliche Niveau lag höher als im Norden, was für eine effektive Herrschaftsausübung vorteilhaft war, wenngleich die persönliche Präsenz des Herrschers weiterhin ein wichtiger Faktor war. Andererseits profitierte Oberitalien von den nun stabileren politischen Verhältnissen.<ref>Elke Goez: ''Geschichte Italiens im Mittelalter''. Darmstadt 2010, S. 76 f.</ref>
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=== Iberische Halbinsel ===
 
=== Iberische Halbinsel ===
[[Datei:CoronaRecesvinto01.JPG|mini|Krone des Westgotenkönigs [[Rekkeswinth]]]]
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In Hispanien und Südgallien hatte sich Ende des 5. Jahrhunderts das [[Westgotenreich]] etabliert. Die Westgoten mussten jedoch nach der schweren Niederlage in der [[Schlacht von Vouillé]] gegen die Franken 507 Gallien bis auf die Region um [[Narbonne]] räumen.<ref>Allgemein zum Westgotenreich ab dem 6. Jahrhundert siehe Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 140 ff.; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711''. Oxford 2004, S. 38 ff. Vgl. auch Manuel Koch: ''Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches''. Berlin/Boston 2012.</ref> [[Toledo]] wurde die neue Hauptstadt der Westgoten ''(Toledanisches Reich)'' und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. [[Leovigild]] war wie sein Sohn und Nachfolger [[Rekkared I.]] ein bedeutender Herrscher. Er eroberte 585 das [[Sueben]]reich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste Rekkared I., der 587 zum katholischen Glauben übertrat, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten.'' Paderborn 2008, S. 173 ff.</ref>
 
In Hispanien und Südgallien hatte sich Ende des 5. Jahrhunderts das [[Westgotenreich]] etabliert. Die Westgoten mussten jedoch nach der schweren Niederlage in der [[Schlacht von Vouillé]] gegen die Franken 507 Gallien bis auf die Region um [[Narbonne]] räumen.<ref>Allgemein zum Westgotenreich ab dem 6. Jahrhundert siehe Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 140 ff.; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711''. Oxford 2004, S. 38 ff. Vgl. auch Manuel Koch: ''Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches''. Berlin/Boston 2012.</ref> [[Toledo]] wurde die neue Hauptstadt der Westgoten ''(Toledanisches Reich)'' und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. [[Leovigild]] war wie sein Sohn und Nachfolger [[Rekkared I.]] ein bedeutender Herrscher. Er eroberte 585 das [[Sueben]]reich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste Rekkared I., der 587 zum katholischen Glauben übertrat, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten.'' Paderborn 2008, S. 173 ff.</ref>
    
Die Oströmer wurden zu Beginn des 7. Jahrhunderts aus Südspanien vertrieben und die Franken stellten keine unmittelbare Bedrohung mehr dar. Dennoch gelang es den folgenden westgotischen Königen nicht, eine dauerhafte Dynastie zu begründen. Grund dafür waren die internen Machtkämpfe im 7. Jahrhundert. Es kam immer wieder zu Rebellionen und Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Adelsgeschlechtern, wobei der Hofadel besonders einflussreich war.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 188 ff.</ref> Von den westgotischen Königen des 7. Jahrhunderts wurden mehr als die Hälfte abgesetzt oder ermordet. Dennoch gelang es einzelnen Königen durchaus sich zu behaupten, so etwa [[Chindaswinth]] (642–653) oder König [[Rekkeswinth]] (653–672). Unter Rekkeswinth herrschte im Reich wieder weitgehend Frieden. Er regierte im Einklang mit dem Adel und erließ 654 ein einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen. Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt. Der christliche Königsgedanke des Frühmittelalters wiederum war von der westgotischen Idee des sakral legitimierten Königtums beeinflusst. Kulturell erlebte das Reich um 600 eine Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant [[Isidor von Sevilla]] war. Das Westgotenreich erlangte, nicht zuletzt durch die Tradierung des Wissens in den dortigen Klosterschulen, eine beachtliche kulturelle Strahlkraft. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert; sie schlugen 711 König [[Roderich]] in der [[Schlacht am Río Guadalete]].<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 222 ff.</ref>
 
Die Oströmer wurden zu Beginn des 7. Jahrhunderts aus Südspanien vertrieben und die Franken stellten keine unmittelbare Bedrohung mehr dar. Dennoch gelang es den folgenden westgotischen Königen nicht, eine dauerhafte Dynastie zu begründen. Grund dafür waren die internen Machtkämpfe im 7. Jahrhundert. Es kam immer wieder zu Rebellionen und Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Adelsgeschlechtern, wobei der Hofadel besonders einflussreich war.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 188 ff.</ref> Von den westgotischen Königen des 7. Jahrhunderts wurden mehr als die Hälfte abgesetzt oder ermordet. Dennoch gelang es einzelnen Königen durchaus sich zu behaupten, so etwa [[Chindaswinth]] (642–653) oder König [[Rekkeswinth]] (653–672). Unter Rekkeswinth herrschte im Reich wieder weitgehend Frieden. Er regierte im Einklang mit dem Adel und erließ 654 ein einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen. Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt. Der christliche Königsgedanke des Frühmittelalters wiederum war von der westgotischen Idee des sakral legitimierten Königtums beeinflusst. Kulturell erlebte das Reich um 600 eine Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant [[Isidor von Sevilla]] war. Das Westgotenreich erlangte, nicht zuletzt durch die Tradierung des Wissens in den dortigen Klosterschulen, eine beachtliche kulturelle Strahlkraft. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert; sie schlugen 711 König [[Roderich]] in der [[Schlacht am Río Guadalete]].<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 222 ff.</ref>
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[[Datei:Map Iberian Peninsula 1000-de.svg|mini|hochkant=1.5|Die Iberische Halbinsel um das Jahr 1000]]
      
Die politische Lage auf der Iberischen Halbinsel war im weiteren Verlauf des Frühmittelalters recht kompliziert.<ref>Speziell zu Spanien im Frühmittelalter siehe Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012. Allgemeiner Überblick etwa bei [[Klaus Herbers]]: ''Geschichte Spaniens im Mittelalter''. Stuttgart 2006; [[Ludwig Vones]]: ''Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711–1480)''. Sigmaringen 1993 (jeweils mit weiterer Literatur).</ref> Nach dem Fall des Westgotenreichs drangen die [[Mauren]] zeitweilig sogar in das südliche Frankenreich vor. Alle Teile der Halbinsel kamen zunächst unter islamische Herrschaft, doch schon wenige Jahre nach der Invasion der Muslime formierte sich im Nordwesten Widerstand. Dort wählten christliche Adlige 718 den vornehmen Goten [[Pelayo|Pelagius]] zu ihrem König. Damit wurde das [[Königreich Asturien]] gegründet. Dies gilt als der Ausgangspunkt der ''[[Reconquista]]'',<ref>Nikolaus Jaspert: ''Die Reconquista.'' München 2019.</ref> der Rückeroberung durch die Christen, wobei manche christliche Herrscher die Anknüpfung an die Westgoten betonten (Neogotismus). Bis ins späte 15. Jahrhundert standen sich ein christlicher Norden und ein islamisch beherrschter, lange Zeit sehr viel mächtigerer und (allerdings nicht in der Anfangszeit der Eroberung) kulturell höher entwickelter Süden ([[Al-Andalus]])<ref>Zum islamischen Spanien vgl. aktuell etwa Brian A. Catlos: ''Kingdoms of Faith. A New History of Islamic Spain.'' New York 2018.</ref> gegenüber. Neben dem bestehenden Königreich [[Königreich León|Asturien-León]],<ref>Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012, S. 50 ff. und S. 138 ff.</ref> das im 10. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte und im 11. Jahrhundert mit Kastilien verbunden wurde, entstanden weitere christliche Reiche in Nordspanien: im 9. Jahrhundert die Grafschaft (seit [[Ferdinand I. (León)|Ferdinand I.]] im frühen 11. Jahrhundert: Königreich) [[Königreich Kastilien|Kastilien]] und das [[Königreich Navarra]]; hinzu kamen die ehemalige fränkische [[Spanische Mark]], aus der sich die [[Grafschaft Barcelona]] entwickelte, und im 11. Jahrhundert das Königreich [[Krone Aragon|Aragon]].<ref>Zu den christlichen Reichen zusammenfassend Klaus Herbers: ''Geschichte Spaniens im Mittelalter''. Stuttgart 2006, S. 102 ff.</ref> Die Christen profitierten von den innenpolitischen Krisen im [[Emirat von Córdoba|Emirat]] und dem späteren [[Kalifat von Córdoba]] und waren seit dem 9. Jahrhundert offensiver vorgegangen; trotz mancher Rückschläge und maurischer Gegenangriffe drängten sie die islamische Herrschaft Stück für Stück nach Süden zurück.
 
Die politische Lage auf der Iberischen Halbinsel war im weiteren Verlauf des Frühmittelalters recht kompliziert.<ref>Speziell zu Spanien im Frühmittelalter siehe Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012. Allgemeiner Überblick etwa bei [[Klaus Herbers]]: ''Geschichte Spaniens im Mittelalter''. Stuttgart 2006; [[Ludwig Vones]]: ''Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711–1480)''. Sigmaringen 1993 (jeweils mit weiterer Literatur).</ref> Nach dem Fall des Westgotenreichs drangen die [[Mauren]] zeitweilig sogar in das südliche Frankenreich vor. Alle Teile der Halbinsel kamen zunächst unter islamische Herrschaft, doch schon wenige Jahre nach der Invasion der Muslime formierte sich im Nordwesten Widerstand. Dort wählten christliche Adlige 718 den vornehmen Goten [[Pelayo|Pelagius]] zu ihrem König. Damit wurde das [[Königreich Asturien]] gegründet. Dies gilt als der Ausgangspunkt der ''[[Reconquista]]'',<ref>Nikolaus Jaspert: ''Die Reconquista.'' München 2019.</ref> der Rückeroberung durch die Christen, wobei manche christliche Herrscher die Anknüpfung an die Westgoten betonten (Neogotismus). Bis ins späte 15. Jahrhundert standen sich ein christlicher Norden und ein islamisch beherrschter, lange Zeit sehr viel mächtigerer und (allerdings nicht in der Anfangszeit der Eroberung) kulturell höher entwickelter Süden ([[Al-Andalus]])<ref>Zum islamischen Spanien vgl. aktuell etwa Brian A. Catlos: ''Kingdoms of Faith. A New History of Islamic Spain.'' New York 2018.</ref> gegenüber. Neben dem bestehenden Königreich [[Königreich León|Asturien-León]],<ref>Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012, S. 50 ff. und S. 138 ff.</ref> das im 10. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte und im 11. Jahrhundert mit Kastilien verbunden wurde, entstanden weitere christliche Reiche in Nordspanien: im 9. Jahrhundert die Grafschaft (seit [[Ferdinand I. (León)|Ferdinand I.]] im frühen 11. Jahrhundert: Königreich) [[Königreich Kastilien|Kastilien]] und das [[Königreich Navarra]]; hinzu kamen die ehemalige fränkische [[Spanische Mark]], aus der sich die [[Grafschaft Barcelona]] entwickelte, und im 11. Jahrhundert das Königreich [[Krone Aragon|Aragon]].<ref>Zu den christlichen Reichen zusammenfassend Klaus Herbers: ''Geschichte Spaniens im Mittelalter''. Stuttgart 2006, S. 102 ff.</ref> Die Christen profitierten von den innenpolitischen Krisen im [[Emirat von Córdoba|Emirat]] und dem späteren [[Kalifat von Córdoba]] und waren seit dem 9. Jahrhundert offensiver vorgegangen; trotz mancher Rückschläge und maurischer Gegenangriffe drängten sie die islamische Herrschaft Stück für Stück nach Süden zurück.
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[[Datei:Spain Andalusia Cordoba BW 2015-10-27 13-54-14.jpg|mini|Innenansicht der [[Mezquita-Catedral de Córdoba]]]]
      
Daneben gab es aber immer wieder Phasen der Koexistenz. In Al-Andalus lebten Muslime, Christen und Juden weitgehend friedlich zusammen, wenngleich es auch einige Übergriffe von Muslimen auf Christen gab und die Koexistenz nicht idealisiert werden sollte.<ref>Vgl. dazu Darío Fernández-Morera: ''The Myth of the Andalusian Paradise''. In: ''The Intercollegiate Review'' 41, 2006, S. 23–31.</ref> Die Kultur im islamischen Spanien stand im 10. Jahrhundert in voller Blüte. [[Córdoba (Spanien)|Córdoba]] war zu dieser Zeit eine der größten und reichsten Städte des Mittelmeerraums. Es fand auch ein kultureller Austauschprozess statt, der für die christliche Seite sehr vorteilhaft war. Die Mehrheit der Bevölkerung im maurischen Spanien war noch im 10. Jahrhundert christlich ([[Mozaraber]]).<ref>Zur Lage der Christen im islamischen Spanien siehe zusammenfassend Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012, S. 83–103.</ref> Es fanden aber Abwanderungen in die christlichen Reiche und Konversionen zum Islam statt, vor allem als sich die tolerante muslimische Religionspolitik später teils änderte. Unter [[Sancho III. (Navarra)|Sancho III.]] von Navarra, der sein Reich erheblich ausgedehnt hatte, erlebte das christliche Spanien im frühen 11. Jahrhundert eine politische und kulturelle Erstarkung (gestützt durch eine Klosterreform). Sancho teilte sein Reich unter seinen Söhnen auf, doch wurden nun diese Reiche von Nachfahren derselben Dynastie regiert. Nach dem Fall des Kalifats von Córdoba 1031 spaltete sich der islamische Süden in zahlreiche Klein- und Kleinstreiche auf ([[Taifa-Königreiche]]), was die christlichen Herrscher ausnutzten. 1085 fiel die ehemalige westgotische Königsstadt Toledo an [[Alfons VI. (León)|Alfons VI.]] von León-Kastilien, woraufhin die muslimischen Herrscher in [[Sevilla]] und [[Granada]] die [[Almoraviden]] aus Nordafrika zu Hilfe riefen, die Alfons 1086 in der [[Schlacht bei Zallaqa]] schlugen, bald aber eigene Herrschaften errichteten.
 
