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Dennoch erlebte die spätantike Kultur unter Justinian einen letzten Höhepunkt. Innenpolitisch stützte sich der Kaiser zu Beginn seiner Regierungszeit unter anderem auf [[Tribonianus]] (der 542 an Folgen einer Pesterkrankung verstarb) und [[Johannes der Kappadokier|Johannes den Kappadokier]] (der 541 in Ungnade fiel). Bis zu ihrem Tod im Jahr 548 gehörte auch seine Ehefrau [[Theodora I.|Theodora]] zum engeren Beraterkreis des Kaisers, wogegen Prokopios in seiner ''Geheimgeschichte'' polemisierte. Justinian kümmerte sich persönlich intensiv um die Religionspolitik, dennoch konnten mehrere der schwierigen theologischen Probleme nicht gelöst werden, so dass die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich nicht gelang. Der Kaiser betrieb des Weiteren eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe ''[[Corpus iuris civilis]]''). Die auf seinen Befehl hin vorgenommene Kodifikation des römischen Rechts erwies sich als dauerhafte Errungenschaft und der kaiserliche Machtanspruch wurde auch von den meisten verbliebenen Germanenreichen (möglicherweise mit Ausnahme des Frankenkönigs [[Theudebert I.]]) akzeptiert. Als Justinian 565 nach 38-jähriger Herrschaft starb, war Ostrom ungeachtet aller Krisensymptome die Vormacht der Mittelmeerwelt. Allerdings hatte die Restaurationspolitik Justinians letztlich auch die Ressourcen Ostroms bis an die Grenze strapaziert, zumal das Reich nun einen wesentlichen größeren Herrschaftsbereich sichern musste, was sich militärisch und fiskalisch bemerkbar machte.<ref>Vgl. Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 304 ff.</ref>
 
Dennoch erlebte die spätantike Kultur unter Justinian einen letzten Höhepunkt. Innenpolitisch stützte sich der Kaiser zu Beginn seiner Regierungszeit unter anderem auf [[Tribonianus]] (der 542 an Folgen einer Pesterkrankung verstarb) und [[Johannes der Kappadokier|Johannes den Kappadokier]] (der 541 in Ungnade fiel). Bis zu ihrem Tod im Jahr 548 gehörte auch seine Ehefrau [[Theodora I.|Theodora]] zum engeren Beraterkreis des Kaisers, wogegen Prokopios in seiner ''Geheimgeschichte'' polemisierte. Justinian kümmerte sich persönlich intensiv um die Religionspolitik, dennoch konnten mehrere der schwierigen theologischen Probleme nicht gelöst werden, so dass die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich nicht gelang. Der Kaiser betrieb des Weiteren eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe ''[[Corpus iuris civilis]]''). Die auf seinen Befehl hin vorgenommene Kodifikation des römischen Rechts erwies sich als dauerhafte Errungenschaft und der kaiserliche Machtanspruch wurde auch von den meisten verbliebenen Germanenreichen (möglicherweise mit Ausnahme des Frankenkönigs [[Theudebert I.]]) akzeptiert. Als Justinian 565 nach 38-jähriger Herrschaft starb, war Ostrom ungeachtet aller Krisensymptome die Vormacht der Mittelmeerwelt. Allerdings hatte die Restaurationspolitik Justinians letztlich auch die Ressourcen Ostroms bis an die Grenze strapaziert, zumal das Reich nun einen wesentlichen größeren Herrschaftsbereich sichern musste, was sich militärisch und fiskalisch bemerkbar machte.<ref>Vgl. Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 304 ff.</ref>
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[[Datei:Roman-Persian Frontier, 565 AD.png|mini|Die römisch-persische Grenze zum Zeitpunkt des Todes Justinians im Jahr 565.]]
   
Justinians Nachfolge trat sein Neffe [[Justin II.]] an (565 bis 574/78), der leere Kassen und ein von den Kriegen und Pestwellen erschöpftes Reich übernahm.<ref>Zur folgenden Zeit vgl. etwa Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 283ff.; Stephen Mitchell: ''A History of the Later Roman Empire.'' 2. Aufl. Oxford u.&nbsp;a. 2015, S. 433ff.; Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 242ff.</ref> Das kulturelle Leben im Osten erfuhr in dieser Zeit einen zunehmenden Wandel und das Reich ging schon recht bald nach Justinian, der als letzter römischer Kaiser Latein zur Muttersprache hatte, eigene Wege als der Westen. Eine Reihe innerer Reformen ließen das Reich langsam seinen römischen Charakter verlieren. Hinzu kam der stetig zunehmende äußere Druck. Zwischen 540 und 630 befand sich Ostrom die meiste Zeit in einem immer verbissener geführten Krieg mit dem Sassanidenreich, der nur von zwei kurzen Friedensperioden (562 bis 572 und 591 bis 602) unterbrochen wurde (siehe ''[[Römisch-Persische Kriege]]''). 572 brach der Krieg erneut aus, nachdem Justin fällige Tributzahlungen verweigert hatte und es generell zu weiteren Spannungen kam. Bereits zuvor hatten die Oströmer Kontakt zu [[Sizabulos]], einem Herrscher der [[Kök-Türken]] aufgenommen, wobei es zu einem zeitweiligen Bündnis kam, das aber nicht die erhoffte Wirkung hatte und nach 576 zerbrach.<ref>Li Qiang, Stefanos Kordosis: ''The Geopolitics on the Silk Road. Resurveying the Relationship of the Western Türks with Byzantium through Their Diplomatic Communications.'' In: ''Medieval Worlds'' 8, 2018, S. 109–125.</ref>
 
Justinians Nachfolge trat sein Neffe [[Justin II.]] an (565 bis 574/78), der leere Kassen und ein von den Kriegen und Pestwellen erschöpftes Reich übernahm.<ref>Zur folgenden Zeit vgl. etwa Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 283ff.; Stephen Mitchell: ''A History of the Later Roman Empire.'' 2. Aufl. Oxford u.&nbsp;a. 2015, S. 433ff.; Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 242ff.</ref> Das kulturelle Leben im Osten erfuhr in dieser Zeit einen zunehmenden Wandel und das Reich ging schon recht bald nach Justinian, der als letzter römischer Kaiser Latein zur Muttersprache hatte, eigene Wege als der Westen. Eine Reihe innerer Reformen ließen das Reich langsam seinen römischen Charakter verlieren. Hinzu kam der stetig zunehmende äußere Druck. Zwischen 540 und 630 befand sich Ostrom die meiste Zeit in einem immer verbissener geführten Krieg mit dem Sassanidenreich, der nur von zwei kurzen Friedensperioden (562 bis 572 und 591 bis 602) unterbrochen wurde (siehe ''[[Römisch-Persische Kriege]]''). 572 brach der Krieg erneut aus, nachdem Justin fällige Tributzahlungen verweigert hatte und es generell zu weiteren Spannungen kam. Bereits zuvor hatten die Oströmer Kontakt zu [[Sizabulos]], einem Herrscher der [[Kök-Türken]] aufgenommen, wobei es zu einem zeitweiligen Bündnis kam, das aber nicht die erhoffte Wirkung hatte und nach 576 zerbrach.<ref>Li Qiang, Stefanos Kordosis: ''The Geopolitics on the Silk Road. Resurveying the Relationship of the Western Türks with Byzantium through Their Diplomatic Communications.'' In: ''Medieval Worlds'' 8, 2018, S. 109–125.</ref>
    
Der Krieg mit Persien verlief zäh, kostete erhebliche Ressourcen und war mit Rückschlägen verbunden. Justin II. erwies sich dem nicht gewachsen, so dass [[Tiberios I.]] (574/78 bis 582) Ende 574 in seiner Rolle als ''Caesar'' faktisch die Regierungsgeschäfte übernahm, wenngleich Justin formal bis 578 weiterhin als übergeordneter Kaiser fungierte.<ref>Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 288 ff.</ref> In seiner Regierungszeit konnten die Römer zwar in der [[Schlacht bei Melitene]] 575/76 einen Sieg über die Perser verbuchen, bei dem Chosrau I. fast in Gefangenschaft geraten wäre, doch blieb die Kriegslage ansonsten unverändert. Friedensgespräche des Kaisers mit Chosraus Sohn und Nachfolger [[Hormizd IV.]] brachten kein Ergebnis. Am Nordrand des Schwarzen Meeres war Ostrom zudem in einen kurzen militärischen Randkonflikt mit den Kök-Türken unter [[Turxanthos]] verwickelt. Aufgrund der kritischen Lage an der Ostgrenze war Tiberios auf dem Balkan bestrebt, Konflikte mit den mächtigen [[Awaren]] durch Diplomatie und Zahlungen zu verhindern.<ref>Zur oströmischen Balkanpolitik im 6. Jahrhundert siehe nun Alexander Sarantis: ''Justinian’s Balkan Wars. Campaigning, Diplomacy and Development in Illyricum, Thace and the Northern World A.D. 527–65.'' Prenton 2016.</ref> Die Awaren waren vor den Kök-Türken nach Westen geflohen und hatten ein Reich mit dem Schwerpunkt im heutigen Ungarn gegründet.<ref>Walter Pohl: ''Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr.'' 2. aktualisierte Auflage. München 2002.</ref> Währenddessen drangen Gruppen von [[Slawen]], die weitgehend unter awarischer Oberherrschaft lebten, bereits nach Griechenland vor.<ref>Florin Curta: ''Still waiting for the barbarians? The making of the Slavs in „Dark-Age“ Greece''. In: Florin Curta (Hrsg.): ''Neglected Barbarians''. Turnhout 2010, S. 403–478.</ref> Im Inneren verfolge Tiberios wie Justin II. vor ihm die Gegner der Beschlüsse des Konzils von Chalcedon, doch blieb die religiöse Spaltung im Reich bestehen.
 
Der Krieg mit Persien verlief zäh, kostete erhebliche Ressourcen und war mit Rückschlägen verbunden. Justin II. erwies sich dem nicht gewachsen, so dass [[Tiberios I.]] (574/78 bis 582) Ende 574 in seiner Rolle als ''Caesar'' faktisch die Regierungsgeschäfte übernahm, wenngleich Justin formal bis 578 weiterhin als übergeordneter Kaiser fungierte.<ref>Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 288 ff.</ref> In seiner Regierungszeit konnten die Römer zwar in der [[Schlacht bei Melitene]] 575/76 einen Sieg über die Perser verbuchen, bei dem Chosrau I. fast in Gefangenschaft geraten wäre, doch blieb die Kriegslage ansonsten unverändert. Friedensgespräche des Kaisers mit Chosraus Sohn und Nachfolger [[Hormizd IV.]] brachten kein Ergebnis. Am Nordrand des Schwarzen Meeres war Ostrom zudem in einen kurzen militärischen Randkonflikt mit den Kök-Türken unter [[Turxanthos]] verwickelt. Aufgrund der kritischen Lage an der Ostgrenze war Tiberios auf dem Balkan bestrebt, Konflikte mit den mächtigen [[Awaren]] durch Diplomatie und Zahlungen zu verhindern.<ref>Zur oströmischen Balkanpolitik im 6. Jahrhundert siehe nun Alexander Sarantis: ''Justinian’s Balkan Wars. Campaigning, Diplomacy and Development in Illyricum, Thace and the Northern World A.D. 527–65.'' Prenton 2016.</ref> Die Awaren waren vor den Kök-Türken nach Westen geflohen und hatten ein Reich mit dem Schwerpunkt im heutigen Ungarn gegründet.<ref>Walter Pohl: ''Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr.'' 2. aktualisierte Auflage. München 2002.</ref> Währenddessen drangen Gruppen von [[Slawen]], die weitgehend unter awarischer Oberherrschaft lebten, bereits nach Griechenland vor.<ref>Florin Curta: ''Still waiting for the barbarians? The making of the Slavs in „Dark-Age“ Greece''. In: Florin Curta (Hrsg.): ''Neglected Barbarians''. Turnhout 2010, S. 403–478.</ref> Im Inneren verfolge Tiberios wie Justin II. vor ihm die Gegner der Beschlüsse des Konzils von Chalcedon, doch blieb die religiöse Spaltung im Reich bestehen.
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[[Datei:Solidus-Maurice Tiberius-sb0481.jpg|mini|[[Solidus]] des Maurikios]]
   