Daneben gab es aber immer wieder Phasen der Koexistenz. In Al-Andalus lebten Muslime, Christen und Juden weitgehend friedlich zusammen, wenngleich es auch einige Übergriffe von Muslimen auf Christen gab und die Koexistenz nicht idealisiert werden sollte.<ref>Vgl. dazu Darío Fernández-Morera: ''The Myth of the Andalusian Paradise''. In: ''The Intercollegiate Review'' 41, 2006, S. 23–31.</ref> Die Kultur im islamischen Spanien stand im 10. Jahrhundert in voller Blüte. [[Córdoba (Spanien)|Córdoba]] war zu dieser Zeit eine der größten und reichsten Städte des Mittelmeerraums. Es fand auch ein kultureller Austauschprozess statt, der für die christliche Seite sehr vorteilhaft war. Die Mehrheit der Bevölkerung im maurischen Spanien war noch im 10. Jahrhundert christlich ([[Mozaraber]]).<ref>Zur Lage der Christen im islamischen Spanien siehe zusammenfassend Roger Collins: ''Caliphs and Kings: Spain, 796–1031.'' Chichester u.&nbsp;a. 2012, S. 83–103.</ref> Es fanden aber Abwanderungen in die christlichen Reiche und Konversionen zum Islam statt, vor allem als sich die tolerante muslimische Religionspolitik später teils änderte. Unter [[Sancho III. (Navarra)|Sancho III.]] von Navarra, der sein Reich erheblich ausgedehnt hatte, erlebte das christliche Spanien im frühen 11. Jahrhundert eine politische und kulturelle Erstarkung (gestützt durch eine Klosterreform). Sancho teilte sein Reich unter seinen Söhnen auf, doch wurden nun diese Reiche von Nachfahren derselben Dynastie regiert. Nach dem Fall des Kalifats von Córdoba 1031 spaltete sich der islamische Süden in zahlreiche Klein- und Kleinstreiche auf ([[Taifa-Königreiche]]), was die christlichen Herrscher ausnutzten. 1085 fiel die ehemalige westgotische Königsstadt Toledo an [[Alfons VI. (León)|Alfons VI.]] von León-Kastilien, woraufhin die muslimischen Herrscher in [[Sevilla]] und [[Granada]] die [[Almoraviden]] aus Nordafrika zu Hilfe riefen, die Alfons 1086 in der [[Schlacht bei Zallaqa]] schlugen, bald aber eigene Herrschaften errichteten.
    
=== Die britischen Inseln ===
 
=== Die britischen Inseln ===
[[Datei:2008-05-17-SuttonHoo.jpg|mini|Rekonstruierter Helm eines Fürsten (vermutlich König [[Rædwald]]) aus [[Sutton Hoo]] ([[British Museum]])]]
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Über die Vorgänge in [[Britannien]] unmittelbar nach dem Abzug der Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts liegen fast keine schriftlichen Zeugnisse vor, weshalb kaum Details bekannt sind. Der grobe Rahmen kann aber anhand der wenigen schriftlichen und archäologischen Quellen zumindest annähernd rekonstruiert werden.<ref>Vgl. zusammenfassend Evangelos Chrysos: ''Die Römerherrschaft in Britannien und ihr Ende.'' In: ''Bonner Jahrbücher'' 191 (1991), S. 247–276.</ref> Das Feldheer hatte die Insel 407/8 unter dem Gegenkaiser [[Konstantin III. (Rom)|Konstantin III.]] wohl vollständig geräumt, es ist aber schwer vorstellbar, dass nicht zumindest ein Minimum an Garnisonstruppen zurückgelassen worden ist, da die Insel als Ganzes wohl nicht aufgegeben werden sollte. Die wenigen Verbände dürften sich erst im Laufe der Zeit aufgelöst haben, als die Insel faktisch sich selbst überlassen wurde, weshalb es 409 in Britannien zum Aufstand kam.<ref>Vgl. Peter Salway: ''A History of Roman Britain.'' Oxford 2001, S. 323ff.</ref> Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch längere Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche ''(Sub-Roman Britain)''.<ref>Vgl. David Dumville: ''Sub-Roman Britain: History and Legend.'' In: ''History'' 62, 1977, S. 173–192. Allgemein zu den Angelsachsen siehe: Michael Lapidge, John Blair, Simon Keynes, Donald Scragg (Hrsg.): ''The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England.'' 2. Aufl. Chichester 2014; James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982 (mehrere NDe); Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 173ff.; Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013 [recht umfassender aktueller Überblick]; Harald Kleinschmidt: ''Die Angelsachsen''. München 2011 [knappe Einführung]; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017 [aktuelle Einführung]. Frank M. Stenton: ''Anglo-Saxon England''. 3. Aufl. Oxford 1971 [wichtige ältere, teils aber überholte Darstellung].</ref> In dieser Zeit kamen [[Angelsachsen]] in relativ geringer Anzahl als Söldner nach Britannien und übernahmen statt römischer Soldaten Verteidigungsaufgaben. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts erhoben sie sich gegen die romano-britischen Herrscher, wobei die Gründe nicht ganz klar sind.<ref>Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 103ff.</ref>
 
Über die Vorgänge in [[Britannien]] unmittelbar nach dem Abzug der Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts liegen fast keine schriftlichen Zeugnisse vor, weshalb kaum Details bekannt sind. Der grobe Rahmen kann aber anhand der wenigen schriftlichen und archäologischen Quellen zumindest annähernd rekonstruiert werden.<ref>Vgl. zusammenfassend Evangelos Chrysos: ''Die Römerherrschaft in Britannien und ihr Ende.'' In: ''Bonner Jahrbücher'' 191 (1991), S. 247–276.</ref> Das Feldheer hatte die Insel 407/8 unter dem Gegenkaiser [[Konstantin III. (Rom)|Konstantin III.]] wohl vollständig geräumt, es ist aber schwer vorstellbar, dass nicht zumindest ein Minimum an Garnisonstruppen zurückgelassen worden ist, da die Insel als Ganzes wohl nicht aufgegeben werden sollte. Die wenigen Verbände dürften sich erst im Laufe der Zeit aufgelöst haben, als die Insel faktisch sich selbst überlassen wurde, weshalb es 409 in Britannien zum Aufstand kam.<ref>Vgl. Peter Salway: ''A History of Roman Britain.'' Oxford 2001, S. 323ff.</ref> Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch längere Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche ''(Sub-Roman Britain)''.<ref>Vgl. David Dumville: ''Sub-Roman Britain: History and Legend.'' In: ''History'' 62, 1977, S. 173–192. Allgemein zu den Angelsachsen siehe: Michael Lapidge, John Blair, Simon Keynes, Donald Scragg (Hrsg.): ''The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England.'' 2. Aufl. Chichester 2014; James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982 (mehrere NDe); Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 173ff.; Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013 [recht umfassender aktueller Überblick]; Harald Kleinschmidt: ''Die Angelsachsen''. München 2011 [knappe Einführung]; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017 [aktuelle Einführung]. Frank M. Stenton: ''Anglo-Saxon England''. 3. Aufl. Oxford 1971 [wichtige ältere, teils aber überholte Darstellung].</ref> In dieser Zeit kamen [[Angelsachsen]] in relativ geringer Anzahl als Söldner nach Britannien und übernahmen statt römischer Soldaten Verteidigungsaufgaben. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts erhoben sie sich gegen die romano-britischen Herrscher, wobei die Gründe nicht ganz klar sind.<ref>Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 103ff.</ref>
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Die südlichen angelsächsischen Reiche gerieten in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in die Abhängigkeit Mercias, das unter [[Offa von Mercien|Offa]] zeitweise zum mächtigsten Reich in England aufstieg, während Northumbria aufgrund des mercischen Widerstands nach Norden expandierte. Die Vorherrschaft Mercias<ref>Vgl. dazu nun Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 179ff.; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017, S. 71ff.</ref> unter den angelsächsischen Reichen war nur von kurzer Dauer.<ref>Allgemeiner Überblick bei Simon Keynes: ''England, 700–900''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 2. Cambridge 1995, S. 18–42; Barbara Yorke: ''Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England''. London/New York 1990.</ref> Bereits im frühen 9. Jahrhundert befreiten sich East Anglia und Kent von der mercischen Vorherrschaft. Unter [[Egbert von Wessex|Egbert]] gewann Wessex wieder zunehmend an Einfluss. Mit dem Sieg über Mercia in der Schlacht von Ellendun 825 wurde die mercische Hegemonie endgültig gebrochen und Wessex annektierte mehrere andere angelsächsische Gebiete.<ref>Zur Geschichte von Wessex in dieser Zeit siehe Barbara Yorke: ''Wessex in the Early Middle Ages.'' London/New York 1995, S. 94&nbsp;ff.</ref> Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kontrollierte Wessex ganz England südlich der Themse, als 866 die große [[Wikinger]]invasion begann.
 
Die südlichen angelsächsischen Reiche gerieten in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in die Abhängigkeit Mercias, das unter [[Offa von Mercien|Offa]] zeitweise zum mächtigsten Reich in England aufstieg, während Northumbria aufgrund des mercischen Widerstands nach Norden expandierte. Die Vorherrschaft Mercias<ref>Vgl. dazu nun Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 179ff.; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017, S. 71ff.</ref> unter den angelsächsischen Reichen war nur von kurzer Dauer.<ref>Allgemeiner Überblick bei Simon Keynes: ''England, 700–900''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 2. Cambridge 1995, S. 18–42; Barbara Yorke: ''Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England''. London/New York 1990.</ref> Bereits im frühen 9. Jahrhundert befreiten sich East Anglia und Kent von der mercischen Vorherrschaft. Unter [[Egbert von Wessex|Egbert]] gewann Wessex wieder zunehmend an Einfluss. Mit dem Sieg über Mercia in der Schlacht von Ellendun 825 wurde die mercische Hegemonie endgültig gebrochen und Wessex annektierte mehrere andere angelsächsische Gebiete.<ref>Zur Geschichte von Wessex in dieser Zeit siehe Barbara Yorke: ''Wessex in the Early Middle Ages.'' London/New York 1995, S. 94&nbsp;ff.</ref> Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kontrollierte Wessex ganz England südlich der Themse, als 866 die große [[Wikinger]]invasion begann.
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[[Datei:England 878 de.svg|mini|hochkant=1.5|Britannien um 878]]
      
Das angelsächsische England war besonders in der Frühzeit mit [[Skandinavien]] verbunden.<ref>James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982, S. 61.</ref> 865/66 schlossen sich jedoch mehrere Wikingerführer (darunter [[Ivar Ragnarsson]], ein Held der skandinavischen Saga-Literatur) zusammen und fielen von Dänemark aus mit einem großen Heer in Nordostengland ein, wobei sie plünderten und zahlreiche Bewohner töteten.<ref>Aktueller Überblick bei Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 232ff. und bei Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017, S. 93ff. Vgl. auch James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982, S. 132ff.; Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 359&nbsp;ff.</ref> Der Einfall steht wahrscheinlich in Verbindung mit den verstärkten Abwehrbemühungen im Frankenreich, so dass England ein leichteres Ziel darstellte. Das Wikingerheer war offenbar den angelsächsischen Truppen zahlenmäßig überlegen. 871 kontrollierten die Wikinger bereits den Osten Englands, von [[York]] im Norden bis in den Raum [[London]]. Doch erst in den 870er Jahren begannen sie sich dort anzusiedeln, wenngleich sie teils angelsächsische Schattenkönige einsetzten. Damit zerbrach die bisherige politische Ordnung der angelsächsischen Reiche, nur Wessex blieb zunächst relativ unbeschadet. Mit [[Alfred der Große|Alfred von Wessex]] (reg. 871–899), später „Alfred der Große“ genannt, begann jedoch die Zurückdrängung der Wikinger und eine bedeutende Zeit des angelsächsischen Englands.<ref>Richard Abels: ''Alfred the Great''. London 1998.</ref> Nach anfänglichen Rückschlägen besiegte Alfred die Wikinger 878 in der Schlacht von Edington. Sein Gegner [[Guthrum]] ließ sich taufen und zog sich aus Wessex zurück; 886 wurde in einem Vertrag die Grenze zwischen Angelsachsen und [[Danelag]] festgelegt. Faktisch herrschte Alfred zu diesem Zeitpunkt über alle Angelsachsen, die nicht im dänischen Herrschaftsbereich lebten. Zur weiteren Abwehr gegen die Wikinger, die gegen Ende seiner Regierungszeit wieder angriffen, wurden ''burhs'' (befestigte Plätze) eingerichtet und eine Kriegsflotte aufgestellt. Im Inneren betrieb er nach dem karolingischen Vorbild eine wirksame Kulturförderung.
 
Das angelsächsische England war besonders in der Frühzeit mit [[Skandinavien]] verbunden.<ref>James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982, S. 61.</ref> 865/66 schlossen sich jedoch mehrere Wikingerführer (darunter [[Ivar Ragnarsson]], ein Held der skandinavischen Saga-Literatur) zusammen und fielen von Dänemark aus mit einem großen Heer in Nordostengland ein, wobei sie plünderten und zahlreiche Bewohner töteten.<ref>Aktueller Überblick bei Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013, S. 232ff. und bei Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017, S. 93ff. Vgl. auch James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982, S. 132ff.; Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 359&nbsp;ff.</ref> Der Einfall steht wahrscheinlich in Verbindung mit den verstärkten Abwehrbemühungen im Frankenreich, so dass England ein leichteres Ziel darstellte. Das Wikingerheer war offenbar den angelsächsischen Truppen zahlenmäßig überlegen. 871 kontrollierten die Wikinger bereits den Osten Englands, von [[York]] im Norden bis in den Raum [[London]]. Doch erst in den 870er Jahren begannen sie sich dort anzusiedeln, wenngleich sie teils angelsächsische Schattenkönige einsetzten. Damit zerbrach die bisherige politische Ordnung der angelsächsischen Reiche, nur Wessex blieb zunächst relativ unbeschadet. Mit [[Alfred der Große|Alfred von Wessex]] (reg. 871–899), später „Alfred der Große“ genannt, begann jedoch die Zurückdrängung der Wikinger und eine bedeutende Zeit des angelsächsischen Englands.<ref>Richard Abels: ''Alfred the Great''. London 1998.</ref> Nach anfänglichen Rückschlägen besiegte Alfred die Wikinger 878 in der Schlacht von Edington. Sein Gegner [[Guthrum]] ließ sich taufen und zog sich aus Wessex zurück; 886 wurde in einem Vertrag die Grenze zwischen Angelsachsen und [[Danelag]] festgelegt. Faktisch herrschte Alfred zu diesem Zeitpunkt über alle Angelsachsen, die nicht im dänischen Herrschaftsbereich lebten. Zur weiteren Abwehr gegen die Wikinger, die gegen Ende seiner Regierungszeit wieder angriffen, wurden ''burhs'' (befestigte Plätze) eingerichtet und eine Kriegsflotte aufgestellt. Im Inneren betrieb er nach dem karolingischen Vorbild eine wirksame Kulturförderung.
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=== Skandinavien ===
 
=== Skandinavien ===
[[Datei:Helmet from a 7th century boat grave, Vendel era.jpg|mini|Helm aus einem der Vendelgräber, 7. Jahrhundert]]
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Mehrere germanische Stämme der [[Völkerwanderung]]szeit beanspruchten in ihren [[Origo gentis|Herkunftsgeschichten]] eine Abstammung aus [[Skandinavien]], doch wird dies in der modernen Forschung in der Regel als [[Topos (Geisteswissenschaft)|Topos]] betrachtet, der vor allem der Identitätsstiftung diente und zusätzliche Legitimation verschaffen sollte.<ref>[[Alheydis Plassmann]]: ''Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen''. Berlin 2006.</ref> Das beginnende Frühmittelalter im skandinavischen Raum wird in der modernen Forschung als [[Vendelzeit]] (Schweden, nach den reichen Grabfunden in [[Vendel (Schweden)|Vendel]]), [[Merowinger]]zeit (Norwegen) oder jüngere germanische Eisenzeit (Dänemark) bezeichnet. Über diesen Zeitraum sind nur wenige Details bekannt, vor allem auf Grundlage archäologischer Funde. In der Forschung wurde oft angenommen, dass sich im späten 6. und im 7. Jahrhundert ein Niedergang vollzogen habe, wobei mehrere Siedlungen verfallen seien. Neuere Untersuchungen zeigen hingegen, dass zahlreiche Siedlungen kontinuierlich bewohnt blieben. Um 600 wurden zusätzliche Flächen kultiviert und Funde deuten auf weiterhin aktive politische Zentren von Häuptlingen und [[Kleinkönig]]en hin; allerdings fehlen teilweise noch Studien für einzelne Regionen.<ref>Einführend siehe [[Lotte Hedeager]]: ''Scandinavia''. In: Paul Fouracre (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 1. Cambridge 2005, S. 496–523; Bjørn Myhre: ''The Iron Age''. In: Knut Helle (Hrsg.): ''The Cambridge History of Scandinavia''. Band 1. Cambridge 2003, S. 60–93, hier S. 83 ff.</ref>
 
Mehrere germanische Stämme der [[Völkerwanderung]]szeit beanspruchten in ihren [[Origo gentis|Herkunftsgeschichten]] eine Abstammung aus [[Skandinavien]], doch wird dies in der modernen Forschung in der Regel als [[Topos (Geisteswissenschaft)|Topos]] betrachtet, der vor allem der Identitätsstiftung diente und zusätzliche Legitimation verschaffen sollte.<ref>[[Alheydis Plassmann]]: ''Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen''. Berlin 2006.</ref> Das beginnende Frühmittelalter im skandinavischen Raum wird in der modernen Forschung als [[Vendelzeit]] (Schweden, nach den reichen Grabfunden in [[Vendel (Schweden)|Vendel]]), [[Merowinger]]zeit (Norwegen) oder jüngere germanische Eisenzeit (Dänemark) bezeichnet. Über diesen Zeitraum sind nur wenige Details bekannt, vor allem auf Grundlage archäologischer Funde. In der Forschung wurde oft angenommen, dass sich im späten 6. und im 7. Jahrhundert ein Niedergang vollzogen habe, wobei mehrere Siedlungen verfallen seien. Neuere Untersuchungen zeigen hingegen, dass zahlreiche Siedlungen kontinuierlich bewohnt blieben. Um 600 wurden zusätzliche Flächen kultiviert und Funde deuten auf weiterhin aktive politische Zentren von Häuptlingen und [[Kleinkönig]]en hin; allerdings fehlen teilweise noch Studien für einzelne Regionen.<ref>Einführend siehe [[Lotte Hedeager]]: ''Scandinavia''. In: Paul Fouracre (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 1. Cambridge 2005, S. 496–523; Bjørn Myhre: ''The Iron Age''. In: Knut Helle (Hrsg.): ''The Cambridge History of Scandinavia''. Band 1. Cambridge 2003, S. 60–93, hier S. 83 ff.</ref>
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Im Donauraum tauchten zur Zeit Justinians die [[Anten]] auf.<ref>Zu Justinians Balkanpolitik siehe nun Alexander Sarantis: ''Justinian’s Balkan Wars. Campaigning, Diplomacy and Development in Illyricum, Thace and the Northern World A.D. 527-65.'' Prenton 2016.</ref> In der Folgezeit überschritten offenbar mehrere slawischen Gruppen die Donau, wobei sie zunächst unter der Oberherrschaft der [[Awaren]] standen. Diese hatten Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein eigenes Reich errichtet, bevor die Macht der Awarenkhagane im 7. Jahrhundert spürbar nachließ.<ref>Zu den Awaren siehe vor allem Walter Pohl: ''Die Awaren''. 2. Auflage. München 2002.</ref> Seit den 580er Jahren geriet die byzantinische Grenzverteidigung im Donauraum unter massiven Druck und gab schließlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach, zumal die Truppen im Osten im Kampf gegen die Perser benötigt wurden. Slawen fielen daraufhin in die römischen Balkanprovinzen und in Griechenland ein. 626 belagerten Slawen als awarische Untertanen vergeblich [[Konstantinopel]]. Nach dem Zusammenbruch der awarischen Vorherrschaft bildeten sich im Balkanraum mehrere slawische Herrschaften, die von den Byzantinern als [[Sklavinien]] bezeichnet wurden.<ref>Florin Curta: ''The Making of the Slavs''. Cambridge 2001, S. 120 ff.</ref> Es fand eine faktische [[Landnahme der Slawen auf dem Balkan|Landnahme]] statt, auch in Teilen Griechenlands siedelten sich Slawen an, wo es aber nach der byzantinischen Rückeroberung zu einer Rehellenisierung kam. Die byzantinischen Städte im Balkanraum schrumpften, wirtschaftlich und demographisch bedeutete dies ebenfalls einen erheblichen Verlust, wenngleich nur wenige Details bekannt sind.<ref>Vgl. Florin Curta: ''Southeastern Europe in the Middle Ages, 500–1250''. Cambridge 2006, S. 70 ff.</ref> Andererseits übte Byzanz in der Folgezeit noch einen großen kulturellen Einfluss auf die Balkanreiche aus.
 
Im Donauraum tauchten zur Zeit Justinians die [[Anten]] auf.<ref>Zu Justinians Balkanpolitik siehe nun Alexander Sarantis: ''Justinian’s Balkan Wars. Campaigning, Diplomacy and Development in Illyricum, Thace and the Northern World A.D. 527-65.'' Prenton 2016.</ref> In der Folgezeit überschritten offenbar mehrere slawischen Gruppen die Donau, wobei sie zunächst unter der Oberherrschaft der [[Awaren]] standen. Diese hatten Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein eigenes Reich errichtet, bevor die Macht der Awarenkhagane im 7. Jahrhundert spürbar nachließ.<ref>Zu den Awaren siehe vor allem Walter Pohl: ''Die Awaren''. 2. Auflage. München 2002.</ref> Seit den 580er Jahren geriet die byzantinische Grenzverteidigung im Donauraum unter massiven Druck und gab schließlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach, zumal die Truppen im Osten im Kampf gegen die Perser benötigt wurden. Slawen fielen daraufhin in die römischen Balkanprovinzen und in Griechenland ein. 626 belagerten Slawen als awarische Untertanen vergeblich [[Konstantinopel]]. Nach dem Zusammenbruch der awarischen Vorherrschaft bildeten sich im Balkanraum mehrere slawische Herrschaften, die von den Byzantinern als [[Sklavinien]] bezeichnet wurden.<ref>Florin Curta: ''The Making of the Slavs''. Cambridge 2001, S. 120 ff.</ref> Es fand eine faktische [[Landnahme der Slawen auf dem Balkan|Landnahme]] statt, auch in Teilen Griechenlands siedelten sich Slawen an, wo es aber nach der byzantinischen Rückeroberung zu einer Rehellenisierung kam. Die byzantinischen Städte im Balkanraum schrumpften, wirtschaftlich und demographisch bedeutete dies ebenfalls einen erheblichen Verlust, wenngleich nur wenige Details bekannt sind.<ref>Vgl. Florin Curta: ''Southeastern Europe in the Middle Ages, 500–1250''. Cambridge 2006, S. 70 ff.</ref> Andererseits übte Byzanz in der Folgezeit noch einen großen kulturellen Einfluss auf die Balkanreiche aus.
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[[Datei:Bulgaria krum map pl.jpg|mini|hochkant=1.5|Das Bulgarenreich unter Krum]]
      
Erst im 8. Jahrhundert konnte Byzanz in diesem Raum wieder in die Offensive gehen, als mit den (später slawisierten) [[Protobulgaren]] bereits ein neuer Gegner auftauchte, der ebenfalls eine Bedrohung für Byzanz darstellte, während die [[Wolgabulgaren]] eine eigene Reichsbildung betrieben. Trotz [[Byzantinisch-Bulgarische Kriege|byzantinischer Militäroperationen]] (dabei unterlag eine byzantinische Armee bereits 679, während im 8. Jahrhundert Operationen teils sehr erfolgreich verliefen), konnte sich das Bulgarenreich in den Kämpfen mit den Byzantinern behaupten, wie etwa die Erfolge [[Krum (Bulgarien)|Krums]] belegen.<ref>Aktueller Überblick zur bulgarischen Reichsbildung bei Daniel Ziemann: ''Vom Wandervolk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter.'' Köln u.&nbsp;a. 2007, S. 180 ff.</ref> Es kam im bulgarischen Herrschaftsraum zunehmend zu einer Verschmelzung der protobulgarischen und slawischen Gruppen. Unter [[Omurtag]] kam es zu einer intensiven Bautätigkeit im Reich, Bulgarien wurde aber ebenso von byzantinischen Einflüssen geprägt. Unter [[Boris I.]], der sich 865 auf den Namen Michael taufen ließ, verstärkte sich im 9. Jahrhundert die Christianisierung trotz mancher Widerstände bulgarischer [[Bojaren]]. Die stetige Slawisierung Bulgariens gipfelte in der Übernahme der Liturgie in slawischer Sprache und des [[Kyrillisches Alphabet|kyrillischen Alphabets]]. Höhepunkt der frühmittelalterlichen bulgarischen Geschichte stellte die Regierungszeit [[Simeon I. (Bulgarien)|Simeons I.]] im frühen 10. Jahrhundert dar, der gebildet und militärisch erfolgreich war. Er war der erste bulgarische und slawische Herrscher mit dem Titel [[Zar]], der slawischen Entsprechung für einen (regional begrenzten) Kaisertitel. Die Kampfhandlungen mit Byzanz flackerten immer wieder auf, bevor Kaiser [[Basileios II.]] nach brutalen Kämpfen die Bulgaren 1014 entscheidend schlug und das Bulgarenreich 1018 eroberte.
 
Erst im 8. Jahrhundert konnte Byzanz in diesem Raum wieder in die Offensive gehen, als mit den (später slawisierten) [[Protobulgaren]] bereits ein neuer Gegner auftauchte, der ebenfalls eine Bedrohung für Byzanz darstellte, während die [[Wolgabulgaren]] eine eigene Reichsbildung betrieben. Trotz [[Byzantinisch-Bulgarische Kriege|byzantinischer Militäroperationen]] (dabei unterlag eine byzantinische Armee bereits 679, während im 8. Jahrhundert Operationen teils sehr erfolgreich verliefen), konnte sich das Bulgarenreich in den Kämpfen mit den Byzantinern behaupten, wie etwa die Erfolge [[Krum (Bulgarien)|Krums]] belegen.<ref>Aktueller Überblick zur bulgarischen Reichsbildung bei Daniel Ziemann: ''Vom Wandervolk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter.'' Köln u.&nbsp;a. 2007, S. 180 ff.</ref> Es kam im bulgarischen Herrschaftsraum zunehmend zu einer Verschmelzung der protobulgarischen und slawischen Gruppen. Unter [[Omurtag]] kam es zu einer intensiven Bautätigkeit im Reich, Bulgarien wurde aber ebenso von byzantinischen Einflüssen geprägt. Unter [[Boris I.]], der sich 865 auf den Namen Michael taufen ließ, verstärkte sich im 9. Jahrhundert die Christianisierung trotz mancher Widerstände bulgarischer [[Bojaren]]. Die stetige Slawisierung Bulgariens gipfelte in der Übernahme der Liturgie in slawischer Sprache und des [[Kyrillisches Alphabet|kyrillischen Alphabets]]. Höhepunkt der frühmittelalterlichen bulgarischen Geschichte stellte die Regierungszeit [[Simeon I. (Bulgarien)|Simeons I.]] im frühen 10. Jahrhundert dar, der gebildet und militärisch erfolgreich war. Er war der erste bulgarische und slawische Herrscher mit dem Titel [[Zar]], der slawischen Entsprechung für einen (regional begrenzten) Kaisertitel. Die Kampfhandlungen mit Byzanz flackerten immer wieder auf, bevor Kaiser [[Basileios II.]] nach brutalen Kämpfen die Bulgaren 1014 entscheidend schlug und das Bulgarenreich 1018 eroberte.
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=== Byzanz ===
 
=== Byzanz ===
[[Datei:Byzantine-Arab naval struggle-de.svg|mini|hochkant=1.5|Byzanz und das Kalifat im Frühmittelalter]]
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Das Oströmische Reich hatte sich im Laufe des 7. Jahrhunderts tiefgreifend gewandelt. Das in Armee und Verwaltung noch gesprochene Latein war endgültig dem Griechischen gewichen; aufgrund der [[Islamische Expansion|arabischen Eroberungen]] sowie der Bedrohung der Balkangebiete waren um die Mitte des 7. Jahrhunderts an den Grenzen Militärprovinzen entstanden, die sogenannten [[Thema (byzantinische Verwaltung)|Themen]].<ref>Zur (umstrittenen) Entstehung der Themen siehe zusammenfassend John Haldon: ''Military Service, Military Lands, and the Status of Soldiers. Current Problems and Interpretations''. In: ''Dumbarton Oaks Papers'' 47, 1993, S. 1–67.</ref> Auf dem Fundament römischen Staatswesens, griechischer Kultur und christlich-orthodoxen Glaubens entstand das mittelalterliche [[Byzantinisches Reich|Byzanz]].<ref>Zur sogenannten mittelbyzantinischen Zeit siehe neben den diversen allgemeinen Handbüchern vor allem Leslie Brubaker, John F. Haldon: ''Byzantium in the Iconoclast era. c. 680–850. A History''. Cambridge u. a. 2011; Michael J. Decker: ''The Byzantine Dark Ages.'' London/New York 2016; John F. Haldon: ''The Empire That Would Not Die. The Paradox of Eastern Roman Survival, 640–740.'' Cambridge (Massachusetts) 2016; John F. Haldon: ''Byzantium in the Seventh Century''. 2. Aufl. Cambridge 1997; Mark Whittow: ''The Making of Byzantium, 600–1025''. Berkeley 1996. Vgl. allgemein auch Falko Daim (Hrsg.): ''Byzanz. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch (Der Neue Pauly, Supplemente, Bd. 11).'' Stuttgart 2016. Wichtig ist des Weiteren die ''[[Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit]]''.</ref> Die Abwehrkämpfe gegen die Araber dauerten bis ins 8./9. Jahrhundert an.<ref>Ralph-Johannes Lilie: ''Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. Studien zur Strukturwandlung des byzantinischen Staates im 7. und 8. Jahrhundert''. München 1976. Zu den diplomatischen Kontakten bis Mitte des 8. Jahrhunderts siehe Andreas Kaplony: ''Konstantinopel und Damaskus. Gesandtschaften und Verträge zwischen Kaisern und Kalifen 639-750.'' Berlin 1996 ([http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/iud/content/structure/1357909 Menadoc Bibliothek, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle]).</ref>
 