Die Nachfolge des Tiberios trat 582 [[Maurikios]] (582 bis 602) an,<ref>Michael Whitby: ''The Emperor Maurice and his Historian. Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare.'' Oxford 1988.</ref> der zuvor als General recht erfolgreich an der Perserfront gekämpft hatte. Für seine Regierungszeit steht das letzte erhaltene spätantike Geschichtswerk zur Verfügung, die ''Historien'' des [[Theophylaktos Simokates]]. Der Perserkrieg dauerte zu diesem Zeitpunkt immer noch an und keiner Seite gelang ein entscheidender Erfolg. Maurikios konnte jedoch 591 einen günstigen Frieden mit Persien schließen, nachdem er dem geflüchteten Perserkönig [[Chosrau II.]] gegen den Usurpator [[Bahram Tschobin]] auf den Thron verhalf – ein einmaliger Vorgang in der römisch-persischen Geschichte. Maurikios agierte auch gegen Awaren und Slawen auf dem Balkan, nachdem diese zu einer stetigen Gefahr für Ostrom geworden waren. 582 war das strategisch wichtige [[Sirmium]] an die Awaren gefallen, doch nach dem Ende des Perserkriegs konnten die nun frei gestellten römischen Truppen auf dem Balkan eingesetzt werden, wo den Römern einige Siege gelangen. Allerdings gingen die Balkanprovinzen dennoch nur wenige Jahre später weitgehend verloren (siehe ''[[Landnahme der Slawen auf dem Balkan]]''). Zur Sicherung der oströmischen Besitzungen im Westen wurden die [[Exarchat (Byzantinisches Reich)|Exarchate]] eingerichtet. Innenpolitisch verhielt sich Maurikios in religiösen Fragen gegenüber den Monophysiten ebenso ablehnend wie seine Vorgänger. Aufgrund weitgehend leerer Kassen betrieb er zudem eine rigorose und recht unbeliebte Finanzpolitik.<ref>Vgl. auch Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 293 ff.</ref>
 
Die Nachfolge des Tiberios trat 582 [[Maurikios]] (582 bis 602) an,<ref>Michael Whitby: ''The Emperor Maurice and his Historian. Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare.'' Oxford 1988.</ref> der zuvor als General recht erfolgreich an der Perserfront gekämpft hatte. Für seine Regierungszeit steht das letzte erhaltene spätantike Geschichtswerk zur Verfügung, die ''Historien'' des [[Theophylaktos Simokates]]. Der Perserkrieg dauerte zu diesem Zeitpunkt immer noch an und keiner Seite gelang ein entscheidender Erfolg. Maurikios konnte jedoch 591 einen günstigen Frieden mit Persien schließen, nachdem er dem geflüchteten Perserkönig [[Chosrau II.]] gegen den Usurpator [[Bahram Tschobin]] auf den Thron verhalf – ein einmaliger Vorgang in der römisch-persischen Geschichte. Maurikios agierte auch gegen Awaren und Slawen auf dem Balkan, nachdem diese zu einer stetigen Gefahr für Ostrom geworden waren. 582 war das strategisch wichtige [[Sirmium]] an die Awaren gefallen, doch nach dem Ende des Perserkriegs konnten die nun frei gestellten römischen Truppen auf dem Balkan eingesetzt werden, wo den Römern einige Siege gelangen. Allerdings gingen die Balkanprovinzen dennoch nur wenige Jahre später weitgehend verloren (siehe ''[[Landnahme der Slawen auf dem Balkan]]''). Zur Sicherung der oströmischen Besitzungen im Westen wurden die [[Exarchat (Byzantinisches Reich)|Exarchate]] eingerichtet. Innenpolitisch verhielt sich Maurikios in religiösen Fragen gegenüber den Monophysiten ebenso ablehnend wie seine Vorgänger. Aufgrund weitgehend leerer Kassen betrieb er zudem eine rigorose und recht unbeliebte Finanzpolitik.<ref>Vgl. auch Hugh Elton: ''The Roman Empire in Late Antiquity. A Political and Military History.'' Cambridge 2018, S. 293 ff.</ref>
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=== Der Westen in der ausgehenden Spätantike: Von der antiken Welt ins Mittelalter ===
 
=== Der Westen in der ausgehenden Spätantike: Von der antiken Welt ins Mittelalter ===
 
{{Hauptartikel|Frühmittelalter}}
 
{{Hauptartikel|Frühmittelalter}}
[[Datei:East-Hem 500ad.jpg|mini|300px|Die globale territoriale Situation 500 n. Chr.]]
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Im Verlauf des sechsten Jahrhunderts kam es im Westen zu einer langsamen Transformation hin zu einer germanisch-romanischen Welt.<ref>Zum post-römischen Europa siehe nun Chris Wickham: ''The Inheritance of Rome.'' London 2009; [[Roger Collins]]: ''Early Medieval Europe 300–1000''. 3. überarbeitete Auflage. Basingstoke u.&nbsp;a. 2010 (jeweils mit weiterer Literatur). Vgl. auch den Überblick bei Fouracre (Hrsg.): ''[[The New Cambridge Medieval History]]'', Bd. 1. Cambridge 2005.</ref> In Britannien ging die römische Kultur allerdings wohl schon bald nach der Eroberung durch die Angeln, Sachsen und Jüten unter, die ursprünglich nach dem Abzug der kaiserlichen Truppen um 407 von der römischen Bevölkerung als Föderaten ins Land gerufen worden waren. Nur in Wales wurden noch im 6. Jahrhundert lateinische Inschriften gesetzt. Das nach der Hauptstadt Tolosa ([[Toulouse]]) benannte ''Tolosanische Reich'' der [[Westgotenreich|Westgoten]], das sich seit dem späten 5. Jahrhundert auch auf ganz Hispanien ausbreitete, ist hingegen in vielerlei Hinsicht ein Beispiel für die Symbiose von spätrömischer Gesellschaft und germanischer Herrschaft. Die Westgoten verloren den größten Teil Galliens bereits 507 an die Franken und zogen sich weitgehend auf die Iberische Halbinsel zurück. Hauptstadt wurde nun [[Toledo]] (''Toledanisches Reich''). Ihr Reich wurde indes im frühen 8. Jahrhundert von den nach Norden drängenden Muslimen überrannt und ausgelöscht. Das von [[Geiserich]] in Nordafrika begründete Reich der [[Vandalen]] erlebte im 5. Jahrhundert eine Blüte, geriet dann aber unter immer stärkeren Druck durch maurische Stämme und fiel 533 dem Angriff einer oströmischen Armee unter [[Belisar]] zum Opfer.
 
Im Verlauf des sechsten Jahrhunderts kam es im Westen zu einer langsamen Transformation hin zu einer germanisch-romanischen Welt.<ref>Zum post-römischen Europa siehe nun Chris Wickham: ''The Inheritance of Rome.'' London 2009; [[Roger Collins]]: ''Early Medieval Europe 300–1000''. 3. überarbeitete Auflage. Basingstoke u.&nbsp;a. 2010 (jeweils mit weiterer Literatur). Vgl. auch den Überblick bei Fouracre (Hrsg.): ''[[The New Cambridge Medieval History]]'', Bd. 1. Cambridge 2005.</ref> In Britannien ging die römische Kultur allerdings wohl schon bald nach der Eroberung durch die Angeln, Sachsen und Jüten unter, die ursprünglich nach dem Abzug der kaiserlichen Truppen um 407 von der römischen Bevölkerung als Föderaten ins Land gerufen worden waren. Nur in Wales wurden noch im 6. Jahrhundert lateinische Inschriften gesetzt. Das nach der Hauptstadt Tolosa ([[Toulouse]]) benannte ''Tolosanische Reich'' der [[Westgotenreich|Westgoten]], das sich seit dem späten 5. Jahrhundert auch auf ganz Hispanien ausbreitete, ist hingegen in vielerlei Hinsicht ein Beispiel für die Symbiose von spätrömischer Gesellschaft und germanischer Herrschaft. Die Westgoten verloren den größten Teil Galliens bereits 507 an die Franken und zogen sich weitgehend auf die Iberische Halbinsel zurück. Hauptstadt wurde nun [[Toledo]] (''Toledanisches Reich''). Ihr Reich wurde indes im frühen 8. Jahrhundert von den nach Norden drängenden Muslimen überrannt und ausgelöscht. Das von [[Geiserich]] in Nordafrika begründete Reich der [[Vandalen]] erlebte im 5. Jahrhundert eine Blüte, geriet dann aber unter immer stärkeren Druck durch maurische Stämme und fiel 533 dem Angriff einer oströmischen Armee unter [[Belisar]] zum Opfer.
    
In Italien hatte der Ostgote [[Theoderich der Große]] sein Reich weiterhin nach römischem Muster führen lassen, doch verschwand das Ostgotenreich um die Mitte des 6. Jahrhunderts im Zuge der von Justinian I. eingeleiteten ''[[Restauratio imperii]]'' (siehe [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]]). Als die [[Langobarden]] dann 568 große Teile Italiens eroberten, war dies die letzte postimperiale Reichsgründung auf weströmischem Boden und zugleich das Ende der großen „Völkerwanderung“. Der [[Römischer Senat|weströmische Senat]] verschwand um das Jahr 600 aus den Quellen. Nur eine einzige der germanischen Reichsgründungen der ersten Stunde hatte letztlich dauerhaften Bestand, das [[Frankenreich]] der [[Merowinger]], das sich Ende des 5. Jahrhunderts herausbildete und zunächst durchaus auf spätantike Strukturen aufbaute.<ref>Allgemeiner Überblick bei [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015.</ref> Um 500 hatte sich der Frankenkönig [[Chlodwig I.]] taufen lassen und damit das römische Erbe in Gallien angetreten. Die Geschichte des Frankenreiches geht bereits fließend ins Mittelalter über, sodass es schwerfällt, hier einen klaren Schnitt zu setzen (siehe auch [[Gallorömische Kultur]]).
 
In Italien hatte der Ostgote [[Theoderich der Große]] sein Reich weiterhin nach römischem Muster führen lassen, doch verschwand das Ostgotenreich um die Mitte des 6. Jahrhunderts im Zuge der von Justinian I. eingeleiteten ''[[Restauratio imperii]]'' (siehe [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]]). Als die [[Langobarden]] dann 568 große Teile Italiens eroberten, war dies die letzte postimperiale Reichsgründung auf weströmischem Boden und zugleich das Ende der großen „Völkerwanderung“. Der [[Römischer Senat|weströmische Senat]] verschwand um das Jahr 600 aus den Quellen. Nur eine einzige der germanischen Reichsgründungen der ersten Stunde hatte letztlich dauerhaften Bestand, das [[Frankenreich]] der [[Merowinger]], das sich Ende des 5. Jahrhunderts herausbildete und zunächst durchaus auf spätantike Strukturen aufbaute.<ref>Allgemeiner Überblick bei [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015.</ref> Um 500 hatte sich der Frankenkönig [[Chlodwig I.]] taufen lassen und damit das römische Erbe in Gallien angetreten. Die Geschichte des Frankenreiches geht bereits fließend ins Mittelalter über, sodass es schwerfällt, hier einen klaren Schnitt zu setzen (siehe auch [[Gallorömische Kultur]]).
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[[Datei:Denar koenig chlotar i.png|mini|[[Denarius|Denar]] mit dem Abbild des Merowingers [[Chlothar I.]], der als der letzte spätantike Frankenkönig gilt.]]
      
Noch lange akzeptierten die germanischen ''[[Rex (Titel)|reges]]'' in der Regel die oströmische Oberhoheit. Sie bemühten sich um kaiserliche Anerkennung und die Verleihung römischer Titel. Ein Symbol dafür, dass nur der Kaiser und der sassanidische [[Großkönig]] wahrhaft souveräne Monarchen waren, war unter anderem das Privileg, das Herrscherbild auf Goldmünzen zu prägen. Im sechsten Jahrhundert wurde dies auch noch von den meisten Germanenkönigen akzeptiert. Sie setzten ihr eigenes Porträt nur auf die Silbermünzen. Nur der Merowingerkönig [[Theudebert I.]] ließ Goldmünzen mit seinem Bildnis prägen. All dies änderte sich erst grundlegend, als die Kaiser seit etwa 600 durch die Angriffe der Perser und Araber zu sehr geschwächt waren, um weiter im Westen aktiv zu werden. Der Fernhandel im Mittelmeerraum nahm dann im 7. Jahrhundert an Bedeutung rapide ab; ob dies direkt oder indirekt eine Folge der islamischen Expansion war, ist in der Forschung nach wie vor umstritten. Die arabischen Invasionen zerstörten jedenfalls endgültig die freilich nur noch bedingt gegebene Einheit der Mittelmeerwelt (siehe auch [[Islamische Expansion]] und vgl. [[Pirenne-These]]). Auch die Kontakte zwischen Konstantinopel und dem Westen lockerten sich nun zusehends. Um 700 bildeten sich aber auch neue Handelsrouten heraus und entgegen der älteren Lehrmeinung kam es bereits im späten 8. Jahrhundert zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch im Mittelmeerraum ist in dieser Zeit ein reger Warenaustausch zwischen den lateinisch-christlichen Reichen, Byzanz und dem Kalifat nachweisbar.<ref>Vgl. allgemein Michael McCormick: ''Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A. D. 300–900.'' Cambridge 2001.</ref>
 
Noch lange akzeptierten die germanischen ''[[Rex (Titel)|reges]]'' in der Regel die oströmische Oberhoheit. Sie bemühten sich um kaiserliche Anerkennung und die Verleihung römischer Titel. Ein Symbol dafür, dass nur der Kaiser und der sassanidische [[Großkönig]] wahrhaft souveräne Monarchen waren, war unter anderem das Privileg, das Herrscherbild auf Goldmünzen zu prägen. Im sechsten Jahrhundert wurde dies auch noch von den meisten Germanenkönigen akzeptiert. Sie setzten ihr eigenes Porträt nur auf die Silbermünzen. Nur der Merowingerkönig [[Theudebert I.]] ließ Goldmünzen mit seinem Bildnis prägen. All dies änderte sich erst grundlegend, als die Kaiser seit etwa 600 durch die Angriffe der Perser und Araber zu sehr geschwächt waren, um weiter im Westen aktiv zu werden. Der Fernhandel im Mittelmeerraum nahm dann im 7. Jahrhundert an Bedeutung rapide ab; ob dies direkt oder indirekt eine Folge der islamischen Expansion war, ist in der Forschung nach wie vor umstritten. Die arabischen Invasionen zerstörten jedenfalls endgültig die freilich nur noch bedingt gegebene Einheit der Mittelmeerwelt (siehe auch [[Islamische Expansion]] und vgl. [[Pirenne-These]]). Auch die Kontakte zwischen Konstantinopel und dem Westen lockerten sich nun zusehends. Um 700 bildeten sich aber auch neue Handelsrouten heraus und entgegen der älteren Lehrmeinung kam es bereits im späten 8. Jahrhundert zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch im Mittelmeerraum ist in dieser Zeit ein reger Warenaustausch zwischen den lateinisch-christlichen Reichen, Byzanz und dem Kalifat nachweisbar.<ref>Vgl. allgemein Michael McCormick: ''Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A. D. 300–900.'' Cambridge 2001.</ref>
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Im Zusammenhang neuerer Untersuchungen wird deutlich, wie verhältnismäßig eingeschränkt die Gestaltungskraft der Nachfolgereiche im lateinischen Westen verglichen mit anderen Großreichen dieser Zeit war. Das gilt auch für das [[Karolinger]]reich, das immerhin das mächtigste Herrschaftsgebilde im Westen seit dem Fall Westroms war, was schon an einem einfachen Beispiel deutlich wird: 792 ordnete [[Karl der Große]] den Bau eines 3 km langen Kanals in Mittelfranken an, der die Flusssysteme Rhein und Donau verbunden hätte. Die Bauarbeiten blieben jedoch bald stecken, so dass 793 der Bau abgebrochen wurde. 767 waren demgegenüber weitaus umfangreichere Bauvorhaben in Byzanz (wo Wasserleitungen über eine Distanz von mehr als 100 km instand gesetzt wurden) und im Kalifat ([[Runde Stadt Bagdad]], an deren Bau über 100.000 Arbeiter beteiligt waren) ohne größere Probleme gelungen. Im China der [[Tang-Dynastie]] wiederum war 742/43 ein Kanal von rund 150 km Länge planmäßig gebaut worden.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 8f.</ref> All diese Reiche hatten universale Herrschaftsansprüche, ähnlich wie das Karolingerreich nach der Kaiserkrönung Karls im Jahr 800; die Ressourcen und die darauf basierenden Gestaltungsspielräume waren jedoch im Fall der Karolinger wesentlich eingeschränkter.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 9–11.</ref> Den neuen Reichen im Westen standen schlicht nicht mehr die Ressourcen zur Verfügung, die der spätantike römische Staat noch recht mühelos mobilisieren konnte.
 
Im Zusammenhang neuerer Untersuchungen wird deutlich, wie verhältnismäßig eingeschränkt die Gestaltungskraft der Nachfolgereiche im lateinischen Westen verglichen mit anderen Großreichen dieser Zeit war. Das gilt auch für das [[Karolinger]]reich, das immerhin das mächtigste Herrschaftsgebilde im Westen seit dem Fall Westroms war, was schon an einem einfachen Beispiel deutlich wird: 792 ordnete [[Karl der Große]] den Bau eines 3 km langen Kanals in Mittelfranken an, der die Flusssysteme Rhein und Donau verbunden hätte. Die Bauarbeiten blieben jedoch bald stecken, so dass 793 der Bau abgebrochen wurde. 767 waren demgegenüber weitaus umfangreichere Bauvorhaben in Byzanz (wo Wasserleitungen über eine Distanz von mehr als 100 km instand gesetzt wurden) und im Kalifat ([[Runde Stadt Bagdad]], an deren Bau über 100.000 Arbeiter beteiligt waren) ohne größere Probleme gelungen. Im China der [[Tang-Dynastie]] wiederum war 742/43 ein Kanal von rund 150 km Länge planmäßig gebaut worden.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 8f.</ref> All diese Reiche hatten universale Herrschaftsansprüche, ähnlich wie das Karolingerreich nach der Kaiserkrönung Karls im Jahr 800; die Ressourcen und die darauf basierenden Gestaltungsspielräume waren jedoch im Fall der Karolinger wesentlich eingeschränkter.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 9–11.</ref> Den neuen Reichen im Westen standen schlicht nicht mehr die Ressourcen zur Verfügung, die der spätantike römische Staat noch recht mühelos mobilisieren konnte.
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{{Siehe auch|Ende der Antike}}
      
== Die spätantike Welt außerhalb des ''Orbis Romanus'' ==
 
== Die spätantike Welt außerhalb des ''Orbis Romanus'' ==
 
=== Rom und die „Barbaren“: Die Germanen und die post-römischen Reichsbildungen im Westen ===
 
=== Rom und die „Barbaren“: Die Germanen und die post-römischen Reichsbildungen im Westen ===
{{Hauptartikel|Völkerwanderung#Vom Imperium zu Regna: Die germanischen Reichsbildungen im Westen}}
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[[Datei:Münze Gold Solidus Theudebert I um 534.jpg|mini|Gold-Solidus des Frankenkönigs Theudebert nach oströmischem Vorbild]]
   
Eine nicht zu unterschätzende Leistung der römischen Staatlichkeit war das Entstehen post-römischer Nachfolgereiche an der Peripherie und auf dem Boden des Imperiums im 5. Jahrhundert: Die Reiche der [[Ostgoten]] in [[Geschichte Italiens|Italien]] (wobei 568 auch die [[Langobarden]] in Italien einfielen) und der [[Westgoten]] in [[Hispanien]], der [[Vandalen]] in [[Geschichte Nordafrikas|Nordafrika]] sowie der [[Franken (Volk)|Franken]] und [[Burgunden]] in [[Gallien]]. Die Kleinreiche der [[Angelsachsen]] in [[Britannien]] nehmen dabei in gewisser Weise eine Sonderrolle ein. Die Herrschaftsbildungen der [[Heruler]], [[Rugier]] und [[Gepiden]] hatten nur kurzfristig Bestand.<ref>Vgl. dazu Roland Steinacher: ''Rom und die Barbaren. Völker im Alpen- und Donauraum (300–600).'' Stuttgart 2017.</ref>  
 
Eine nicht zu unterschätzende Leistung der römischen Staatlichkeit war das Entstehen post-römischer Nachfolgereiche an der Peripherie und auf dem Boden des Imperiums im 5. Jahrhundert: Die Reiche der [[Ostgoten]] in [[Geschichte Italiens|Italien]] (wobei 568 auch die [[Langobarden]] in Italien einfielen) und der [[Westgoten]] in [[Hispanien]], der [[Vandalen]] in [[Geschichte Nordafrikas|Nordafrika]] sowie der [[Franken (Volk)|Franken]] und [[Burgunden]] in [[Gallien]]. Die Kleinreiche der [[Angelsachsen]] in [[Britannien]] nehmen dabei in gewisser Weise eine Sonderrolle ein. Die Herrschaftsbildungen der [[Heruler]], [[Rugier]] und [[Gepiden]] hatten nur kurzfristig Bestand.<ref>Vgl. dazu Roland Steinacher: ''Rom und die Barbaren. Völker im Alpen- und Donauraum (300–600).'' Stuttgart 2017.</ref>  
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Die zuvor von den Römern im Westen praktizierte Strategie, sich ruhige Verhältnisse an den Grenzen des ''[[Barbaricum]]s'' mit Zahlungen zu erkaufen (so speziell gegenüber den Hunnen, die diverse germanische Gruppen unterworfen hatten, die allerdings ihre Identität bewahrten und nicht in den Hunnen aufgingen, deren locker aufgebautes Reich nach dem Tod [[Attila]]s 453 rasch zerfiel) und Gruppen gegeneinander auszuspielen, war im 5. Jahrhundert nicht mehr effektiv. Vielmehr haben die vielfältigen Kontakte der Römer zu den „[[Germanen]]“ (wobei dieser Begriff in der neuen Forschung zunehmend kritischer betrachtet wird)<ref>Zu den römisch-germanischen Kontakten vgl. einführend Thomas Fischer: ''Gladius. Roms Legionen in Germanien. Eine Geschichte von Caesar bis Chlodwig.'' München 2020</ref> den sozialen Prozess der Bildung gentiler Verbände, die seit dem 3. Jahrhundert zunehmend Druck auf die römischen Grenzen ausübten, gefördert zu haben: Wer über Kontakte ins Imperium verfügte, gewann bei den eigenen Leuten an Ansehen und konnte so seine Gefolgschaften vergrößern. In der Regel scheinen die germanisch-romanischen Reiche im Westen entstanden zu sein, als der schrittweise Zusammenbruch der weströmischen Zentralregierung vielerorts ein Machtvakuum entstehen ließ, das die Anführer bzw. ''[[rex (Titel)|reges]]'' reichsfremder Kriegergruppen füllten. Diese trugen ganz wesentlich zum Werden Europas im Mittelalter bei. Ohne das Vorbild und den Einfluss des spätantiken Römerreiches wären diese Reichsbildungen im Westen, die in vielerlei Weise unmittelbar an das spätantike ''Imperium Romanum'' anknüpften, undenkbar gewesen, wenngleich der Entstehungsprozess der neuen Reiche auch mit militärischen Konflikten verbunden war.<ref>Zur Entstehung dieser post-römischen Nachfolgereiche und der Forschungsdiskussion siehe nun vor allem Mischa Meier: ''Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert.'' München 2019. Vgl. des Weiteren Guy Halsall: ''Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568.'' Cambridge 2007; Walter Pohl: ''Die Völkerwanderung.'' 2. Auflage, Stuttgart u.&nbsp;a. 2005; Peter J. Heather: ''Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe.'' London 2009; [[Verena Postel]]: ''Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter.'' Stuttgart 2004; Chris Wickham: ''The Inheritance of Rome.'' London 2009; Herwig Wolfram: ''Das Römerreich und seine Germanen: Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft.'' Wien/Köln/Weimar 2018.</ref>
 