Das Oströmische Reich hatte sich im Laufe des 7. Jahrhunderts tiefgreifend gewandelt. Das in Armee und Verwaltung noch gesprochene Latein war endgültig dem Griechischen gewichen; aufgrund der [[Islamische Expansion|arabischen Eroberungen]] sowie der Bedrohung der Balkangebiete waren um die Mitte des 7. Jahrhunderts an den Grenzen Militärprovinzen entstanden, die sogenannten [[Thema (byzantinische Verwaltung)|Themen]].<ref>Zur (umstrittenen) Entstehung der Themen siehe zusammenfassend John Haldon: ''Military Service, Military Lands, and the Status of Soldiers. Current Problems and Interpretations''. In: ''Dumbarton Oaks Papers'' 47, 1993, S. 1–67.</ref> Auf dem Fundament römischen Staatswesens, griechischer Kultur und christlich-orthodoxen Glaubens entstand das mittelalterliche [[Byzantinisches Reich|Byzanz]].<ref>Zur sogenannten mittelbyzantinischen Zeit siehe neben den diversen allgemeinen Handbüchern vor allem Leslie Brubaker, John F. Haldon: ''Byzantium in the Iconoclast era. c. 680–850. A History''. Cambridge u. a. 2011; Michael J. Decker: ''The Byzantine Dark Ages.'' London/New York 2016; John F. Haldon: ''The Empire That Would Not Die. The Paradox of Eastern Roman Survival, 640–740.'' Cambridge (Massachusetts) 2016; John F. Haldon: ''Byzantium in the Seventh Century''. 2. Aufl. Cambridge 1997; Mark Whittow: ''The Making of Byzantium, 600–1025''. Berkeley 1996. Vgl. allgemein auch Falko Daim (Hrsg.): ''Byzanz. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch (Der Neue Pauly, Supplemente, Bd. 11).'' Stuttgart 2016. Wichtig ist des Weiteren die ''[[Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit]]''.</ref> Die Abwehrkämpfe gegen die Araber dauerten bis ins 8./9. Jahrhundert an.<ref>Ralph-Johannes Lilie: ''Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. Studien zur Strukturwandlung des byzantinischen Staates im 7. und 8. Jahrhundert''. München 1976. Zu den diplomatischen Kontakten bis Mitte des 8. Jahrhunderts siehe Andreas Kaplony: ''Konstantinopel und Damaskus. Gesandtschaften und Verträge zwischen Kaisern und Kalifen 639-750.'' Berlin 1996 ([http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/iud/content/structure/1357909 Menadoc Bibliothek, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle]).</ref>
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Die Mehrheit der Bevölkerung im Kalifat war lange Zeit nichtmuslimisch und wurde nur relativ langsam islamisiert. Anhänger der [[Buchreligion]]en (Christen, Juden und [[Zoroastrismus|Zoroastrier]]) mussten eine spezielle Kopfsteuer ([[Dschizya]]) zahlen, durften ihren Glauben nicht öffentlich verrichten und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber weitgehend unbehelligt. In der Folgezeit kam es allerdings zu Übergriffen etwa gegen Christen, wie der Druck seit dem späten 7. Jahrhundert insgesamt zunahm, so dass es zu Diskriminierungen und unterdrückenden Maßnahmen seitens der Kalifen und Statthalter gegenüber der christlichen Mehrheitsbevölkerung kam (siehe [[#Mission und Glaubensverschiedenheit|unten]]).<ref>Wolfgang Kallfelz: ''Nichtmuslimische Untertanen im Islam.'' Wiesbaden 1995, S. 46 ff.; Milka Levy-Rubin: ''Non-Muslims in the Early Islamic Empire: From Surrender to Coexistence.'' Cambridge 2011, S. 100 ff.</ref> Ebenso kam es später zu [[Zoroastrierverfolgung]]en durch muslimische Herrscher.
 
Die Mehrheit der Bevölkerung im Kalifat war lange Zeit nichtmuslimisch und wurde nur relativ langsam islamisiert. Anhänger der [[Buchreligion]]en (Christen, Juden und [[Zoroastrismus|Zoroastrier]]) mussten eine spezielle Kopfsteuer ([[Dschizya]]) zahlen, durften ihren Glauben nicht öffentlich verrichten und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber weitgehend unbehelligt. In der Folgezeit kam es allerdings zu Übergriffen etwa gegen Christen, wie der Druck seit dem späten 7. Jahrhundert insgesamt zunahm, so dass es zu Diskriminierungen und unterdrückenden Maßnahmen seitens der Kalifen und Statthalter gegenüber der christlichen Mehrheitsbevölkerung kam (siehe [[#Mission und Glaubensverschiedenheit|unten]]).<ref>Wolfgang Kallfelz: ''Nichtmuslimische Untertanen im Islam.'' Wiesbaden 1995, S. 46 ff.; Milka Levy-Rubin: ''Non-Muslims in the Early Islamic Empire: From Surrender to Coexistence.'' Cambridge 2011, S. 100 ff.</ref> Ebenso kam es später zu [[Zoroastrierverfolgung]]en durch muslimische Herrscher.
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[[Datei:Conquête de l'Islam à la chute des Omeyyades de.svg|mini|hochkant=1.5|Islamische Expansion und das Kalifat um 750]]
      
Trotz der spektakulären außenpolitischen Erfolge kam es im Inneren des Kalifenreichs wiederholt zu Unruhen.<ref>Allgemein zur Geschichte des Kalifenreichs bis ins 11. Jahrhundert: Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl. Harlow u.&nbsp;a. 2004, speziell S. 50 ff.; Chase F. Robinson (Hrsg.): ''The New Cambridge History of Islam.'' Band 1. Cambridge u.&nbsp;a. 2010 (Part 2, ab S. 173 ff.).</ref> Nach Abu Bakrs Tod 634 folgten zwei weitere Kalifen ([[Umar ibn al-Chattab]] und [[Uthman ibn Affan]]), bis 656 Mohammeds Schwiegersohn [[ʿAlī ibn Abī Tālib|Ali]] Kalif wurde. Sein Anspruch innerhalb der Gemeinde ([[Umma]]) war allerdings umstritten, es kam zum Bürgerkrieg.<ref>Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl. Harlow u.&nbsp;a. 2004, S. 75 ff.; Wilferd Madelung: ''The Succession to Muhammad''. Cambridge 1997, S. 141 ff.</ref> Ali wurde 661 ermordet; Sieger war schließlich [[Muʿāwiya I.|Muawiya]] (reg. 661–680), der die Dynastie der [[Umayyaden]] an die Macht brachte, die bis 750 das Kalifat beherrschen sollte.<ref>G. R. Hawting: ''The First Dynasty of Islam: The Umayyad Caliphate''. 2. Aufl., London/New York 2000; Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl., Harlow u. a. 2004, S. 82 ff.</ref> Die Anhänger Alis hingegen blieben weiterhin aktiv ([[Schia]]), was zu einer Spaltung der islamischen Glaubensgemeinde führte.
 
Trotz der spektakulären außenpolitischen Erfolge kam es im Inneren des Kalifenreichs wiederholt zu Unruhen.<ref>Allgemein zur Geschichte des Kalifenreichs bis ins 11. Jahrhundert: Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl. Harlow u.&nbsp;a. 2004, speziell S. 50 ff.; Chase F. Robinson (Hrsg.): ''The New Cambridge History of Islam.'' Band 1. Cambridge u.&nbsp;a. 2010 (Part 2, ab S. 173 ff.).</ref> Nach Abu Bakrs Tod 634 folgten zwei weitere Kalifen ([[Umar ibn al-Chattab]] und [[Uthman ibn Affan]]), bis 656 Mohammeds Schwiegersohn [[ʿAlī ibn Abī Tālib|Ali]] Kalif wurde. Sein Anspruch innerhalb der Gemeinde ([[Umma]]) war allerdings umstritten, es kam zum Bürgerkrieg.<ref>Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl. Harlow u.&nbsp;a. 2004, S. 75 ff.; Wilferd Madelung: ''The Succession to Muhammad''. Cambridge 1997, S. 141 ff.</ref> Ali wurde 661 ermordet; Sieger war schließlich [[Muʿāwiya I.|Muawiya]] (reg. 661–680), der die Dynastie der [[Umayyaden]] an die Macht brachte, die bis 750 das Kalifat beherrschen sollte.<ref>G. R. Hawting: ''The First Dynasty of Islam: The Umayyad Caliphate''. 2. Aufl., London/New York 2000; Hugh Kennedy: ''The Prophet and the Age of the Caliphates''. 2. Aufl., Harlow u. a. 2004, S. 82 ff.</ref> Die Anhänger Alis hingegen blieben weiterhin aktiv ([[Schia]]), was zu einer Spaltung der islamischen Glaubensgemeinde führte.
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=== Königs- und Adelsmacht ===
 
=== Königs- und Adelsmacht ===
[[Datei:016 ottosiegel 1.jpg|mini|Das Königssiegel Ottos I., das von 936 bis 961 in Gebrauch war, zeigt den König mit Lanze und Schild]]
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Ideelle Grundlagen des frühmittelalterlichen [[König]]tums im Westen des alten ''Imperium Romanum'' waren das [[Heerkönig]]tum der [[Völkerwanderung]]szeit, antike römische Herrschaftsvorstellungen und das Christentum.<ref>Aktuelle Einführung zum Königtum bei Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017. Vgl. auch Franz-Reiner Erkens (Hrsg.): ''Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen.'' Berlin 2005.</ref> Die Bedeutung eines germanischen [[Sakralkönigtum]]s in diesem Zusammenhang wird in der neueren Forschung hingegen sehr skeptisch gesehen bzw. abgelehnt.<ref>Stefanie Dick: ''Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit.'' Berlin 2008.</ref> Das Heerkönigtum hingegen spielte offenbar eine entscheidende Rolle, ebenso wie römische Herrschaftsideologie. Denn die politischen Kontakte zwischen den germanisch-romanischen Königen des Frühmittelalters mit dem römischen Kaiser bildeten die Grundlage für die Etablierung zwischenstaatlicher Kontakte im Rahmen römischer Herrschaftsrepräsentation und Inszenierung; dieser Weg führte „vom Heerkönigtum zum vizekaiserlichen königlichen Monarchen“.<ref>Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017, S. 39 f.</ref> Hinzu kamen schließlich die Einflüsse aus dem Christentum, das bereits das spätantike römische Kaisertum beeinflusst hatte. Demnach war jede weltliche Herrschaft vom göttlichen Willen abhängig, denn Gott stünde über den Königen dieser Welt. Gleichzeitig repräsentierten die Könige aber auch Gottes Herrschaft auf Erden ([[Gottesgnadentum]]); das Königtum wurde somit in den christlichen frühmittelalterlichen Reichen „verchristlicht“.<ref>Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017, S. 40 f.</ref>
 
Ideelle Grundlagen des frühmittelalterlichen [[König]]tums im Westen des alten ''Imperium Romanum'' waren das [[Heerkönig]]tum der [[Völkerwanderung]]szeit, antike römische Herrschaftsvorstellungen und das Christentum.<ref>Aktuelle Einführung zum Königtum bei Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017. Vgl. auch Franz-Reiner Erkens (Hrsg.): ''Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen.'' Berlin 2005.</ref> Die Bedeutung eines germanischen [[Sakralkönigtum]]s in diesem Zusammenhang wird in der neueren Forschung hingegen sehr skeptisch gesehen bzw. abgelehnt.<ref>Stefanie Dick: ''Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit.'' Berlin 2008.</ref> Das Heerkönigtum hingegen spielte offenbar eine entscheidende Rolle, ebenso wie römische Herrschaftsideologie. Denn die politischen Kontakte zwischen den germanisch-romanischen Königen des Frühmittelalters mit dem römischen Kaiser bildeten die Grundlage für die Etablierung zwischenstaatlicher Kontakte im Rahmen römischer Herrschaftsrepräsentation und Inszenierung; dieser Weg führte „vom Heerkönigtum zum vizekaiserlichen königlichen Monarchen“.<ref>Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017, S. 39 f.</ref> Hinzu kamen schließlich die Einflüsse aus dem Christentum, das bereits das spätantike römische Kaisertum beeinflusst hatte. Demnach war jede weltliche Herrschaft vom göttlichen Willen abhängig, denn Gott stünde über den Königen dieser Welt. Gleichzeitig repräsentierten die Könige aber auch Gottes Herrschaft auf Erden ([[Gottesgnadentum]]); das Königtum wurde somit in den christlichen frühmittelalterlichen Reichen „verchristlicht“.<ref>Andreas Büttner: ''Königsherrschaft im Mittelalter.'' Berlin/Boston 2017, S. 40 f.</ref>
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== Gesellschaft und Wirtschaft ==
 
== Gesellschaft und Wirtschaft ==
 
=== Menschen und Umwelt ===
 
=== Menschen und Umwelt ===
[[Datei:Capitulare de villis vel curtis imperii LXX.jpg|mini|Kapitel 70 des [[Capitulare de villis vel curtis imperii]]]]
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Die modernen Kenntnisse über die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa sind recht lückenhaft. Über das Leben der „einfachen Leute“ berichten die erzählenden Quellen nur sehr selten, während die archäologische Forschung bisweilen genauere Einblicke erlaubt.<ref>Zusammenfassend zum Folgenden siehe Johannes Fried: ''Die Formierung Europas 840–1046''. 3. Aufl. München 2008, S. 8 ff.; Hans-Werner Goetz: ''Europa im frühen Mittelalter. 500–1050.'' Stuttgart 2003, S. 160 ff. Siehe auch die umfassende sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studie von Chris Wickham (''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005, S. 80 ff.).</ref> Im Frühmittelalter lebten nach modernen Schätzungen über 90 % der Menschen auf dem Lande und von der Landwirtschaft. Demographische Angaben sind recht spekulativ, für die Zeit um 1000 wird von einer Gesamtbevölkerung in Europa von etwa 40 Millionen ausgegangen, die in der Folgezeit zunahm.<ref>Johannes Fried: ''Die Formierung Europas 840–1046.'' 3. Aufl., München 2008, S. 18 f.</ref> Die allgemeine Lebenserwartung war vor allem in der ärmeren Bevölkerung sehr viel geringer als in moderner Zeit.
 