Die zuvor von den Römern im Westen praktizierte Strategie, sich ruhige Verhältnisse an den Grenzen des ''[[Barbaricum]]s'' mit Zahlungen zu erkaufen (so speziell gegenüber den Hunnen, die diverse germanische Gruppen unterworfen hatten, die allerdings ihre Identität bewahrten und nicht in den Hunnen aufgingen, deren locker aufgebautes Reich nach dem Tod [[Attila]]s 453 rasch zerfiel) und Gruppen gegeneinander auszuspielen, war im 5. Jahrhundert nicht mehr effektiv. Vielmehr haben die vielfältigen Kontakte der Römer zu den „[[Germanen]]“ (wobei dieser Begriff in der neuen Forschung zunehmend kritischer betrachtet wird)<ref>Zu den römisch-germanischen Kontakten vgl. einführend Thomas Fischer: ''Gladius. Roms Legionen in Germanien. Eine Geschichte von Caesar bis Chlodwig.'' München 2020</ref> den sozialen Prozess der Bildung gentiler Verbände, die seit dem 3. Jahrhundert zunehmend Druck auf die römischen Grenzen ausübten, gefördert zu haben: Wer über Kontakte ins Imperium verfügte, gewann bei den eigenen Leuten an Ansehen und konnte so seine Gefolgschaften vergrößern. In der Regel scheinen die germanisch-romanischen Reiche im Westen entstanden zu sein, als der schrittweise Zusammenbruch der weströmischen Zentralregierung vielerorts ein Machtvakuum entstehen ließ, das die Anführer bzw. ''[[rex (Titel)|reges]]'' reichsfremder Kriegergruppen füllten. Diese trugen ganz wesentlich zum Werden Europas im Mittelalter bei. Ohne das Vorbild und den Einfluss des spätantiken Römerreiches wären diese Reichsbildungen im Westen, die in vielerlei Weise unmittelbar an das spätantike ''Imperium Romanum'' anknüpften, undenkbar gewesen, wenngleich der Entstehungsprozess der neuen Reiche auch mit militärischen Konflikten verbunden war.<ref>Zur Entstehung dieser post-römischen Nachfolgereiche und der Forschungsdiskussion siehe nun vor allem Mischa Meier: ''Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert.'' München 2019. Vgl. des Weiteren Guy Halsall: ''Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568.'' Cambridge 2007; Walter Pohl: ''Die Völkerwanderung.'' 2. Auflage, Stuttgart u.&nbsp;a. 2005; Peter J. Heather: ''Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe.'' London 2009; [[Verena Postel]]: ''Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter.'' Stuttgart 2004; Chris Wickham: ''The Inheritance of Rome.'' London 2009; Herwig Wolfram: ''Das Römerreich und seine Germanen: Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft.'' Wien/Köln/Weimar 2018.</ref>
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Nach Ansicht der jüngeren Forschung traten die Krieger dabei zunächst an die Stelle der kaiserlichen Truppen und versuchten, die überlegenen römischen Strukturen möglichst zu bewahren. Andererseits wurde die Integration der Germanen oft durch das unterschiedliche christliche Bekenntnis erschwert: Die in das Imperium eingedrungenen reichsfremden Krieger nahmen, sofern vorher Heiden, recht rasch den christlichen Glauben an, oft aber in Form des [[Arianismus]]: Dieser galt zunehmend als das wichtigste Merkmal, um einen „barbarischen“ Krieger von einem römischen Soldaten zu unterscheiden. Die verhältnismäßig kleinen germanischen Kriegerverbände (keiner dürfte wesentlich größer als 20.000 Krieger gewesen sein)<ref>Vgl. auch Hans-Ulrich Wiemer: ''Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft.'' In: ''Historische Zeitschrift'' 296, 2013, S. 593–628, hier S. 598: ''Es handelte sich um mobile Kriegergruppen und damit um eine Form der Gemeinschaftsbildung, die in vielen Kulturen und Epochen begegnet; sie lässt sich dem Oberbegriff der Gewaltgemeinschaft subsumieren, wenn man darunter soziale Gruppen versteht, für deren Konstitution und Reproduktion Gewalt eine zentrale Rolle spielt.''</ref> mit ihrem familiären Anhang bildeten eine verschwindend geringe Minderheit gegenüber der römischen Provinzbevölkerung, füllten aber die Leerstelle, die das Verschwinden der weströmischen Armee hinterlassen hatte. Währenddessen füllte auf gesellschaftlicher Ebene vor allem die Kirche die Lücke der sich in Auflösung befindlichen römischen staatlichen Strukturen aus. Im Inneren präsentierten sich viele der germanischen Herrscher in der Nachfolge Roms und akzeptierten bis ins 6. Jahrhundert die Oberherrschaft des Kaisers im fernen Konstantinopel zumindest formal weitgehend. Sie ließen die jeweiligen [[Germanische Stammesrechte|Stammesrechte]] lateinisch kodifizieren und gingen zu einer (wenigstens bedingten) Kooperationspolitik mit den zivilen Eliten über, da es ihr Ziel war, das überlegene spätrömische Staats- und Steuerwesen zu nutzen. Die wichtigsten Verwaltungsposten wurden deshalb auch unter germanischer Herrschaft überwiegend von Römern bekleidet. Die Vorstellung, es habe sich bei den neuen Herren nur um gewalttätige „Barbaren“ ohne Bezug zur römischen Kultur gehandelt, hat sich längst als falsch erwiesen, trotz manch topisch geprägter Barbarenkritik in den Quellen (allerdings stellt Britannien in diesem Kontext einen Sonderfall dar). „Römisch“ und „barbarisch“ sind in diesem Prozess unzureichend klare Begriffe. Die germanisch-romanischen Reiche waren ebenso wie Ostrom ein fester Bestandteil der post-römischen Welt um 500, die trotz mancher Brüche immer noch starke Kontinuitätslinien aufwies.<ref>Zu diesem Transformationsprozess siehe etwa Hans-Werner Goetz, Jörg Jarnut, Walter Pohl (Hrsg.): ''Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World.'' Leiden u.&nbsp;a. 2003; Thomas F. X. Noble (Hrsg.): ''From Roman Provinces to Medieval Kingdoms.'' London/New York 2006; Walter Pohl (Hrsg.): ''Kingdoms of the Empire.'' Leiden u.&nbsp;a. 1997.</ref>  
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Nach Ansicht der jüngeren Forschung traten die Krieger dabei zunächst an die Stelle der kaiserlichen Truppen und versuchten, die überlegenen römischen Strukturen möglichst zu bewahren. Andererseits wurde die Integration der Germanen oft durch das unterschiedliche christliche Bekenntnis erschwert: Die in das Imperium eingedrungenen reichsfremden Krieger nahmen, sofern vorher Heiden, recht rasch den christlichen Glauben an, oft aber in Form des [[Arianismus]]: Dieser galt zunehmend als das wichtigste Merkmal, um einen „barbarischen“ Krieger von einem römischen Soldaten zu unterscheiden. Die verhältnismäßig kleinen germanischen Kriegerverbände (keiner dürfte wesentlich größer als 20.000 Krieger gewesen sein)<ref>Vgl. auch Hans-Ulrich Wiemer: ''Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft.'' In: ''Historische Zeitschrift'' 296, 2013, S. 593–628, hier S. 598: ''Es handelte sich um mobile Kriegergruppen und damit um eine Form der Gemeinschaftsbildung, die in vielen Kulturen und Epochen begegnet; sie lässt sich dem Oberbegriff der Gewaltgemeinschaft subsumieren, wenn man darunter soziale Gruppen versteht, für deren Konstitution und Reproduktion Gewalt eine zentrale Rolle spielt.''</ref> mit ihrem familiären Anhang bildeten eine verschwindend geringe Minderheit gegenüber der römischen Provinzbevölkerung, füllten aber die Leerstelle, die das Verschwinden der weströmischen Armee hinterlassen hatte. Währenddessen füllte auf gesellschaftlicher Ebene vor allem die Kirche die Lücke der sich in Auflösung befindlichen römischen staatlichen Strukturen aus. Im Inneren präsentierten sich viele der germanischen Herrscher in der Nachfolge Roms und akzeptierten bis ins 6. Jahrhundert die Oberherrschaft des Kaisers im fernen Konstantinopel zumindest formal weitgehend. Sie ließen die jeweiligen [[Germanische Stammesrechte|Stammesrechte]] lateinisch kodifizieren und gingen zu einer (wenigstens bedingten) Kooperationspolitik mit den zivilen Eliten über, da es ihr Ziel war, das überlegene spätrömische Staats- und Steuerwesen zu nutzen. Die wichtigsten Verwaltungsposten wurden deshalb auch unter germanischer Herrschaft überwiegend von Römern bekleidet. Die Vorstellung, es habe sich bei den neuen Herren nur um gewalttätige „Barbaren“ ohne Bezug zur römischen Kultur gehandelt, hat sich längst als falsch erwiesen, trotz manch topisch geprägter Barbarenkritik in den Quellen (allerdings stellt Britannien in diesem Kontext einen Sonderfall dar). „Römisch“ und „barbarisch“ sind in diesem Prozess unzureichend klare Begriffe. Die germanisch-romanischen Reiche waren ebenso wie Ostrom ein fester Bestandteil der post-römischen Welt um 500, die trotz mancher Brüche immer noch starke Kontinuitätslinien aufwies.<ref>Zu diesem Transformationsprozess siehe etwa Hans-Werner Goetz, Jörg Jarnut, Walter Pohl (Hrsg.): ''Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World.'' Leiden u.&nbsp;a. 2003; Thomas F. X. Noble (Hrsg.): ''From Roman Provinces to Medieval Kingdoms.'' London/New York 2006; Walter Pohl (Hrsg.): ''Kingdoms of the Empire.'' Leiden u.&nbsp;a. 1997.</ref>
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[[Datei:CHILDERICI REGIS.jpg|mini|Kopie eines verschollenen Siegelrings mit dem Bildnis Childerichs I. und Aufschrift ''CHILDIRICI REGIS'' („[Besitz] des ''rex'' Childerich“)]]
   
Die wohl erfolgreichste Reichsbildung im Westen stellte das [[Frankenreich]] der [[Merowinger]] dar.<ref>Bonnie Effros, Isabel Moreira (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of the Merovingian World.'' Oxford u.&nbsp;a. 2020; Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994; [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015. Siehe auch die Beiträge in [[Stefan Esders (Historiker)|Stefan Esders]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources.'' London u.&nbsp;a. 2019; Stefan Esders u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective.'' Cambridge 2019.</ref> Die fränkischen ''foederati'' nutzten die instabilen Verhältnisse in Gallien und agierten seit Mitte des 5. Jahrhundert weitgehend selbstständig. Nach dem Fall Westroms hatte sich in Nordgallien, gestützt auf die Reste der Rheinarmee und vielleicht zunächst noch im Bündnis mit dem Frankenkönig [[Childerich I.]], bis 486/87 ein [[Reich von Soissons|nordgallische Sonderreich]] gehalten. Dieses war 461 vom römischen Feldherrn [[Aegidius (Feldherr)|Aegidius]] gegründet worden, nachdem dieser sich mit der weströmischen Regierung überworfen hatte. Im Kern handelte Aegidius nun als ein [[Warlord#Spätantike|Warlord]], der von den zeitgenössischen Umständen profitierte und aus dem zerfallenen weströmischen Reich einen Teil nun für sich beanspruchte.<ref>Vgl. auch Jeroen W. P. Wijnendaele: ''Generalissimos and Warlords in the Late Roman West.'' In: Nãco del Hoyo, López Sánchez (Hrsg.): ''War, Warlords and Interstate Relations in the Ancient Mediterranean.'' Leiden 2018, S. 429–451.</ref> Nach seinem Tod 464 herrschte wohl kurzzeitig ein gewisser [[Paulus (Comes)|Paulus]] (der aber vielleicht auch eigenständig agierte) und anschließend Aegidius' Sohn [[Syagrius]]. Letzterer scheint, wiewohl Römer, ähnlich wie Odoaker und andere Heerführer von seiner Armee angesichts der Erosion der Macht der weströmischen Zentralregierung zum ''[[Rex (Titel)|rex]]'', zum faktisch unabhängigen Territorialherren, erhoben worden zu sein. Er wurde nach seiner Niederlage 486/87 gegen [[Chlodwig I.]] (gest. 511), den fränkischen ''administrator'' der römischen Provinz ''Belgica secunda'' und Sohn Childerichs, von diesem in dieser Rolle beerbt.<ref>Matthias Becher: ''Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt.'' München 2011; Mischa Meier, Steffen Patzold (Hrsg.): ''Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500.'' Stuttgart 2014.</ref>
 
Die wohl erfolgreichste Reichsbildung im Westen stellte das [[Frankenreich]] der [[Merowinger]] dar.<ref>Bonnie Effros, Isabel Moreira (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of the Merovingian World.'' Oxford u.&nbsp;a. 2020; Eugen Ewig: ''Die Merowinger und das Frankenreich''. 5. Aufl., Stuttgart 2006; Ian N. Wood: ''The Merovingian Kingdoms''. London 1994; [[Sebastian Scholz]]: ''Die Merowinger.'' Stuttgart 2015. Siehe auch die Beiträge in [[Stefan Esders (Historiker)|Stefan Esders]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources.'' London u.&nbsp;a. 2019; Stefan Esders u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective.'' Cambridge 2019.</ref> Die fränkischen ''foederati'' nutzten die instabilen Verhältnisse in Gallien und agierten seit Mitte des 5. Jahrhundert weitgehend selbstständig. Nach dem Fall Westroms hatte sich in Nordgallien, gestützt auf die Reste der Rheinarmee und vielleicht zunächst noch im Bündnis mit dem Frankenkönig [[Childerich I.]], bis 486/87 ein [[Reich von Soissons|nordgallische Sonderreich]] gehalten. Dieses war 461 vom römischen Feldherrn [[Aegidius (Feldherr)|Aegidius]] gegründet worden, nachdem dieser sich mit der weströmischen Regierung überworfen hatte. Im Kern handelte Aegidius nun als ein [[Warlord#Spätantike|Warlord]], der von den zeitgenössischen Umständen profitierte und aus dem zerfallenen weströmischen Reich einen Teil nun für sich beanspruchte.<ref>Vgl. auch Jeroen W. P. Wijnendaele: ''Generalissimos and Warlords in the Late Roman West.'' In: Nãco del Hoyo, López Sánchez (Hrsg.): ''War, Warlords and Interstate Relations in the Ancient Mediterranean.'' Leiden 2018, S. 429–451.</ref> Nach seinem Tod 464 herrschte wohl kurzzeitig ein gewisser [[Paulus (Comes)|Paulus]] (der aber vielleicht auch eigenständig agierte) und anschließend Aegidius' Sohn [[Syagrius]]. Letzterer scheint, wiewohl Römer, ähnlich wie Odoaker und andere Heerführer von seiner Armee angesichts der Erosion der Macht der weströmischen Zentralregierung zum ''[[Rex (Titel)|rex]]'', zum faktisch unabhängigen Territorialherren, erhoben worden zu sein. Er wurde nach seiner Niederlage 486/87 gegen [[Chlodwig I.]] (gest. 511), den fränkischen ''administrator'' der römischen Provinz ''Belgica secunda'' und Sohn Childerichs, von diesem in dieser Rolle beerbt.<ref>Matthias Becher: ''Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt.'' München 2011; Mischa Meier, Steffen Patzold (Hrsg.): ''Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500.'' Stuttgart 2014.</ref>
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Die Geschichte der [[Goten]] vom späten 4. Jahrhundert, nachdem die [[Hunnen]] das Reich [[Ermanarich]]s in der heutigen Ukraine vernichtet hatten und diverse germanische Gruppen unterworfen hatten, bis ins späte 5. Jahrhundert war davon geprägt, sich Siedlungsland und damit verbunden eine ausreichende Existenzgrundlage zu sichern.<ref>Zum Folgenden allgemein Herwig Wolfram: ''Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts.'' 5. Auflage, München 2009.</ref> Die [[Westgoten]], die teils als Gegner, teils als Verbündete Roms agiert hatten, wurden 418 im südwestlichen Gallien angesiedelt, bevor sie 466 den Vertrag mit Westrom brachen (siehe oben). Das neue [[Westgotenreich]] umfasste neben Südgallien auch Teile Hispaniens. Nach der schweren Niederlage in der [[Schlacht von Vouillé]] gegen die Franken 507, mussten die Westgoten Gallien bis auf die Region um [[Narbonne]] räumen.<ref>Allgemein zum Westgotenreich ab dem 6. Jahrhundert siehe Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 140ff.; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711''. Oxford 2004, S. 38ff.</ref> [[Toledo]] wurde die neue Hauptstadt der Westgoten ''(Toledanisches Reich)'' und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. [[Leovigild]] eroberte 585 das [[Sueben]]reich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste sein Sohn [[Rekkared I.]], der 587 zum katholischen Glauben übergetreten war, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten.'' Paderborn 2008, S. 173ff.</ref> Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt, um 600 erlebte es eine kulturelle Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant [[Isidor von Sevilla]] war. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert, die 711 König [[Roderich]] in der [[Schlacht am Río Guadalete]] schlugen.
 
Die Geschichte der [[Goten]] vom späten 4. Jahrhundert, nachdem die [[Hunnen]] das Reich [[Ermanarich]]s in der heutigen Ukraine vernichtet hatten und diverse germanische Gruppen unterworfen hatten, bis ins späte 5. Jahrhundert war davon geprägt, sich Siedlungsland und damit verbunden eine ausreichende Existenzgrundlage zu sichern.<ref>Zum Folgenden allgemein Herwig Wolfram: ''Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts.'' 5. Auflage, München 2009.</ref> Die [[Westgoten]], die teils als Gegner, teils als Verbündete Roms agiert hatten, wurden 418 im südwestlichen Gallien angesiedelt, bevor sie 466 den Vertrag mit Westrom brachen (siehe oben). Das neue [[Westgotenreich]] umfasste neben Südgallien auch Teile Hispaniens. Nach der schweren Niederlage in der [[Schlacht von Vouillé]] gegen die Franken 507, mussten die Westgoten Gallien bis auf die Region um [[Narbonne]] räumen.<ref>Allgemein zum Westgotenreich ab dem 6. Jahrhundert siehe Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten''. Paderborn 2008, S. 140ff.; Roger Collins: ''Visigothic Spain 409–711''. Oxford 2004, S. 38ff.</ref> [[Toledo]] wurde die neue Hauptstadt der Westgoten ''(Toledanisches Reich)'' und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. [[Leovigild]] eroberte 585 das [[Sueben]]reich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste sein Sohn [[Rekkared I.]], der 587 zum katholischen Glauben übergetreten war, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche.<ref>Gerd Kampers: ''Geschichte der Westgoten.'' Paderborn 2008, S. 173ff.</ref> Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt, um 600 erlebte es eine kulturelle Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant [[Isidor von Sevilla]] war. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert, die 711 König [[Roderich]] in der [[Schlacht am Río Guadalete]] schlugen.
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[[Datei:Teodorico re dei Goti (493-526).png|mini|Münze mit dem Bildnis Theoderichs]]
   
Die [[Ostgoten]] hatten sich Ende des 5. Jahrhunderts, nachdem sie die zuvor herrschende Oberherrschaft der Hunnen abgeschüttelt hatten, zunächst vergeblich um neues sicheres Siedlungsland bemüht und das oströmische Reich unter Druck gesetzt. Kaiser [[Zenon (Kaiser)|Zenon]] entledigte sich dieses Problems, indem er die Ostgoten nach Italien verwies, das sie für ihn erobern sollten. 489 fielen sie in Italien ein, Odoaker wurde 493 getötet. Über das italische [[Ostgotenreich]] herrschte nun [[Theoderich der Große|Theoderich]], der sich als fähiger Herrscher erwies. Unter ihm erlebte das Land ein letztes Mal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen [[Boethius]] und [[Quintus Aurelius Memmius Symmachus|Symmachus]] zu erkennen ist.<ref>Zu Theoderich siehe nun vor allem [[Hans-Ulrich Wiemer]]: ''Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer.'' München 2018. Vgl. des Weiteren Frank M. Ausbüttel: ''Theoderich der Große.'' Darmstadt 2004; [[Wilhelm Enßlin]]: ''Theoderich der Große.'' 2. Auflage. München 1959. Zu den Quellen und deren Bewertung siehe Andreas Goltz: ''Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts.'' Berlin/New York 2008.</ref> Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe behindert, zumal die Ostgoten Arianer blieben. Nach Theoderichs Tod 526 kam es bald zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in der Regierungszeit Justinians in Italien intervenierte. Der anschließende [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] (535–552) verwüstete die Halbinsel. Diese wurde nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz, doch schon bald darauf fielen 568 die [[Langobarden]] unter [[Alboin]] in Italien ein, eroberten weite Teile das Landes und beendeten damit endgültig die Spätantike in diesem Raum.<ref>Jörg Jarnut: ''Geschichte der Langobarden.'' Stuttgart 1982; Wilfried Menghin: ''Die Langobarden.'' Stuttgart 1985; Peter Erhart, Walter Pohl (Hrsg.): ''Die Langobarden: Herrschaft und Identität.'' Wien 2005.</ref>
 