Die modernen Kenntnisse über die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa sind recht lückenhaft. Über das Leben der „einfachen Leute“ berichten die erzählenden Quellen nur sehr selten, während die archäologische Forschung bisweilen genauere Einblicke erlaubt.<ref>Zusammenfassend zum Folgenden siehe Johannes Fried: ''Die Formierung Europas 840–1046''. 3. Aufl. München 2008, S. 8 ff.; Hans-Werner Goetz: ''Europa im frühen Mittelalter. 500–1050.'' Stuttgart 2003, S. 160 ff. Siehe auch die umfassende sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studie von Chris Wickham (''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005, S. 80 ff.).</ref> Im Frühmittelalter lebten nach modernen Schätzungen über 90 % der Menschen auf dem Lande und von der Landwirtschaft. Demographische Angaben sind recht spekulativ, für die Zeit um 1000 wird von einer Gesamtbevölkerung in Europa von etwa 40 Millionen ausgegangen, die in der Folgezeit zunahm.<ref>Johannes Fried: ''Die Formierung Europas 840–1046.'' 3. Aufl., München 2008, S. 18 f.</ref> Die allgemeine Lebenserwartung war vor allem in der ärmeren Bevölkerung sehr viel geringer als in moderner Zeit.
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=== Handel ===
 
=== Handel ===
[[Datei:Denier Charlemagne1.jpg|mini|Karolingischer [[Denarius]], der nach der Münzreform [[Karl der Große|Karls des Großen]] eingeführt wurde]]
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Handel und Verkehr im Frühmittelalter stellen ein viel diskutiertes Forschungsproblem dar, zumal die relativ wenigen Quellen zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte recht verstreut sind.<ref>Hans-Werner Goetz: ''Europa im frühen Mittelalter. 500–1050.'' Stuttgart 2003, S. 200 ff.; Michael McCormick: ''Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A.&nbsp;D. 300–900''. Cambridge 2001. Von grundlegender Bedeutung für die Zeit bis um 800 ist nun Chris Wickham: ''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005.</ref> In der älteren Forschung wurde oft angenommen, dass der Fernhandel infolge der Umbrüche in der ausgehenden Spätantike zum Erliegen gekommen war (siehe [[Pirenne-These]]). Neuere Untersuchungen konnten jedoch belegen, dass es zwar zu einer Abnahme, nicht aber zu einem völligen Abreißen des Fernhandels gekommen war.<ref>Zum Warenaustausch allgemein vgl. vor allem Chris Wickham: ''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005, speziell S. 693 ff.</ref>
 
Handel und Verkehr im Frühmittelalter stellen ein viel diskutiertes Forschungsproblem dar, zumal die relativ wenigen Quellen zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte recht verstreut sind.<ref>Hans-Werner Goetz: ''Europa im frühen Mittelalter. 500–1050.'' Stuttgart 2003, S. 200 ff.; Michael McCormick: ''Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A.&nbsp;D. 300–900''. Cambridge 2001. Von grundlegender Bedeutung für die Zeit bis um 800 ist nun Chris Wickham: ''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005.</ref> In der älteren Forschung wurde oft angenommen, dass der Fernhandel infolge der Umbrüche in der ausgehenden Spätantike zum Erliegen gekommen war (siehe [[Pirenne-These]]). Neuere Untersuchungen konnten jedoch belegen, dass es zwar zu einer Abnahme, nicht aber zu einem völligen Abreißen des Fernhandels gekommen war.<ref>Zum Warenaustausch allgemein vgl. vor allem Chris Wickham: ''Framing the Early Middle Ages''. Oxford 2005, speziell S. 693 ff.</ref>
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=== Byzanz ===
 
=== Byzanz ===
[[Datei:Byzantine Constantinople-de.svg|mini|hochkant=1.5|Konstantinopel in byzantinischer Zeit]]
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Byzanz durchlief im 7./8. Jahrhundert eine Transformation, wobei wichtige antike Strukturen zwar erhalten blieben, Gesellschaft und Wirtschaft sich aber teils grundlegend wandelten.<ref>Zusammenfassend vgl. Michael J. Decker: ''The Byzantine Dark Ages.'' London/New York 2016; Ralph-Johannes Lilie: ''Einführung in die byzantinische Geschichte.'' Stuttgart u.&nbsp;a. 2007, S. 91 ff.</ref> Aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage militarisierte sich die Gesellschaft im 7. Jahrhundert zunehmend. Es formierte sich seit dieser Zeit eine Adelsschicht aus den Reihen der einflussreichen Bürokratie und der großen Landbesitzer und es bildeten sich Familiennamen heraus – Familien, die teils sehr bedeutend wurden. Im späten 9. Jahrhundert rekrutierte sich die Führungsschicht zunehmend aus diesen Geschlechtern. Parallel dazu nahm das freie Bauerntum ab, viele gerieten schließlich in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Trotzdem blieb die byzantinische Gesellschaft wesentlich offener als die westeuropäische, auch der Kaiserthron blieb nicht dem hohen Adel vorbehalten. Ein sozialer Aufstieg bis an die Spitze des Staates stand somit grundsätzlich jedem offen, wie das Beispiel von [[Basileios I.]] zeigt. Die byzantinische Wirtschaft erholte sich nach der Krisenphase des 6. und 7. Jahrhunderts langsam. In dieser Zeit hatte sie unter den Folgen von Pest und Kriegen gelitten, verbunden mit einem Bevölkerungsrückgang. Die Quellen zur mittelbyzantinischen Wirtschaftsgeschichte, speziell für das 8./9. Jahrhundert, sind jedoch nicht besonders ergiebig.<ref>Angeliki E. Laiou, Cécile Morrison: ''The Byzantine Economy''. Cambridge 2007, S. 43 ff.</ref>
 
Byzanz durchlief im 7./8. Jahrhundert eine Transformation, wobei wichtige antike Strukturen zwar erhalten blieben, Gesellschaft und Wirtschaft sich aber teils grundlegend wandelten.<ref>Zusammenfassend vgl. Michael J. Decker: ''The Byzantine Dark Ages.'' London/New York 2016; Ralph-Johannes Lilie: ''Einführung in die byzantinische Geschichte.'' Stuttgart u.&nbsp;a. 2007, S. 91 ff.</ref> Aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage militarisierte sich die Gesellschaft im 7. Jahrhundert zunehmend. Es formierte sich seit dieser Zeit eine Adelsschicht aus den Reihen der einflussreichen Bürokratie und der großen Landbesitzer und es bildeten sich Familiennamen heraus – Familien, die teils sehr bedeutend wurden. Im späten 9. Jahrhundert rekrutierte sich die Führungsschicht zunehmend aus diesen Geschlechtern. Parallel dazu nahm das freie Bauerntum ab, viele gerieten schließlich in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Trotzdem blieb die byzantinische Gesellschaft wesentlich offener als die westeuropäische, auch der Kaiserthron blieb nicht dem hohen Adel vorbehalten. Ein sozialer Aufstieg bis an die Spitze des Staates stand somit grundsätzlich jedem offen, wie das Beispiel von [[Basileios I.]] zeigt. Die byzantinische Wirtschaft erholte sich nach der Krisenphase des 6. und 7. Jahrhunderts langsam. In dieser Zeit hatte sie unter den Folgen von Pest und Kriegen gelitten, verbunden mit einem Bevölkerungsrückgang. Die Quellen zur mittelbyzantinischen Wirtschaftsgeschichte, speziell für das 8./9. Jahrhundert, sind jedoch nicht besonders ergiebig.<ref>Angeliki E. Laiou, Cécile Morrison: ''The Byzantine Economy''. Cambridge 2007, S. 43 ff.</ref>
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=== Karolingische Bildungsreform ===
 
=== Karolingische Bildungsreform ===
 
Im Frankenreich war die lateinische Sprache stilistisch zunehmend verwildert, auch die kirchlichen Bildungseinrichtungen verfielen. Dieser Prozess wurde im Karolingerreich seit Ende des 8. Jahrhunderts durch gezielte Maßnahmen der Kulturförderung gestoppt. Diese neue Aufschwungphase wird oft als [[karolingische Renaissance]] bezeichnet. Der Begriff „[[Renaissance]]“ ist aus methodischen Gründen allerdings sehr problematisch. Dies trifft auch auf die sogenannte [[Makedonische Renaissance]] in Byzanz zu, da dort eine Kulturkontinuität zur Antike bestand. Hierbei traten zwar Abschwächungen ein, es kam dort aber nie zu einem vollständigen Bruch. Im Frankenreich handelte es sich ebenfalls nicht um eine „Wiedergeburt“ des klassischen antiken Wissens, sondern vielmehr um eine Reinigung und Vereinheitlichung. Für die Karolingerzeit spricht man aus diesem Grund heute von der ''karolingischen Bildungsreform''. Den Anstoß dafür gab wohl die Reform der fränkischen Kirche durch [[Bonifatius]] Mitte des 8. Jahrhunderts.<ref>Ulrich Nonn: ''Zur Vorgeschichte der Bildungsreform Karls des Großen''. In: ''Karl der Große und sein Nachwirken''. Band 1. Turnhout 1997, S. 63–77.</ref> Bereits zuvor fand zudem eine Belebung des geistigen Lebens in England und Irland statt, wo die Schriftkultur zunehmend erstarkte. Die Schriften des sehr belesenen [[Beda Venerabilis]] (gest. 735) decken eine große Bandbreite ab, so Kirchengeschichte, [[Hagiographie]], [[Chronologie]] sowie die freien Künste und vermitteln das Bild eines lebendigen geistigen Lebens.
 
Im Frankenreich war die lateinische Sprache stilistisch zunehmend verwildert, auch die kirchlichen Bildungseinrichtungen verfielen. Dieser Prozess wurde im Karolingerreich seit Ende des 8. Jahrhunderts durch gezielte Maßnahmen der Kulturförderung gestoppt. Diese neue Aufschwungphase wird oft als [[karolingische Renaissance]] bezeichnet. Der Begriff „[[Renaissance]]“ ist aus methodischen Gründen allerdings sehr problematisch. Dies trifft auch auf die sogenannte [[Makedonische Renaissance]] in Byzanz zu, da dort eine Kulturkontinuität zur Antike bestand. Hierbei traten zwar Abschwächungen ein, es kam dort aber nie zu einem vollständigen Bruch. Im Frankenreich handelte es sich ebenfalls nicht um eine „Wiedergeburt“ des klassischen antiken Wissens, sondern vielmehr um eine Reinigung und Vereinheitlichung. Für die Karolingerzeit spricht man aus diesem Grund heute von der ''karolingischen Bildungsreform''. Den Anstoß dafür gab wohl die Reform der fränkischen Kirche durch [[Bonifatius]] Mitte des 8. Jahrhunderts.<ref>Ulrich Nonn: ''Zur Vorgeschichte der Bildungsreform Karls des Großen''. In: ''Karl der Große und sein Nachwirken''. Band 1. Turnhout 1997, S. 63–77.</ref> Bereits zuvor fand zudem eine Belebung des geistigen Lebens in England und Irland statt, wo die Schriftkultur zunehmend erstarkte. Die Schriften des sehr belesenen [[Beda Venerabilis]] (gest. 735) decken eine große Bandbreite ab, so Kirchengeschichte, [[Hagiographie]], [[Chronologie]] sowie die freien Künste und vermitteln das Bild eines lebendigen geistigen Lebens.
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[[Datei:Raban-Maur Alcuin Otgar.jpg|mini|Darstellung Alkuins (Mitte) in einer Fuldaer Handschrift um 830/40 (Wien, ÖNB cod. 652, fol. 2v)]]
      
Karl der Große selbst war offenbar kulturell durchaus interessiert und versammelte an seinem Hof gezielt mehrere Gelehrte aus dem lateinischen Europa. Der angesehenste von ihnen war der Angelsachse [[Alkuin]] (gest. 804). Alkuin war zuvor Leiter der berühmten Kathedralschule in York gewesen; er besaß eine umfangreiche Bibliothek und genoss einen herausragenden Ruf. Er begegnete Karl in Italien und folgte 782 dem Ruf an dessen Hof, wo er nicht nur als ein einflussreicher Berater wirkte, sondern auch zum Leiter der Hofschule aufstieg. [[Einhard]] (gest. 840) stammte aus einer vornehmen fränkischen Familie und war zunächst Schüler Alkuins, später Leiter der Hofschule und Vertrauter Karls. Er war zudem als Baumeister Karls tätig und verfasste nach 814 eine an antiken Vorbildern orientierte Biographie des Königs, die als die „reifste Frucht der karolingischen Renaissance“ bezeichnet worden ist.<ref>Zitat von Reinhold Rau (''Einhard. Das Leben Karls des Großen''. In: Reinhold Rau (Hrsg.): ''Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters''. Band 5. Darmstadt 1955, S. 159).</ref> [[Petrus von Pisa]] war ein lateinischer Grammatiker, der Karl in lateinischer Sprache unterrichtet hat. Der langobardische Gelehrte [[Paulus Diaconus]] hatte in Italien im Königsdienst gestanden und war 782 an den Hof Karls gekommen, wo er vier Jahre blieb und wirkte. [[Theodulf von Orléans]] war ein gotischer Theologe und Dichter. Er war überaus belesen und gebildet; für Karl verfasste er auch die ''[[Libri Carolini]]''. Der Hof Karls und die Hofschule gaben Impulse für eine kulturelle Erneuerung, wobei auch die karolingische Kirche als zentraler Kulturträger reformiert wurde.<ref>Einführend zur Bildungsreform siehe unter anderem Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter''. Stuttgart u.&nbsp;a. 1990, S. 304 ff.; Franz Brunhölzl: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters''. Band 1. München 1975, S. 243 ff.; Philippe Depreux: ''Ambitions et limites des réformes culturelles à l’époque carolingienne''. In: ''Revue Historique'' 307 (2002), S. 721–753; Wilfried Hartmann: ''Karl der Große''. Stuttgart 2010, S. 177 ff.; Rosamond McKitterick: ''Charlemagne. The Formation of a European Identity''. Cambridge 2008, S. 292 ff.; Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''Carolingian Culture. Emulation and Innovation.'' Cambridge u.&nbsp;a. 1994; Friedrich Prinz: ''Von Konstantin zu Karl dem Großen''. Düsseldorf/Zürich 2000, S. 464 ff.; [[Bernd Roeck]]: ''Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance.'' München 2017, S. 129 ff.</ref>
 
Karl der Große selbst war offenbar kulturell durchaus interessiert und versammelte an seinem Hof gezielt mehrere Gelehrte aus dem lateinischen Europa. Der angesehenste von ihnen war der Angelsachse [[Alkuin]] (gest. 804). Alkuin war zuvor Leiter der berühmten Kathedralschule in York gewesen; er besaß eine umfangreiche Bibliothek und genoss einen herausragenden Ruf. Er begegnete Karl in Italien und folgte 782 dem Ruf an dessen Hof, wo er nicht nur als ein einflussreicher Berater wirkte, sondern auch zum Leiter der Hofschule aufstieg. [[Einhard]] (gest. 840) stammte aus einer vornehmen fränkischen Familie und war zunächst Schüler Alkuins, später Leiter der Hofschule und Vertrauter Karls. Er war zudem als Baumeister Karls tätig und verfasste nach 814 eine an antiken Vorbildern orientierte Biographie des Königs, die als die „reifste Frucht der karolingischen Renaissance“ bezeichnet worden ist.<ref>Zitat von Reinhold Rau (''Einhard. Das Leben Karls des Großen''. In: Reinhold Rau (Hrsg.): ''Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters''. Band 5. Darmstadt 1955, S. 159).</ref> [[Petrus von Pisa]] war ein lateinischer Grammatiker, der Karl in lateinischer Sprache unterrichtet hat. Der langobardische Gelehrte [[Paulus Diaconus]] hatte in Italien im Königsdienst gestanden und war 782 an den Hof Karls gekommen, wo er vier Jahre blieb und wirkte. [[Theodulf von Orléans]] war ein gotischer Theologe und Dichter. Er war überaus belesen und gebildet; für Karl verfasste er auch die ''[[Libri Carolini]]''. Der Hof Karls und die Hofschule gaben Impulse für eine kulturelle Erneuerung, wobei auch die karolingische Kirche als zentraler Kulturträger reformiert wurde.<ref>Einführend zur Bildungsreform siehe unter anderem Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter''. Stuttgart u.&nbsp;a. 1990, S. 304 ff.; Franz Brunhölzl: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters''. Band 1. München 1975, S. 243 ff.; Philippe Depreux: ''Ambitions et limites des réformes culturelles à l’époque carolingienne''. In: ''Revue Historique'' 307 (2002), S. 721–753; Wilfried Hartmann: ''Karl der Große''. Stuttgart 2010, S. 177 ff.; Rosamond McKitterick: ''Charlemagne. The Formation of a European Identity''. Cambridge 2008, S. 292 ff.; Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''Carolingian Culture. Emulation and Innovation.'' Cambridge u.&nbsp;a. 1994; Friedrich Prinz: ''Von Konstantin zu Karl dem Großen''. Düsseldorf/Zürich 2000, S. 464 ff.; [[Bernd Roeck]]: ''Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance.'' München 2017, S. 129 ff.</ref>
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== Frühmittelalterliche Literatur ==
 
== Frühmittelalterliche Literatur ==
 
=== Geschichtsschreibung ===
 
=== Geschichtsschreibung ===
[[Datei:ParisBibNatMSLat17655GregToursInitialP.jpg|mini|Ausschnitt aus einem Manuskript der ''Historien'' Gregors von Tours]]
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Das letzte bedeutende und weitgehend erhaltene spätantike Geschichtswerk in lateinischer Sprache hat [[Ammianus Marcellinus]] im späten 4. Jahrhundert verfasst. Die Namen einiger lateinischer Geschichtsschreiber im Westen bis zum Ende der Antike sind zwar bekannt, von ihren Werken ist aber faktisch nichts erhalten. Das trifft auch auf die ''Gotengeschichte'' [[Cassiodor]]s zu (der außerdem eine erhaltene Chronik verfasste), welche die Grundlage für die ''Getica'' des [[Jordanes]] darstellte. Ende des 6. Jahrhunderts verfasste der gebildete, aus senatorischer gallorömischer Familie stammende Bischof [[Gregor von Tours]] sein Hauptwerk, die bis 591 reichenden ''Historien'' in 10 Büchern. Es handelt sich um eine bedeutende christliche Universalgeschichte mit dem Frankenreich im Zentrum, wobei die Zeitgeschichte besonders ausführlich beschrieben wurde. Das Niveau Gregors wurde in der Folgezeit lange nicht mehr erreicht. Die [[Fredegar]]chronik aus dem 7. Jahrhundert etwa ist in einem verwilderten Latein geschrieben und auch inhaltlich dürftig.<ref>Zur lateinischen Literatur im Mittelalter siehe grundsätzlich [[Franz Brunhölzl]]: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters'' (Band 1, München 1975 und Band 2, München 1992); Max Manitius: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters.'' München 1974 ff. (ND). Siehe auch die diversen diesbezüglichen Artikel im ''[[Lexikon des Mittelalters]]'' sowie im ''[[Verfasserlexikon]]'' (2. Aufl.).</ref>
 
Das letzte bedeutende und weitgehend erhaltene spätantike Geschichtswerk in lateinischer Sprache hat [[Ammianus Marcellinus]] im späten 4. Jahrhundert verfasst. Die Namen einiger lateinischer Geschichtsschreiber im Westen bis zum Ende der Antike sind zwar bekannt, von ihren Werken ist aber faktisch nichts erhalten. Das trifft auch auf die ''Gotengeschichte'' [[Cassiodor]]s zu (der außerdem eine erhaltene Chronik verfasste), welche die Grundlage für die ''Getica'' des [[Jordanes]] darstellte. Ende des 6. Jahrhunderts verfasste der gebildete, aus senatorischer gallorömischer Familie stammende Bischof [[Gregor von Tours]] sein Hauptwerk, die bis 591 reichenden ''Historien'' in 10 Büchern. Es handelt sich um eine bedeutende christliche Universalgeschichte mit dem Frankenreich im Zentrum, wobei die Zeitgeschichte besonders ausführlich beschrieben wurde. Das Niveau Gregors wurde in der Folgezeit lange nicht mehr erreicht. Die [[Fredegar]]chronik aus dem 7. Jahrhundert etwa ist in einem verwilderten Latein geschrieben und auch inhaltlich dürftig.<ref>Zur lateinischen Literatur im Mittelalter siehe grundsätzlich [[Franz Brunhölzl]]: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters'' (Band 1, München 1975 und Band 2, München 1992); Max Manitius: ''Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters.'' München 1974 ff. (ND). Siehe auch die diversen diesbezüglichen Artikel im ''[[Lexikon des Mittelalters]]'' sowie im ''[[Verfasserlexikon]]'' (2. Aufl.).</ref>
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=== Volkssprachige Literatur ===
 
=== Volkssprachige Literatur ===
[[Datei:Hildebrandslied1.jpg|mini|Erstes Blatt des ''Hildebrandsliedes'']]
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Seit Mitte des 8. Jahrhunderts sind im Westen nicht mehr nur lateinische, sondern auch volkssprachige Werke belegt; allerdings ist die Zahl der jeweils namentlich bekannten Verfasser überschaubar.<ref>Einführend zur altdeutschen Literatur siehe Heinz Sieburg: ''Literatur des Mittelalters.'' Berlin 2010, S. 69 ff.</ref> Die Bandbreite der volkssprachigen frühmittelalterlichen Literatur ist recht beachtlich, sie umfasst unter anderem Zauber- und Segensbücher, Heldenerzählungen, Geschichtsdichtungen und Schlachtengedichte. Kirchliche Gebrauchstexte wurden ebenso übersetzt, vor allem im Hinblick auf die Vermittlung christlicher Glaubensbotschaften. Ein Großteil der volkssprachigen Dichtung war denn auch geistlicher Natur, wie z.&nbsp;B. Bibeldichtungen. Das früheste erhaltene Zeugnis für die [[althochdeutsch]]e Bibeldichtung stellt das ''[[Wessobrunner Gebet|Wessobrunner Schöpfungsgedicht]]'' aus dem 9. Jahrhundert dar.
 
Seit Mitte des 8. Jahrhunderts sind im Westen nicht mehr nur lateinische, sondern auch volkssprachige Werke belegt; allerdings ist die Zahl der jeweils namentlich bekannten Verfasser überschaubar.<ref>Einführend zur altdeutschen Literatur siehe Heinz Sieburg: ''Literatur des Mittelalters.'' Berlin 2010, S. 69 ff.</ref> Die Bandbreite der volkssprachigen frühmittelalterlichen Literatur ist recht beachtlich, sie umfasst unter anderem Zauber- und Segensbücher, Heldenerzählungen, Geschichtsdichtungen und Schlachtengedichte. Kirchliche Gebrauchstexte wurden ebenso übersetzt, vor allem im Hinblick auf die Vermittlung christlicher Glaubensbotschaften. Ein Großteil der volkssprachigen Dichtung war denn auch geistlicher Natur, wie z.&nbsp;B. Bibeldichtungen. Das früheste erhaltene Zeugnis für die [[althochdeutsch]]e Bibeldichtung stellt das ''[[Wessobrunner Gebet|Wessobrunner Schöpfungsgedicht]]'' aus dem 9. Jahrhundert dar.
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=== Philosophie ===
 
=== Philosophie ===
 
Die [[Philosophie des Mittelalters]] baute stark auf antiken Grundlagen auf, allerdings, anders als noch in der Spätantike, nun fest eingebettet in das christliche Weltbild. In diesem Sinne war die theologisch ausgerichtete [[Patristik]] von Bedeutung, die im 7./8. Jahrhundert endete. Bereits in der Spätantike wurde der [[Neuplatonismus]] von christlichen Gelehrten rezipiert, die die platonische Ideenlehre mit christlichen Überlegungen verbanden, zumal Platons Ideen bereits durch den Neuplatonismus ins Transzendente übertragen wurden. Aussagen der Bibel wurden teilweise mit Hilfe platonischen Gedankenguts gedeutet, unter anderem mit Bezug auf das [[Das Gute|Gute]] und das [[Sein]]/Seiende. Von den Schriften [[Platon]]s und des [[Aristoteles]] war im Frühmittelalter im Westen allerdings nur sehr wenig bekannt. Einflussreich waren dafür platonisch beeinflusste Philosophen. [[Augustinus von Hippo]] und [[Boethius]] sind beide historisch noch zur Spätantike zu zählen, stehen aber philosophiegeschichtlich an der Schwelle zum Mittelalter. Beide hatten einen starken nachhaltigen Einfluss auf die mittelalterliche Philosophie, besonders im Frühmittelalter. Dies gilt auch für die Werke des [[Pseudo-Dionysius Areopagita]], eines anonymen spätantiken christlichen Neuplatonikers, die bereits in karolingischer Zeit ins Lateinische übersetzt wurden. Pseudo-Dionysius arbeitete auch das Konzept der [[Negative Theologie|negativen Theologie]] weiter aus.<ref>Überblick zur frühmittelalterlichen Philosophie, mit Berücksichtigung der Entwicklung ab dem 4. Jahrhundert, bei [[Kurt Flasch]]: ''Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli.'' 2. Aufl., Stuttgart 2000; Richard Heinzmann: ''Philosophie des Mittelalters''. 3. Auflage, Stuttgart 2008. Vgl. auch John Marenbon (Hrsg.): ''Medieval Philosophy. Routledge History of Philosophy 3''. New York 1998.</ref>
 
Die [[Philosophie des Mittelalters]] baute stark auf antiken Grundlagen auf, allerdings, anders als noch in der Spätantike, nun fest eingebettet in das christliche Weltbild. In diesem Sinne war die theologisch ausgerichtete [[Patristik]] von Bedeutung, die im 7./8. Jahrhundert endete. Bereits in der Spätantike wurde der [[Neuplatonismus]] von christlichen Gelehrten rezipiert, die die platonische Ideenlehre mit christlichen Überlegungen verbanden, zumal Platons Ideen bereits durch den Neuplatonismus ins Transzendente übertragen wurden. Aussagen der Bibel wurden teilweise mit Hilfe platonischen Gedankenguts gedeutet, unter anderem mit Bezug auf das [[Das Gute|Gute]] und das [[Sein]]/Seiende. Von den Schriften [[Platon]]s und des [[Aristoteles]] war im Frühmittelalter im Westen allerdings nur sehr wenig bekannt. Einflussreich waren dafür platonisch beeinflusste Philosophen. [[Augustinus von Hippo]] und [[Boethius]] sind beide historisch noch zur Spätantike zu zählen, stehen aber philosophiegeschichtlich an der Schwelle zum Mittelalter. Beide hatten einen starken nachhaltigen Einfluss auf die mittelalterliche Philosophie, besonders im Frühmittelalter. Dies gilt auch für die Werke des [[Pseudo-Dionysius Areopagita]], eines anonymen spätantiken christlichen Neuplatonikers, die bereits in karolingischer Zeit ins Lateinische übersetzt wurden. Pseudo-Dionysius arbeitete auch das Konzept der [[Negative Theologie|negativen Theologie]] weiter aus.<ref>Überblick zur frühmittelalterlichen Philosophie, mit Berücksichtigung der Entwicklung ab dem 4. Jahrhundert, bei [[Kurt Flasch]]: ''Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli.'' 2. Aufl., Stuttgart 2000; Richard Heinzmann: ''Philosophie des Mittelalters''. 3. Auflage, Stuttgart 2008. Vgl. auch John Marenbon (Hrsg.): ''Medieval Philosophy. Routledge History of Philosophy 3''. New York 1998.</ref>
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[[Datei:Periphyseon.jpg|mini|Seite einer ''Periphyseon''-Handschrift, 9.&nbsp;Jahrhundert [[Staatsbibliothek Bamberg]]]]
      
Um die Mitte des 9. Jahrhunderts ist der aus Irland stammende bedeutende Philosoph [[Johannes Scottus Eriugena]] belegbar, der einige Zeit am westfränkischen Königshof verbrachte. Er war dort als gelehrter Berater tätig, erteilte auch Unterricht in den freien Künsten und genoss offenbar großes Ansehen.<ref>Deirdre Carabine: ''John Scottus Eriugena''. Oxford u. a. 2000; Kurt Flasch: ''Das philosophische Denken im Mittelalter.'' 2. Aufl., Stuttgart 2000, S. 173 ff.; Richard Heinzmann: ''Philosophie des Mittelalters''. 3. Aufl., Stuttgart 2008, S. 123 ff.</ref> Eriugena stellt insofern eine Ausnahmeerscheinung dar, als ohne seine Schriften zwischen Boethius und [[Anselm von Canterbury]] eine weitgehende Lücke in der lateinischen philosophischen Literatur klaffen würde. Er verfügte, was im Westen zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war, über einige Griechischkenntnisse und trat für ein strikt logisches Denken ein, geriet dabei auch in Konflikt mit kirchlichen Autoritäten. Sein Hauptwerk mit dem griechischen Titel ''Periphyseon'' („Über die Naturen“) behandelt in Dialogform eingeteilt in fünf Büchern vor allem die kosmologische Weltordnung und das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. In logischer und systematischer Form sollte die christliche Offenbarung untersucht und ausgelegt werden, um die darin enthaltene Wahrheit zu erkennen. Das Werk basiert auf einer recht umfangreichen Quellenbasis und ist neuplatonisch geprägt. Eriugena verfasste außerdem einen (nur fragmentarischen) Kommentar zum [[Evangelium nach Johannes|Johannesevangelium]] und zu [[Martianus Capella]].
 