Die [[Ostgoten]] hatten sich Ende des 5. Jahrhunderts, nachdem sie die zuvor herrschende Oberherrschaft der Hunnen abgeschüttelt hatten, zunächst vergeblich um neues sicheres Siedlungsland bemüht und das oströmische Reich unter Druck gesetzt. Kaiser [[Zenon (Kaiser)|Zenon]] entledigte sich dieses Problems, indem er die Ostgoten nach Italien verwies, das sie für ihn erobern sollten. 489 fielen sie in Italien ein, Odoaker wurde 493 getötet. Über das italische [[Ostgotenreich]] herrschte nun [[Theoderich der Große|Theoderich]], der sich als fähiger Herrscher erwies. Unter ihm erlebte das Land ein letztes Mal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen [[Boethius]] und [[Quintus Aurelius Memmius Symmachus|Symmachus]] zu erkennen ist.<ref>Zu Theoderich siehe nun vor allem [[Hans-Ulrich Wiemer]]: ''Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer.'' München 2018. Vgl. des Weiteren Frank M. Ausbüttel: ''Theoderich der Große.'' Darmstadt 2004; [[Wilhelm Enßlin]]: ''Theoderich der Große.'' 2. Auflage. München 1959. Zu den Quellen und deren Bewertung siehe Andreas Goltz: ''Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts.'' Berlin/New York 2008.</ref> Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe behindert, zumal die Ostgoten Arianer blieben. Nach Theoderichs Tod 526 kam es bald zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in der Regierungszeit Justinians in Italien intervenierte. Der anschließende [[Gotenkrieg (535–554)|Gotenkrieg]] (535–552) verwüstete die Halbinsel. Diese wurde nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz, doch schon bald darauf fielen 568 die [[Langobarden]] unter [[Alboin]] in Italien ein, eroberten weite Teile das Landes und beendeten damit endgültig die Spätantike in diesem Raum.<ref>Jörg Jarnut: ''Geschichte der Langobarden.'' Stuttgart 1982; Wilfried Menghin: ''Die Langobarden.'' Stuttgart 1985; Peter Erhart, Walter Pohl (Hrsg.): ''Die Langobarden: Herrschaft und Identität.'' Wien 2005.</ref>
    
Die [[Vandalen]] waren durch den [[Rheinübergang von 406]] in Gallien eingefallen, bald darauf aber weiter nach Hispanien gezogen. Sie setzte unter [[Geiserich]] im Jahr 429 von Südspanien nach Nordafrika über, wo die Krieger bis 439 ganz ''[[Africa]]'', die reichste weströmische Provinz und die Kornkammer Westroms, eroberten.<ref>[[Helmut Castritius]]: ''Die Vandalen.'' Stuttgart u. a. 2007; Andy Merrills, Richard Miles: ''The Vandals.'' Oxford/Malden, MA 2010; Roland Steinacher: ''Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs.'' Stuttgart 2016; [[Konrad Vössing]]: ''Das Königreich der Vandalen.'' Darmstadt 2014.</ref> Vollkommen überraschend erwiesen sich die Vandalen als recht geschickt darin, mit einer Kriegsflotte zu operieren, womit sie zu einer ernsten Bedrohung für die weströmische Regierung wurden. Geiserich griff in der Folgezeit denn auch immer wieder in die weströmischen Machtkämpfe ein: Im Jahr [[Plünderung Roms (455)|455 plünderte er Rom]], 468 wehrte er eine gesamtrömische Flottenexpedition ab. Neben dem Vandalenreich existierten im ehemaligen weströmischen Nordafrika aber auch maurische Kleinreiche (siehe [[Masuna]] und [[Masties]]). Im Inneren erwiesen sich die Vandalen (ähnlich wie viele andere ''foederati'') nicht als Barbaren, sondern durchaus als Anhänger der römischen Kultur, die weiter in ''Africa'' gepflegt wurde.<ref>Vgl. auch Jonathan Conant: ''Staying Roman: Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean, 439–700.'' Cambridge 2012.</ref> Allerdings kam es zwischen den arianischen Vandalen und den katholischen Romanen zu erheblichen religiösen Spannungen, die nicht überwunden wurden, bis in den Jahren 533/534 oströmische Truppen das Vandalenreich nach einem nur kurzen Feldzug eroberten und die Provinz bis zum Einbruch der Araber um 670 zu Ostrom gehörte.
 
Die [[Vandalen]] waren durch den [[Rheinübergang von 406]] in Gallien eingefallen, bald darauf aber weiter nach Hispanien gezogen. Sie setzte unter [[Geiserich]] im Jahr 429 von Südspanien nach Nordafrika über, wo die Krieger bis 439 ganz ''[[Africa]]'', die reichste weströmische Provinz und die Kornkammer Westroms, eroberten.<ref>[[Helmut Castritius]]: ''Die Vandalen.'' Stuttgart u. a. 2007; Andy Merrills, Richard Miles: ''The Vandals.'' Oxford/Malden, MA 2010; Roland Steinacher: ''Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs.'' Stuttgart 2016; [[Konrad Vössing]]: ''Das Königreich der Vandalen.'' Darmstadt 2014.</ref> Vollkommen überraschend erwiesen sich die Vandalen als recht geschickt darin, mit einer Kriegsflotte zu operieren, womit sie zu einer ernsten Bedrohung für die weströmische Regierung wurden. Geiserich griff in der Folgezeit denn auch immer wieder in die weströmischen Machtkämpfe ein: Im Jahr [[Plünderung Roms (455)|455 plünderte er Rom]], 468 wehrte er eine gesamtrömische Flottenexpedition ab. Neben dem Vandalenreich existierten im ehemaligen weströmischen Nordafrika aber auch maurische Kleinreiche (siehe [[Masuna]] und [[Masties]]). Im Inneren erwiesen sich die Vandalen (ähnlich wie viele andere ''foederati'') nicht als Barbaren, sondern durchaus als Anhänger der römischen Kultur, die weiter in ''Africa'' gepflegt wurde.<ref>Vgl. auch Jonathan Conant: ''Staying Roman: Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean, 439–700.'' Cambridge 2012.</ref> Allerdings kam es zwischen den arianischen Vandalen und den katholischen Romanen zu erheblichen religiösen Spannungen, die nicht überwunden wurden, bis in den Jahren 533/534 oströmische Truppen das Vandalenreich nach einem nur kurzen Feldzug eroberten und die Provinz bis zum Einbruch der Araber um 670 zu Ostrom gehörte.
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[[Datei:2008-05-17-SuttonHoo.jpg|mini|Rekonstruierter Helm eines Fürsten (vermutlich König [[Rædwald]]) aus [[Sutton Hoo]] ([[British Museum]])]]
   
In [[Britannien]] ging die römische Ordnung bereits in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts unter. Um 440 rebellierten hier [[Sachsen (Volk)|Sachsen]], später auch [[Jüten]] und [[Angeln (Volk)|Angeln]], die als ''foederati'' gedient hatten, und gründeten eigene Kleinreiche, nachdem Westrom die Insel zu Beginn des 5. Jahrhunderts praktisch sich selbst überlassen hatte.<ref>Michael Lapidge, John Blair, Simon Keynes, Donald Scragg (Hrsg.): ''The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England.'' 2. Aufl. Chichester 2014; James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982 (mehrere NDe); Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 173ff.; Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013; Harald Kleinschmidt: ''Die Angelsachsen''. München 2011; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017.</ref> Nur vereinzelt gelang es römisch-britannischen Truppen, den Invasoren Widerstand zu leisten, doch ist über die Details wenig bekannt. Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch einige Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche ''(Sub-Roman Britain)'', wobei sich die Romano-Briten in [[Wales]] und im heutige [[Cornwall]] halten konnten. Britannien wurde von allen weströmischen Provinzen am schlimmsten von den Folgen des Zerfalls Westroms getroffen. Die antike urbane Kultur, die in Britannien ohnehin weniger stark ausgeprägt war als etwa in Gallien oder in ''Africa'', ging bald schon unter, die schriftlichen Quellen sind äußerst rar. Das Christentum befand sich auf dem Rückzug, wohingegen die Christianisierung in [[Irland]], das nie Teil des Imperiums war und über keine urbanen Zentren verfügte, erfolgreich verlief (siehe auch [[Iro-schottische Mission]]). Der späteren Christianisierung der Angelsachsen gelang im 7. Jahrhundert der Durchbruch. In dieser Zeit bildete sich die sogenannte [[Heptarchie]] aus, die sieben bis ins 9. Jahrhundert dominierenden angelsächsischen Königreiche ([[Königreich Essex|Essex]], [[Königreich Sussex|Sussex]], [[Königreich Wessex|Wessex]], [[Königreich Kent|Kent]], [[Königreich East Anglia|East Anglia]], [[Mercia]] und [[Northumbria]]).
 
In [[Britannien]] ging die römische Ordnung bereits in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts unter. Um 440 rebellierten hier [[Sachsen (Volk)|Sachsen]], später auch [[Jüten]] und [[Angeln (Volk)|Angeln]], die als ''foederati'' gedient hatten, und gründeten eigene Kleinreiche, nachdem Westrom die Insel zu Beginn des 5. Jahrhunderts praktisch sich selbst überlassen hatte.<ref>Michael Lapidge, John Blair, Simon Keynes, Donald Scragg (Hrsg.): ''The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England.'' 2. Aufl. Chichester 2014; James Campbell (Hrsg.): ''The Anglo-Saxons''. Oxford 1982 (mehrere NDe); Roger Collins: ''Early Medieval Europe 300–1000.'' 3. Aufl., Basingstoke u.&nbsp;a. 2010, S. 173ff.; Nicholas J. Higham, Martin J. Ryan: ''The Anglo-Saxon World.'' New Haven 2013; Harald Kleinschmidt: ''Die Angelsachsen''. München 2011; Henrietta Leyser: ''A Short History of the Anglo-Saxons.'' London/New York 2017.</ref> Nur vereinzelt gelang es römisch-britannischen Truppen, den Invasoren Widerstand zu leisten, doch ist über die Details wenig bekannt. Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch einige Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche ''(Sub-Roman Britain)'', wobei sich die Romano-Briten in [[Wales]] und im heutige [[Cornwall]] halten konnten. Britannien wurde von allen weströmischen Provinzen am schlimmsten von den Folgen des Zerfalls Westroms getroffen. Die antike urbane Kultur, die in Britannien ohnehin weniger stark ausgeprägt war als etwa in Gallien oder in ''Africa'', ging bald schon unter, die schriftlichen Quellen sind äußerst rar. Das Christentum befand sich auf dem Rückzug, wohingegen die Christianisierung in [[Irland]], das nie Teil des Imperiums war und über keine urbanen Zentren verfügte, erfolgreich verlief (siehe auch [[Iro-schottische Mission]]). Der späteren Christianisierung der Angelsachsen gelang im 7. Jahrhundert der Durchbruch. In dieser Zeit bildete sich die sogenannte [[Heptarchie]] aus, die sieben bis ins 9. Jahrhundert dominierenden angelsächsischen Königreiche ([[Königreich Essex|Essex]], [[Königreich Sussex|Sussex]], [[Königreich Wessex|Wessex]], [[Königreich Kent|Kent]], [[Königreich East Anglia|East Anglia]], [[Mercia]] und [[Northumbria]]).
    
=== Das spätantike Persien – Roms Rivale im Osten ===
 
=== Das spätantike Persien – Roms Rivale im Osten ===
 
{{Hauptartikel|Sassanidenreich}}
 
{{Hauptartikel|Sassanidenreich}}
[[Datei:A rock-face relief of Shapur I over the Roman Emperor Valerian.jpg|mini|Triumphrelief Schapurs bei Naqsch-e Rostam: Vor dem Perserkönig (zu Pferd) kniet Kaiser Philippus Arabs; Kaiser Valerian steht neben Schapur, der ihn zum Zeichen der Gefangenschaft am Arm gepackt hat.]]
      