Um die Mitte des 9. Jahrhunderts ist der aus Irland stammende bedeutende Philosoph [[Johannes Scottus Eriugena]] belegbar, der einige Zeit am westfränkischen Königshof verbrachte. Er war dort als gelehrter Berater tätig, erteilte auch Unterricht in den freien Künsten und genoss offenbar großes Ansehen.<ref>Deirdre Carabine: ''John Scottus Eriugena''. Oxford u. a. 2000; Kurt Flasch: ''Das philosophische Denken im Mittelalter.'' 2. Aufl., Stuttgart 2000, S. 173 ff.; Richard Heinzmann: ''Philosophie des Mittelalters''. 3. Aufl., Stuttgart 2008, S. 123 ff.</ref> Eriugena stellt insofern eine Ausnahmeerscheinung dar, als ohne seine Schriften zwischen Boethius und [[Anselm von Canterbury]] eine weitgehende Lücke in der lateinischen philosophischen Literatur klaffen würde. Er verfügte, was im Westen zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war, über einige Griechischkenntnisse und trat für ein strikt logisches Denken ein, geriet dabei auch in Konflikt mit kirchlichen Autoritäten. Sein Hauptwerk mit dem griechischen Titel ''Periphyseon'' („Über die Naturen“) behandelt in Dialogform eingeteilt in fünf Büchern vor allem die kosmologische Weltordnung und das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. In logischer und systematischer Form sollte die christliche Offenbarung untersucht und ausgelegt werden, um die darin enthaltene Wahrheit zu erkennen. Das Werk basiert auf einer recht umfangreichen Quellenbasis und ist neuplatonisch geprägt. Eriugena verfasste außerdem einen (nur fragmentarischen) Kommentar zum [[Evangelium nach Johannes|Johannesevangelium]] und zu [[Martianus Capella]].
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== Kunst ==
 
== Kunst ==
[[Datei:Talisman de Charlemagne 6032.JPG|mini|hochkant|Der sogenannte [[Talisman Karls des Großen]] ist das einzig erhaltene Goldschmiedestück, das mit einiger Wahrscheinlichkeit unmittelbar mit der Person Karls in Verbindung gebracht werden kann.<ref>[[Thomas Labusiak]]: ''»Er schenkte der Kirche viele heilige Gefäße aus Gold und Silber.« Goldschmiedekunst in der Zeit Karls des Großen.'' In: Peter van den Brink, Sarvenaz Ayooghi (Hrsg.): ''Karl der Große – Charlemagne. Karls Kunst.'' Dresden 2014, S. 74–93, hier S. 92.</ref>]]
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[[Datei:Karl II der Kahle.jpg|mini|Karl der Kahle im [[Codex aureus von St.&nbsp;Emmeram]] (wahrscheinlich St.&nbsp;Denis, um 870)]]
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Im Frühmittelalter kam den Fürstenhöfen, vor allem aber dem fränkischen Königshof mit der Hofschule, und der Kirche eine tragende Rolle in der kulturellen und künstlerischen Förderung zu. In den Motiven dominiert die christliche Symbolik. Die frühmittelalterliche Kunst orientierte sich zunächst an [[spätantike]]n Vorbildern, bevor sich neue Kunststile entwickelten.<ref>Überblick zum Folgenden bei Kunibert Bering: ''Kunst des frühen Mittelalters.'' 2. Auflage. Stuttgart 2008; Beat Brenk: ''Spätantike und Frühes Christentum''. Berlin 1977; [[Hermann Fillitz]]: ''Das Mittelalter 1''. Berlin 1969; Jean Hubert, Jean Porcher, [[Wolfgang Fritz Volbach]]: ''Frühzeit des Mittelalters: von der Völkerwanderung bis an die Schwelle der Karolingerzeit''. München 1968; Jean Hubert, Jean Porcher, Wolfgang Fritz Volbach: ''Die Kunst der Karolinger: von Karl dem Grossen bis zum Ausgang des 9. Jahrhunderts''. München 1969; Lawrence Nees: ''Art and architecture''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 2. Cambridge 1995, S. 809 ff.; Henry Mayr-Harting: ''Artists and Patrons.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 212 ff.</ref> Die [[byzantinische Kunst]] beeinflusste auch den Westen, wobei in der Forschung der Grad dieses Einflusses umstritten ist. Wurde die frühmittelalterliche Kultur früher als eher rezipierend und weniger als kreativ betrachtet, wird in neuerer Zeit wieder betont, dass es im Westen bereits spätantike Vorbilder gab und die Beeinflussung zwischen Ost und West subtiler war.<ref>Lawrence Nees: ''Art and architecture''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History.'' Band 2, Cambridge 1995, hier S. 810 f.</ref> Die karolingische Bildungsreform und die sogenannte [[ottonische Renaissance]] (10./11. Jahrhundert) bewirkten wieder einen kulturellen Aufschwung.
 
Im Frühmittelalter kam den Fürstenhöfen, vor allem aber dem fränkischen Königshof mit der Hofschule, und der Kirche eine tragende Rolle in der kulturellen und künstlerischen Förderung zu. In den Motiven dominiert die christliche Symbolik. Die frühmittelalterliche Kunst orientierte sich zunächst an [[spätantike]]n Vorbildern, bevor sich neue Kunststile entwickelten.<ref>Überblick zum Folgenden bei Kunibert Bering: ''Kunst des frühen Mittelalters.'' 2. Auflage. Stuttgart 2008; Beat Brenk: ''Spätantike und Frühes Christentum''. Berlin 1977; [[Hermann Fillitz]]: ''Das Mittelalter 1''. Berlin 1969; Jean Hubert, Jean Porcher, [[Wolfgang Fritz Volbach]]: ''Frühzeit des Mittelalters: von der Völkerwanderung bis an die Schwelle der Karolingerzeit''. München 1968; Jean Hubert, Jean Porcher, Wolfgang Fritz Volbach: ''Die Kunst der Karolinger: von Karl dem Grossen bis zum Ausgang des 9. Jahrhunderts''. München 1969; Lawrence Nees: ''Art and architecture''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History''. Band 2. Cambridge 1995, S. 809 ff.; Henry Mayr-Harting: ''Artists and Patrons.'' In: Timothy Reuter (Hrsg.): ''The New Cambridge Medieval History.'' Band 3. Cambridge 1999, S. 212 ff.</ref> Die [[byzantinische Kunst]] beeinflusste auch den Westen, wobei in der Forschung der Grad dieses Einflusses umstritten ist. Wurde die frühmittelalterliche Kultur früher als eher rezipierend und weniger als kreativ betrachtet, wird in neuerer Zeit wieder betont, dass es im Westen bereits spätantike Vorbilder gab und die Beeinflussung zwischen Ost und West subtiler war.<ref>Lawrence Nees: ''Art and architecture''. In: Rosamond McKitterick (Hrsg.): ''New Cambridge Medieval History.'' Band 2, Cambridge 1995, hier S. 810 f.</ref> Die karolingische Bildungsreform und die sogenannte [[ottonische Renaissance]] (10./11. Jahrhundert) bewirkten wieder einen kulturellen Aufschwung.
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Die auch byzantinisch beeinflusste [[karolingische Buchmalerei]] bedeutete eine Steigerung gegenüber der [[Merowingische Buchmalerei|merowingischen Buchmalerei]] und ist eines der Resultate der karolingischen Bildungsreform. Beispiele dafür sind unter anderem das [[Lorscher Evangeliar]], das [[Krönungsevangeliar]] und die [[Ada-Handschrift]] (siehe auch [[Ada-Gruppe]]) aus der Zeit Karls des Großen oder der [[Codex aureus von St. Emmeram]] aus dem späten 9. Jahrhundert. Zentren der karolingischen Buchmalerei waren neben der königlichen Hofschule später [[Reims]], St. Martin in [[Tours]] und [[Metz]]. Bedeutung erlangte im späteren 9. Jahrhundert die Hofschule Karls II. in Westfranken. Es entstanden auch in den großen [[Reichskloster|Reichsklöstern]] und bedeutenden Bischofsresidenzen Bildhandschriften, teils in Nachahmung der königlichen Hofschulen (so das [[Fuldaer Evangeliar]]). Entscheidend hierfür war, dass die geistlichen Einrichtungen über gute [[Skriptorium|Skriptorien]] verfügten und kulturelle Impulse aufnahmen, was auf weltlicher Seite zunächst kaum der Fall war. In der Ottonenzeit im 10./11. Jahrhundert wurde, nach einem kulturellen Abschwung am Ende der Karolingerzeit, an ältere Vorbilder angeknüpft. So entstand im Ostfrankenreich die ebenfalls bedeutende [[ottonische Buchmalerei]], deren Zentren die Klöster Corvey, Hildesheim, Fulda und Reichenau waren; später gewannen auch Köln, Regensburg und Salzburg an Bedeutung. Zu deren bedeutendsten Produkten gehören das [[Gebetbuch Ottos III.]] und das [[Evangeliar Ottos III. (München)|Evangeliar Ottos III]]. Des Weiteren sind noch aus anderen Regionen Europas Buchmalereien erhalten. Einen Höhepunkt der angelsächsischen Buchmalerei stellt das Aethelwold-Benedictionale aus dem späten 10. Jahrhundert dar, in Westfranken entstand um 1000 die reich verzierte „Erste Bibel“ von St. Martial (Limoges). Aus Spanien stammt der [[Beatus von Liébana|Beatuskommentar]] zur [[Offenbarung des Johannes]] (8. Jahrhundert), während auch in Italien zahlreiche illustrierende Bildhandschriften entstanden, vor allem zum Leben bekannter Heiliger und bedeutender Geistlicher.
 
Die auch byzantinisch beeinflusste [[karolingische Buchmalerei]] bedeutete eine Steigerung gegenüber der [[Merowingische Buchmalerei|merowingischen Buchmalerei]] und ist eines der Resultate der karolingischen Bildungsreform. Beispiele dafür sind unter anderem das [[Lorscher Evangeliar]], das [[Krönungsevangeliar]] und die [[Ada-Handschrift]] (siehe auch [[Ada-Gruppe]]) aus der Zeit Karls des Großen oder der [[Codex aureus von St. Emmeram]] aus dem späten 9. Jahrhundert. Zentren der karolingischen Buchmalerei waren neben der königlichen Hofschule später [[Reims]], St. Martin in [[Tours]] und [[Metz]]. Bedeutung erlangte im späteren 9. Jahrhundert die Hofschule Karls II. in Westfranken. Es entstanden auch in den großen [[Reichskloster|Reichsklöstern]] und bedeutenden Bischofsresidenzen Bildhandschriften, teils in Nachahmung der königlichen Hofschulen (so das [[Fuldaer Evangeliar]]). Entscheidend hierfür war, dass die geistlichen Einrichtungen über gute [[Skriptorium|Skriptorien]] verfügten und kulturelle Impulse aufnahmen, was auf weltlicher Seite zunächst kaum der Fall war. In der Ottonenzeit im 10./11. Jahrhundert wurde, nach einem kulturellen Abschwung am Ende der Karolingerzeit, an ältere Vorbilder angeknüpft. So entstand im Ostfrankenreich die ebenfalls bedeutende [[ottonische Buchmalerei]], deren Zentren die Klöster Corvey, Hildesheim, Fulda und Reichenau waren; später gewannen auch Köln, Regensburg und Salzburg an Bedeutung. Zu deren bedeutendsten Produkten gehören das [[Gebetbuch Ottos III.]] und das [[Evangeliar Ottos III. (München)|Evangeliar Ottos III]]. Des Weiteren sind noch aus anderen Regionen Europas Buchmalereien erhalten. Einen Höhepunkt der angelsächsischen Buchmalerei stellt das Aethelwold-Benedictionale aus dem späten 10. Jahrhundert dar, in Westfranken entstand um 1000 die reich verzierte „Erste Bibel“ von St. Martial (Limoges). Aus Spanien stammt der [[Beatus von Liébana|Beatuskommentar]] zur [[Offenbarung des Johannes]] (8. Jahrhundert), während auch in Italien zahlreiche illustrierende Bildhandschriften entstanden, vor allem zum Leben bekannter Heiliger und bedeutender Geistlicher.
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[[Datei:Oberzell1.jpg|mini|Malereien auf der Nordseite des Langhauses in St. Georg (Reichenau-Oberzell)]]
      
Im Frühmittelalter gingen einige antike Kunstkenntnisse verloren. Dies betrifft etwa die Dreidimensionalität und die Darstellung des Menschen in seinen natürlichen Proportionen. Es entwickelte sich ein recht statischer Aufbau und eine gewisse Furcht vor der Leere ''([[Vakuum#Horror vacui|horror vacui]])''. Hinzu kamen neue künstlerische Zielsetzungen und andere künstlerische Charakteristika, so keltische und germanische [[Ornament]]ik (siehe auch [[Germanischer Tierstil]]). Grundlage der frühmittelalterlichen [[Wandmalerei]] ist die spätantike Monumentalmalerei, von der im Frühmittelalter mehr als heute erhalten war. Wie stark die konkreten Zusammenhänge zwischen spätantiker und frühmittelalterlicher Wandmalerei sind, ist heute aber kaum noch zu erschließen, da oft jüngere Eingriffe vorliegen. Von verschiedenen frühmittelalterlichen Wandmalereien sind zudem nur Teile erhalten. Ein Bild der Monumentalmalerei in karolingischer Zeit um 800 vermitteln die heute zwar verlorenen, aber durch Beschreibungen und Skizzen bekannten Vorzeichnungen für den ursprünglichen [[Aachener Dom#Architektur und Baugeschichte|Kuppeldekor der Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen]].<ref>Zusammenfassend zur frühmittelalterlichen Wandmalerei (mit weiterer Literatur) siehe [[Matthias Exner]]: ''Wandmalerei''. In: ''Reallexikon der Germanischen Altertumskunde''. Band 33 (2006), S. 220–231.</ref> In Kirchen waren Wandmalereien mit Darstellungen aus dem Leben Jesu Christi besonders beliebt, aber auch zahlreiche andere biblische Szenen wurden verwendet. Dies wurde durch [[Eschatologie|eschatologische Erwartungen]] für die Zeit um 1000 noch verstärkt. In ottonischer Zeit griff man zunächst auf die karolingische Tradition zurück. Das Mittelschiff von [[Georgskirche (Reichenau)|St.&nbsp;Georg in Reichenau-Oberzell]] (10. Jahrhundert) ist wohl das beste Beispiel für die Innenausmalung eines Kirchenraums, die in karolingischer und ottonischer Zeit recht üblich war.<ref>Zu weiteren Beispielen siehe Matthias Exner: ''Wandmalerei''. In: ''Reallexikon der Germanischen Altertumskunde''. Band 33 (2006), hier S. 224 ff. und den Artikel ''Fresko''. In: ''[[Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte]]. Frauen am Grab–Fresko''. Lieferung 114, hier Sp. 747 f.</ref>
 