Neben Rom war die zweite spätantike Großmacht das neupersische [[Sassanidenreich]] (benannt nach der herrschenden Dynastie der Sāsāniden).<ref>Vgl. einführend Michael G. Morony: ''[https://cpb-us-e2.wpmucdn.com/sites.uci.edu/dist/c/347/files/2020/01/e-sasanika1-Morony.pdf Should Sasanian Iran be Included in Late Antiquity?] (PDF; 271&nbsp;kB)''. In: ''E-Sasanika'' 1 (2008) und Touraj Daryaee: ''[https://web.archive.org/web/20191113205806/https://mizanproject.org/journal-post/the-sasanians-and-the-late-antique-world/ The Sasanians and the Late Antique World].'' In: ''MIZAN'' 3 (2018). Zur Geschichte des Sassanidenreichs siehe unter anderem: Michael Bonner: ''The Last Empire of Iran.'' Piscataway 2020; [[Henning Börm]]: ''Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike.'' Stuttgart 2007; Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009; Touraj Daryaee: ''Sasanian Iran 224–651 CE. Portrait of a Late Antique Empire.'' Costa Mesa (Calif.) 2008; Touraj Daryaee: ''Sasanian Persia. The Rise and Fall of an Empire.'' London 2009; Touraj Daryaee (Hrsg.): ''Sasanian Iran in the context of Late Anitquity. The Bahari lecture series at the Oxford University.'' Irvine 2018; [[Engelbert Winter]], Beate Dignas: ''Rom und das Perserreich. Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz.'' Berlin 2001; [[James Howard-Johnston]]: ''East Rome, Sasanian Persia and the End of Antiquity: Historiographical and Historical Studies.'' Aldershot 2006; Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017; Zeev Rubin: ''The Sasanid Monarchy''. In: [[Averil Cameron]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''[[The Cambridge Ancient History]] 14''. Cambridge 2000, S. 638ff.; Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017; [[Klaus Schippmann]]: ''Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches.'' Darmstadt 1990.</ref> Es erstreckte sich über weite Teile der heutigen Staaten [[Iran]], [[Irak]] und [[Afghanistan]] sowie mehrere angrenzende Randgebiete.
 
Neben Rom war die zweite spätantike Großmacht das neupersische [[Sassanidenreich]] (benannt nach der herrschenden Dynastie der Sāsāniden).<ref>Vgl. einführend Michael G. Morony: ''[https://cpb-us-e2.wpmucdn.com/sites.uci.edu/dist/c/347/files/2020/01/e-sasanika1-Morony.pdf Should Sasanian Iran be Included in Late Antiquity?] (PDF; 271&nbsp;kB)''. In: ''E-Sasanika'' 1 (2008) und Touraj Daryaee: ''[https://web.archive.org/web/20191113205806/https://mizanproject.org/journal-post/the-sasanians-and-the-late-antique-world/ The Sasanians and the Late Antique World].'' In: ''MIZAN'' 3 (2018). Zur Geschichte des Sassanidenreichs siehe unter anderem: Michael Bonner: ''The Last Empire of Iran.'' Piscataway 2020; [[Henning Börm]]: ''Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike.'' Stuttgart 2007; Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009; Touraj Daryaee: ''Sasanian Iran 224–651 CE. Portrait of a Late Antique Empire.'' Costa Mesa (Calif.) 2008; Touraj Daryaee: ''Sasanian Persia. The Rise and Fall of an Empire.'' London 2009; Touraj Daryaee (Hrsg.): ''Sasanian Iran in the context of Late Anitquity. The Bahari lecture series at the Oxford University.'' Irvine 2018; [[Engelbert Winter]], Beate Dignas: ''Rom und das Perserreich. Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz.'' Berlin 2001; [[James Howard-Johnston]]: ''East Rome, Sasanian Persia and the End of Antiquity: Historiographical and Historical Studies.'' Aldershot 2006; Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017; Zeev Rubin: ''The Sasanid Monarchy''. In: [[Averil Cameron]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''[[The Cambridge Ancient History]] 14''. Cambridge 2000, S. 638ff.; Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017; [[Klaus Schippmann]]: ''Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches.'' Darmstadt 1990.</ref> Es erstreckte sich über weite Teile der heutigen Staaten [[Iran]], [[Irak]] und [[Afghanistan]] sowie mehrere angrenzende Randgebiete.
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Es gelang den Persern vor allem in der Regierungszeit von Schapur I. (240/42–270), der 260 sogar Kaiser [[Valerian]] gefangen nahm, [[Schapur II.]] (309–379), [[Chosrau I.]] (531–579) und [[Chosrau II.]] (590–628) sich militärisch erfolgreich gegen Rom zu behaupten (siehe ''[[Römisch-Persische Kriege]]''), wobei Aggressionen durchaus von beiden Seiten ausgingen und die Römer unter [[Herakleios]] im „letzten großen Krieg der Antike“ (603 bis 628) am Ende die Oberhand behielten.<ref>Überblick zu den militärischen Konflikten bei Michael H. Dodgeon, Samuel N. C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars (AD 226–363).'' London/New York 1991; [[Geoffrey B. Greatrex]], Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook.'' London/New York 2002.</ref> Außer kriegerischen Auseinandersetzungen – diese dominierten die wechselseitigen Beziehungen außer im vergleichsweise friedlichen 5. Jahrhundert, in dem es nur zu kleineren Konflikten kam – gab es aber auch zahlreiche friedliche Kontakte zwischen Römern und Persern, die sich in vielerlei Hinsicht gegenseitig beeinflussten.
 
Es gelang den Persern vor allem in der Regierungszeit von Schapur I. (240/42–270), der 260 sogar Kaiser [[Valerian]] gefangen nahm, [[Schapur II.]] (309–379), [[Chosrau I.]] (531–579) und [[Chosrau II.]] (590–628) sich militärisch erfolgreich gegen Rom zu behaupten (siehe ''[[Römisch-Persische Kriege]]''), wobei Aggressionen durchaus von beiden Seiten ausgingen und die Römer unter [[Herakleios]] im „letzten großen Krieg der Antike“ (603 bis 628) am Ende die Oberhand behielten.<ref>Überblick zu den militärischen Konflikten bei Michael H. Dodgeon, Samuel N. C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars (AD 226–363).'' London/New York 1991; [[Geoffrey B. Greatrex]], Samuel N.C. Lieu: ''The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars. Part II AD 363–630. A narrative sourcebook.'' London/New York 2002.</ref> Außer kriegerischen Auseinandersetzungen – diese dominierten die wechselseitigen Beziehungen außer im vergleichsweise friedlichen 5. Jahrhundert, in dem es nur zu kleineren Konflikten kam – gab es aber auch zahlreiche friedliche Kontakte zwischen Römern und Persern, die sich in vielerlei Hinsicht gegenseitig beeinflussten.
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[[Datei:ChosroesHuntingScene.JPG|rechts|mini|250px|Darstellung einer Jagdszene mit Chosrau I. (sassanidische Darstellung des 7. Jahrhunderts), Cabinet des Medailles, Paris]]
   
Das spätantike Persien war kein barbarischer Nachbar Roms, sondern ein durchaus ebenbürtiges Reich.<ref>Scott McDonough: ''Were the Sasanians Barbarians? Roman Writers on the »Empire of the Persians«.'' In: Ralph W. Mathisen, Danuta Shanzer (Hrsg.): ''Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World.'' Aldershot 2011, S. 55–66.</ref> Im diplomatischen Verkehr wurde die Metapher von den „zwei Brüdern“ hinsichtlich dem Kaiser und dem persischen ''šāhān šāh''<ref>Ammianus Marcellinus 17, 5.</ref> bzw. von den beiden „Augen der Welt“ verwendet, um die politische und militärische Gleichrangigkeit beider Reiche zu betonen.<ref>[[Petros Patrikios]], Fragment 13; Theophylaktos Simokates 4,11, 2f. Vgl. dazu auch Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009.</ref> Persien war über vier Jahrhunderte hinweg ein wichtiges Bindeglied zwischen Ost und West, über das wichtige Handelsrouten verliefen, die den Westen mit Zentralasien, China und Indien verbanden (siehe auch [[Indienhandel]]). In der neueren Forschung eröffnet denn auch eine übergreifende Betrachtung des damaligen Verbindungsgeflechts zwischen der Mittelmeerwelt, Persien und Zentralasien neue Perspektiven.<ref>Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018.</ref>
 
Das spätantike Persien war kein barbarischer Nachbar Roms, sondern ein durchaus ebenbürtiges Reich.<ref>Scott McDonough: ''Were the Sasanians Barbarians? Roman Writers on the »Empire of the Persians«.'' In: Ralph W. Mathisen, Danuta Shanzer (Hrsg.): ''Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World.'' Aldershot 2011, S. 55–66.</ref> Im diplomatischen Verkehr wurde die Metapher von den „zwei Brüdern“ hinsichtlich dem Kaiser und dem persischen ''šāhān šāh''<ref>Ammianus Marcellinus 17, 5.</ref> bzw. von den beiden „Augen der Welt“ verwendet, um die politische und militärische Gleichrangigkeit beider Reiche zu betonen.<ref>[[Petros Patrikios]], Fragment 13; Theophylaktos Simokates 4,11, 2f. Vgl. dazu auch Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran.'' Berkeley 2009.</ref> Persien war über vier Jahrhunderte hinweg ein wichtiges Bindeglied zwischen Ost und West, über das wichtige Handelsrouten verliefen, die den Westen mit Zentralasien, China und Indien verbanden (siehe auch [[Indienhandel]]). In der neueren Forschung eröffnet denn auch eine übergreifende Betrachtung des damaligen Verbindungsgeflechts zwischen der Mittelmeerwelt, Persien und Zentralasien neue Perspektiven.<ref>Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018.</ref>
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=== Zentralasien und der fernere Osten: Reitervölker und die chinesische Großmacht ===
 
=== Zentralasien und der fernere Osten: Reitervölker und die chinesische Großmacht ===
[[Datei:Seidenstrasse GMT Ausschnitt Zentralasien.jpg|mini|hochkant=1.5|Zentralasien mit Tarimbecken (rechts) und dem Verlauf der Seidenstraße (gelb)]]
   
[[Zentralasien]] war nicht erst oder nur in der Spätantike ein Raum, der (was besonders betont werden muss) politisch, wirtschaftlich, kulturell und religiös äußerst vielfältig gestaltet war.<ref>Vgl. einführend und zusammenfassend Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff.; weiterführende spezielle Informationen bieten unter anderem Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018; Douglas Haug: ''The Eastern Frontier. Limits of Empire in Late Antique and Early Medieval Central Asia.'' London/New York 2019. Allgemein zur Geschichte Zentralasiens in diesem Zeitraum siehe auch [[Christoph Baumer]]: ''The History of Central Asia.'' Bd. 2. London 2014; [[Peter Frankopan]]: ''Licht aus dem Osten.'' Berlin 2016; Valerie Hansen: ''The Silk Road. A History with Documents.'' Oxford 2016.</ref> Neben (halb)nomadischen Gruppen verschiedener [[Reitervölker]], die ihre teils weiträumigen [[Steppenreich]]e zumindest oberflächlich beherrschten (wenngleich die sehr heterogen zusammengesetzten Verbände aufgrund ihres sehr lockeren Aufbaus nur eine begrenzte Lebensdauer hatten), existierten Stadtstaaten und andere, eher regionale Herrschaftsgebilde sesshafter Kulturen. Die verschiedenen Landschaften reichten von fruchtbaren Zonen über Steppen und Wüstenregionen mit Oasen bis zu gewaltigen Gebirgszügen wie dem [[Hindukusch]].
 