Im Frühmittelalter gingen einige antike Kunstkenntnisse verloren. Dies betrifft etwa die Dreidimensionalität und die Darstellung des Menschen in seinen natürlichen Proportionen. Es entwickelte sich ein recht statischer Aufbau und eine gewisse Furcht vor der Leere ''([[Vakuum#Horror vacui|horror vacui]])''. Hinzu kamen neue künstlerische Zielsetzungen und andere künstlerische Charakteristika, so keltische und germanische [[Ornament]]ik (siehe auch [[Germanischer Tierstil]]). Grundlage der frühmittelalterlichen [[Wandmalerei]] ist die spätantike Monumentalmalerei, von der im Frühmittelalter mehr als heute erhalten war. Wie stark die konkreten Zusammenhänge zwischen spätantiker und frühmittelalterlicher Wandmalerei sind, ist heute aber kaum noch zu erschließen, da oft jüngere Eingriffe vorliegen. Von verschiedenen frühmittelalterlichen Wandmalereien sind zudem nur Teile erhalten. Ein Bild der Monumentalmalerei in karolingischer Zeit um 800 vermitteln die heute zwar verlorenen, aber durch Beschreibungen und Skizzen bekannten Vorzeichnungen für den ursprünglichen [[Aachener Dom#Architektur und Baugeschichte|Kuppeldekor der Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen]].<ref>Zusammenfassend zur frühmittelalterlichen Wandmalerei (mit weiterer Literatur) siehe [[Matthias Exner]]: ''Wandmalerei''. In: ''Reallexikon der Germanischen Altertumskunde''. Band 33 (2006), S. 220–231.</ref> In Kirchen waren Wandmalereien mit Darstellungen aus dem Leben Jesu Christi besonders beliebt, aber auch zahlreiche andere biblische Szenen wurden verwendet. Dies wurde durch [[Eschatologie|eschatologische Erwartungen]] für die Zeit um 1000 noch verstärkt. In ottonischer Zeit griff man zunächst auf die karolingische Tradition zurück. Das Mittelschiff von [[Georgskirche (Reichenau)|St.&nbsp;Georg in Reichenau-Oberzell]] (10. Jahrhundert) ist wohl das beste Beispiel für die Innenausmalung eines Kirchenraums, die in karolingischer und ottonischer Zeit recht üblich war.<ref>Zu weiteren Beispielen siehe Matthias Exner: ''Wandmalerei''. In: ''Reallexikon der Germanischen Altertumskunde''. Band 33 (2006), hier S. 224 ff. und den Artikel ''Fresko''. In: ''[[Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte]]. Frauen am Grab–Fresko''. Lieferung 114, hier Sp. 747 f.</ref>
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[[Datei:Aachen Germany Domschatz Cross-of-Lothair-01.jpg|mini|hochkant|Kaiserseite des [[Lotharkreuz]]es]]
      
Mehrere Bischöfe traten als Förderer der Kunst auf, so im späten 10. Jahrhundert [[Gebhard von Konstanz]] in seiner [[Eigenkirche]] in Petershausen oder [[Egbert von Trier]], unter dessen Patronage der [[Meister des Registrum Gregorii]] wirkte. Das Kunsthandwerk brachte unter anderem [[Fibel (Schließe)|Fibeln]], Gürtelschnallen, aber auch Schnitzarbeiten aus [[Elfenbein]], [[Goldschmiedekunst|Goldblecharbeiten]] und reich verzierte Buchdeckelarbeiten hervor. In der [[Plastik (Kunst)|Kleinplastik]] wurde aufgrund des starken religiösen Bedürfnisses viele [[Reliquie]]nbehältnisse angefertigt. Es entstanden zudem zahlreiche liturgische Geräte; als eines der schönsten gilt das um 1000 angefertigte [[Lotharkreuz]]. Das in ottonischer Zeit entstandene [[Gerokreuz]] wiederum ist eine der ersten Monumentalskulpturen des Mittelalters.
 
Mehrere Bischöfe traten als Förderer der Kunst auf, so im späten 10. Jahrhundert [[Gebhard von Konstanz]] in seiner [[Eigenkirche]] in Petershausen oder [[Egbert von Trier]], unter dessen Patronage der [[Meister des Registrum Gregorii]] wirkte. Das Kunsthandwerk brachte unter anderem [[Fibel (Schließe)|Fibeln]], Gürtelschnallen, aber auch Schnitzarbeiten aus [[Elfenbein]], [[Goldschmiedekunst|Goldblecharbeiten]] und reich verzierte Buchdeckelarbeiten hervor. In der [[Plastik (Kunst)|Kleinplastik]] wurde aufgrund des starken religiösen Bedürfnisses viele [[Reliquie]]nbehältnisse angefertigt. Es entstanden zudem zahlreiche liturgische Geräte; als eines der schönsten gilt das um 1000 angefertigte [[Lotharkreuz]]. Das in ottonischer Zeit entstandene [[Gerokreuz]] wiederum ist eine der ersten Monumentalskulpturen des Mittelalters.
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== Christentum ==
 
== Christentum ==
 
=== Allgemeines ===
 
=== Allgemeines ===
[[Datei:San Vitale in Ravenna 07.jpg|mini|Innenansicht der Kirche von [[San Vitale]] im italienischen [[Ravenna]], Mitte 6. Jahrhundert]]
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Religion war im Frühmittelalter im lateinischen Europa, in Byzanz und im Kalifat ein bestimmendes Lebensmoment. Es ist jedoch sehr fraglich, ob man für jeden dieser Kulturräume von einer Einheit in Kultur und Religiosität sprechen kann; vielmehr bestand zwischen den gelehrten Denkvorstellungen und der gelebten [[Volksfrömmigkeit]] ein Unterschied. Dies betraf auch das lateinische Europa, wenngleich in populären Vorstellungen oft von einem monolithischen Block ausgegangen wird.<ref>Siehe dazu etwa Aaron Gurjewitsch: ''Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen''. 5. Auflage, München 1997, S. 352 ff.</ref> Die allgemeine Geschichte des lateinischen Europas und des byzantinischen Kulturkreises im Frühmittelalter ist dennoch eng mit der Geschichte des Christentums in dieser Zeit verknüpft.<ref>Zur Geschichte des Christentums im Frühmittelalter siehe unter anderem: Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter''. Stuttgart u.&nbsp;a. 1990; Peter Brown: ''The Rise of Western Christendom''. 2. Aufl., Oxford 2003; Judith Herrin: ''The Formation of Christendom''. Princeton 1987. Eine umfassende Darstellung (unter Einbeziehung der Ostkirchen) bieten Luce Pietri u. a. (Hrsg.): ''Die Geschichte des Christentums. Band 3: Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431–642).'' Freiburg i. Br. u. a. 2001; Gilbert Dragon, Pierre Riché und André Vauchez (Hrsg.): ''Die Geschichte des Christentums. Band 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642–1054).'' Freiburg i. Br. u. a. 1994; ''The Cambridge History of Christianity''. Band 2–3. Cambridge 2007–2008. Zu einzelnen Persönlichkeiten, Institutionen und Begriffen siehe die Einträge im [[Lexikon des Mittelalters]], in der [[Theologische Realenzyklopädie|Theologischen Realenzyklopädie]] und in dem [[Lexikon für Theologie und Kirche]] (3. Auflage).</ref>
 
Religion war im Frühmittelalter im lateinischen Europa, in Byzanz und im Kalifat ein bestimmendes Lebensmoment. Es ist jedoch sehr fraglich, ob man für jeden dieser Kulturräume von einer Einheit in Kultur und Religiosität sprechen kann; vielmehr bestand zwischen den gelehrten Denkvorstellungen und der gelebten [[Volksfrömmigkeit]] ein Unterschied. Dies betraf auch das lateinische Europa, wenngleich in populären Vorstellungen oft von einem monolithischen Block ausgegangen wird.<ref>Siehe dazu etwa Aaron Gurjewitsch: ''Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen''. 5. Auflage, München 1997, S. 352 ff.</ref> Die allgemeine Geschichte des lateinischen Europas und des byzantinischen Kulturkreises im Frühmittelalter ist dennoch eng mit der Geschichte des Christentums in dieser Zeit verknüpft.<ref>Zur Geschichte des Christentums im Frühmittelalter siehe unter anderem: Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter''. Stuttgart u.&nbsp;a. 1990; Peter Brown: ''The Rise of Western Christendom''. 2. Aufl., Oxford 2003; Judith Herrin: ''The Formation of Christendom''. Princeton 1987. Eine umfassende Darstellung (unter Einbeziehung der Ostkirchen) bieten Luce Pietri u. a. (Hrsg.): ''Die Geschichte des Christentums. Band 3: Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431–642).'' Freiburg i. Br. u. a. 2001; Gilbert Dragon, Pierre Riché und André Vauchez (Hrsg.): ''Die Geschichte des Christentums. Band 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642–1054).'' Freiburg i. Br. u. a. 1994; ''The Cambridge History of Christianity''. Band 2–3. Cambridge 2007–2008. Zu einzelnen Persönlichkeiten, Institutionen und Begriffen siehe die Einträge im [[Lexikon des Mittelalters]], in der [[Theologische Realenzyklopädie|Theologischen Realenzyklopädie]] und in dem [[Lexikon für Theologie und Kirche]] (3. Auflage).</ref>
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=== Päpste und weltliche Herrschaft ===
 
=== Päpste und weltliche Herrschaft ===
[[Datei:Couronnement d'un prince - Sacramentaire de Charles le Chauve Lat1141 f2v.jpg|mini|Darstellung [[Karl der Kahle|Karls des Kahlen]] mit den Päpsten [[Gelasius&nbsp;I.]] und [[Gregor der Große|Gregor&nbsp;I.]] im [[Sakramentar Karls des Kahlen]] (9. Jahrhundert)]]
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Das [[Papst]]tum spielte im Frühmittelalter politisch keine so entscheidende Rolle wie im weiteren Verlauf des Mittelalters.<ref>Knappe Zusammenfassung zur Entwicklung bei Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter.'' Stuttgart u.&nbsp;a. 1990, S. 238 ff. Zu den einzelnen Päpsten siehe etwa [[Franz Xaver Seppelt]]: ''Geschichte der Päpste.'' Bd. 2, 2. Aufl., München 1955. Zum Papsttum siehe Klaus Herbers: ''Geschichte des Papsttums im Mittelalter''. Darmstadt 2012.</ref> Der Bischof von Rom genoss als Nachfolger der Apostel [[Simon Petrus|Petrus]] und [[Paulus von Tarsus|Paulus]] zwar großes Ansehen, doch übte er etwa über die byzantinische Kirche keine Oberherrschaft aus. Der [[Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel|Patriarch von Konstantinopel]] wiederum erhielt nie die Bedeutung wie der Papst im Westen, wo die Päpste schließlich auch eine weltliche [[Plenitudo potestatis|Vollgewalt]] beanspruchten, und bestimmte zu keinem Zeitpunkt die byzantinische Politik. Während des Übergangs von der Antike zum Mittelalter standen die Päpste politisch stark unter byzantinischem Einfluss.<ref>Heike Johanna Mierau: ''Kaiser und Papst im Mittelalter''. Köln 2010, S. 26 ff.</ref>
 
Das [[Papst]]tum spielte im Frühmittelalter politisch keine so entscheidende Rolle wie im weiteren Verlauf des Mittelalters.<ref>Knappe Zusammenfassung zur Entwicklung bei Arnold Angenendt: ''Das Frühmittelalter.'' Stuttgart u.&nbsp;a. 1990, S. 238 ff. Zu den einzelnen Päpsten siehe etwa [[Franz Xaver Seppelt]]: ''Geschichte der Päpste.'' Bd. 2, 2. Aufl., München 1955. Zum Papsttum siehe Klaus Herbers: ''Geschichte des Papsttums im Mittelalter''. Darmstadt 2012.</ref> Der Bischof von Rom genoss als Nachfolger der Apostel [[Simon Petrus|Petrus]] und [[Paulus von Tarsus|Paulus]] zwar großes Ansehen, doch übte er etwa über die byzantinische Kirche keine Oberherrschaft aus. Der [[Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel|Patriarch von Konstantinopel]] wiederum erhielt nie die Bedeutung wie der Papst im Westen, wo die Päpste schließlich auch eine weltliche [[Plenitudo potestatis|Vollgewalt]] beanspruchten, und bestimmte zu keinem Zeitpunkt die byzantinische Politik. Während des Übergangs von der Antike zum Mittelalter standen die Päpste politisch stark unter byzantinischem Einfluss.<ref>Heike Johanna Mierau: ''Kaiser und Papst im Mittelalter''. Köln 2010, S. 26 ff.</ref>
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=== Bilderstreit in Byzanz ===
 
=== Bilderstreit in Byzanz ===
[[Datei:Clasm Chludov.jpg|mini|Byzantinische Miniatur aus dem 9. Jahrhundert. Die Szene zeigt die Übertünchung eines Bildes während des Bilderstreits]]
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Mit der Regierungszeit der byzantinischen Kaiser [[Leo III. (Byzanz)|Leo III.]] und [[Konstantin V. (Byzanz)|Konstantin V.]] wird traditionell ein wichtiger Abschnitt der byzantinischen Geschichte verbunden, der Beginn des sogenannten [[Byzantinischer Bilderstreit|Bilderstreits]], der erst Mitte des 9. Jahrhunderts endete. Den Bilderstreit soll Leo entfacht haben, als er 726 die Christus-Ikone über dem Chalketor am Kaiserpalast entfernt und bald darauf ein Gesetz erlassen habe, das angeblich die Verehrung der [[Ikone]]n verbot. In der Forschung wurden dazu unterschiedliche mögliche Motive diskutiert. Das Resultat sei ein „Bildersturm“ gewesen, verbunden mit Zerstörungen von Heiligenbildern und Verfolgungen. Diese Schilderung entspricht der modernen Forschung zufolge aber keineswegs der Realität.<ref>Zum Bilderstreit siehe Leslie Brubaker: ''Inventing Byzantine Iconoclasm''. London 2012; Leslie Brubaker, John F. Haldon: ''Byzantium in the Iconoclast era, ca. 680-850. A History.'' Cambridge 2011; vgl. auch die abwägende Darstellung bei Judith Herrin: ''The Formation of Christendom''. Princeton 1987, S. 307 ff.</ref>
 
Mit der Regierungszeit der byzantinischen Kaiser [[Leo III. (Byzanz)|Leo III.]] und [[Konstantin V. (Byzanz)|Konstantin V.]] wird traditionell ein wichtiger Abschnitt der byzantinischen Geschichte verbunden, der Beginn des sogenannten [[Byzantinischer Bilderstreit|Bilderstreits]], der erst Mitte des 9. Jahrhunderts endete. Den Bilderstreit soll Leo entfacht haben, als er 726 die Christus-Ikone über dem Chalketor am Kaiserpalast entfernt und bald darauf ein Gesetz erlassen habe, das angeblich die Verehrung der [[Ikone]]n verbot. In der Forschung wurden dazu unterschiedliche mögliche Motive diskutiert. Das Resultat sei ein „Bildersturm“ gewesen, verbunden mit Zerstörungen von Heiligenbildern und Verfolgungen. Diese Schilderung entspricht der modernen Forschung zufolge aber keineswegs der Realität.<ref>Zum Bilderstreit siehe Leslie Brubaker: ''Inventing Byzantine Iconoclasm''. London 2012; Leslie Brubaker, John F. Haldon: ''Byzantium in the Iconoclast era, ca. 680-850. A History.'' Cambridge 2011; vgl. auch die abwägende Darstellung bei Judith Herrin: ''The Formation of Christendom''. Princeton 1987, S. 307 ff.</ref>
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