[[Zentralasien]] war nicht erst oder nur in der Spätantike ein Raum, der (was besonders betont werden muss) politisch, wirtschaftlich, kulturell und religiös äußerst vielfältig gestaltet war.<ref>Vgl. einführend und zusammenfassend Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff.; weiterführende spezielle Informationen bieten unter anderem Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018; Douglas Haug: ''The Eastern Frontier. Limits of Empire in Late Antique and Early Medieval Central Asia.'' London/New York 2019. Allgemein zur Geschichte Zentralasiens in diesem Zeitraum siehe auch [[Christoph Baumer]]: ''The History of Central Asia.'' Bd. 2. London 2014; [[Peter Frankopan]]: ''Licht aus dem Osten.'' Berlin 2016; Valerie Hansen: ''The Silk Road. A History with Documents.'' Oxford 2016.</ref> Neben (halb)nomadischen Gruppen verschiedener [[Reitervölker]], die ihre teils weiträumigen [[Steppenreich]]e zumindest oberflächlich beherrschten (wenngleich die sehr heterogen zusammengesetzten Verbände aufgrund ihres sehr lockeren Aufbaus nur eine begrenzte Lebensdauer hatten), existierten Stadtstaaten und andere, eher regionale Herrschaftsgebilde sesshafter Kulturen. Die verschiedenen Landschaften reichten von fruchtbaren Zonen über Steppen und Wüstenregionen mit Oasen bis zu gewaltigen Gebirgszügen wie dem [[Hindukusch]].
    
Ein grundlegendes Problem bei der Rekonstruktion der Geschichte Zentralasiens in der Spätantike ist der Mangel an erzählenden Quellen. Ganz im Gegensatz zur reichhaltigen Geschichtsschreibung über Ereignisse im Westen, berichten spätantike Geschichtsschreiber über Zentralasien nur sehr selten und oft sind selbst die knappen Bemerkungen eher aus zweiter Hand, wenngleich neben den Schilderungen westlicher Geschichtsschreiber auch umfassendere chinesische Berichte vorliegen. Eine eigenständige Geschichtsschreibung aus dem zentralasiatischen Raum existiert nicht, während von der mittelpersischen Literatur kaum etwas erhalten ist; nur bei einigen späteren perso-arabischen Autoren finden sich vereinzelte Informationen, die auf älteren Vorlagen zu basieren scheinen. Münzen, archäologische sowie epigraphische Befunde und Fragmente von Texten bieten zwar Einblick in die Geschichte Ostirans und Zentralasiens, wo es im Laufe der Spätantike zu dramatischen Veränderungen kam, doch sind viele dieser Ereignisse nur in Grundzügen erkennbar.
 
Ein grundlegendes Problem bei der Rekonstruktion der Geschichte Zentralasiens in der Spätantike ist der Mangel an erzählenden Quellen. Ganz im Gegensatz zur reichhaltigen Geschichtsschreibung über Ereignisse im Westen, berichten spätantike Geschichtsschreiber über Zentralasien nur sehr selten und oft sind selbst die knappen Bemerkungen eher aus zweiter Hand, wenngleich neben den Schilderungen westlicher Geschichtsschreiber auch umfassendere chinesische Berichte vorliegen. Eine eigenständige Geschichtsschreibung aus dem zentralasiatischen Raum existiert nicht, während von der mittelpersischen Literatur kaum etwas erhalten ist; nur bei einigen späteren perso-arabischen Autoren finden sich vereinzelte Informationen, die auf älteren Vorlagen zu basieren scheinen. Münzen, archäologische sowie epigraphische Befunde und Fragmente von Texten bieten zwar Einblick in die Geschichte Ostirans und Zentralasiens, wo es im Laufe der Spätantike zu dramatischen Veränderungen kam, doch sind viele dieser Ereignisse nur in Grundzügen erkennbar.
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[[Datei:BahramITheIndoSasanian.jpg|mini|200px|Münze mit Abbildung des letzten kuschano-sassanidischen Herrschers Bahram Kuschanschah (Mitte 4. Jahrhundert).]]
   
Die Perser mussten sich nicht nur mit dem Römerreich im Westen auseinandersetzen, sondern des Weiteren an der Nordostgrenze des [[Sassanidenreich]]s nach [[Transoxanien]]/[[Sīstān|Sakastan]] immer wieder aggressive Nomadengruppen abwehren, die oft ebenfalls eine große Bedrohung darstellten. Das einst mächtige [[Kuschana]]reich stellte im 3. Jahrhundert zwar keine ernsthafte Gefahr mehr dar, weshalb die Sassaniden im Osten ihres Reiches zum Schutz der Grenze eine Art Vizekönigreich errichten konnten ([[Kuschano-Sassaniden]]).<ref>Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017, S. 72 ff.</ref> Dann jedoch erschienen seit Mitte des 4. Jahrhunderts in mehreren Wellen neue Angreifer in Transoxanien.
 
Die Perser mussten sich nicht nur mit dem Römerreich im Westen auseinandersetzen, sondern des Weiteren an der Nordostgrenze des [[Sassanidenreich]]s nach [[Transoxanien]]/[[Sīstān|Sakastan]] immer wieder aggressive Nomadengruppen abwehren, die oft ebenfalls eine große Bedrohung darstellten. Das einst mächtige [[Kuschana]]reich stellte im 3. Jahrhundert zwar keine ernsthafte Gefahr mehr dar, weshalb die Sassaniden im Osten ihres Reiches zum Schutz der Grenze eine Art Vizekönigreich errichten konnten ([[Kuschano-Sassaniden]]).<ref>Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017, S. 72 ff.</ref> Dann jedoch erschienen seit Mitte des 4. Jahrhunderts in mehreren Wellen neue Angreifer in Transoxanien.
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Während die Alchon und die Nezak wohl nicht in engeren Kontakt mit den Persern traten, zwangen Chioniten, Kidariten und besonders die Hephthaliten die Perserkönige wiederholt zu Feldzügen im Osten, die für die Sassaniden nicht immer siegreich ausgingen und teils erhebliche Kräfte banden. [[Bahram V.]] konnte sich in den 420er-Jahren behaupten, doch bereits sein Nachfolger [[Yazdegerd II.]] hatte Mühe, die Grenze zu stabilisieren. [[Peroz I.]] wiederum konnte zwar die Kidariten endgültig niederzwingen, wurde aber von den neu auftauchenden Hephthaliten geschlagen und fiel 484 sogar im Kampf gegen sie. Während die Chioniten und Kidariten eine ständige, aber noch überschaubare Bedrohung dargestellt hatten, waren die Hephthaliten ein wesentlich ernsthafterer und besser organisierter Gegner.<ref>Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017, S. 125 ff.</ref> Sie fügten den Persern nicht nur militärische Niederlagen zu, sondern mischten sich sogar in die persische Innenpolitik im Rahmen interner Thronkämpfe ein. Prokopios von Caesarea zufolge verfügten die Hephthaliten zudem über eine recht effektive Herrschaftsstruktur mit einem König an der Spitze und waren nach Abschluss ihrer Eroberungen in Baktrien und Transoxanien offenbar keine Nomaden mehr.
 
Während die Alchon und die Nezak wohl nicht in engeren Kontakt mit den Persern traten, zwangen Chioniten, Kidariten und besonders die Hephthaliten die Perserkönige wiederholt zu Feldzügen im Osten, die für die Sassaniden nicht immer siegreich ausgingen und teils erhebliche Kräfte banden. [[Bahram V.]] konnte sich in den 420er-Jahren behaupten, doch bereits sein Nachfolger [[Yazdegerd II.]] hatte Mühe, die Grenze zu stabilisieren. [[Peroz I.]] wiederum konnte zwar die Kidariten endgültig niederzwingen, wurde aber von den neu auftauchenden Hephthaliten geschlagen und fiel 484 sogar im Kampf gegen sie. Während die Chioniten und Kidariten eine ständige, aber noch überschaubare Bedrohung dargestellt hatten, waren die Hephthaliten ein wesentlich ernsthafterer und besser organisierter Gegner.<ref>Khodadad Rezakhani: ''ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity.'' Edinburgh 2017, S. 125 ff.</ref> Sie fügten den Persern nicht nur militärische Niederlagen zu, sondern mischten sich sogar in die persische Innenpolitik im Rahmen interner Thronkämpfe ein. Prokopios von Caesarea zufolge verfügten die Hephthaliten zudem über eine recht effektive Herrschaftsstruktur mit einem König an der Spitze und waren nach Abschluss ihrer Eroberungen in Baktrien und Transoxanien offenbar keine Nomaden mehr.
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[[Datei:HephthaliteCoin.jpg|250px|mini|Nezakmünze]]
   
Die Perser sahen sich gezwungen, für die Verteidigung der Nordostgrenze ein spezielles Militärkommando einzurichten, dessen Befehlshaber (''[[marzban]]'') den Titel ''kanārang'' trug und seinen Sitz in [[Nischapur]] hatte. Ein grundlegendes Problem für die Perser stellte in diesem Zusammenhang die konstante Bedrohungslage durch die Halbnomaden dar. Unterschiedliche Gruppen wechselten sich ab, war ein Gegner ausgeschaltet, erschien oftmals bald ein neuer auf der Bildfläche. So wie die Chioniten von den Kidariten und diese von den Hephthaliten abgelöst wurden, traten nach Vernichtung des Hephthalitenreichs um 560 durch Perser und [[Kök-Türken]] letztere als neue und gefährliche Gegenspieler der Perser in Erscheinung. All diese Gruppen waren wie andere Reitervölker auf Beute bzw. Tributleistungen angewiesen, um ihre Lebensgrundlage zu decken und die eigene Herrschaft zu stabilisieren. Dieses Spannungsfeld in den Beziehungen zwischen Reitervölkern und den angrenzenden, wohlhabenderen sesshaften Gesellschaften wird auch als „endemischer Konflikt“ bezeichnet.<ref>Vgl. zusammenfassend Timo Stickler: ''Die Hunnen.'' München 2007, S. 12 ff.</ref>
 
Die Perser sahen sich gezwungen, für die Verteidigung der Nordostgrenze ein spezielles Militärkommando einzurichten, dessen Befehlshaber (''[[marzban]]'') den Titel ''kanārang'' trug und seinen Sitz in [[Nischapur]] hatte. Ein grundlegendes Problem für die Perser stellte in diesem Zusammenhang die konstante Bedrohungslage durch die Halbnomaden dar. Unterschiedliche Gruppen wechselten sich ab, war ein Gegner ausgeschaltet, erschien oftmals bald ein neuer auf der Bildfläche. So wie die Chioniten von den Kidariten und diese von den Hephthaliten abgelöst wurden, traten nach Vernichtung des Hephthalitenreichs um 560 durch Perser und [[Kök-Türken]] letztere als neue und gefährliche Gegenspieler der Perser in Erscheinung. All diese Gruppen waren wie andere Reitervölker auf Beute bzw. Tributleistungen angewiesen, um ihre Lebensgrundlage zu decken und die eigene Herrschaft zu stabilisieren. Dieses Spannungsfeld in den Beziehungen zwischen Reitervölkern und den angrenzenden, wohlhabenderen sesshaften Gesellschaften wird auch als „endemischer Konflikt“ bezeichnet.<ref>Vgl. zusammenfassend Timo Stickler: ''Die Hunnen.'' München 2007, S. 12 ff.</ref>
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Die [[Kök-Türken]] spielten eine wichtige Rolle in Zentralasien,<ref>Zu den Kök-Türken siehe einführend Mark Dickens: ''Türks.'' In: ''[[The Oxford Dictionary of Late Antiquity]].'' Band 2 (2018), S. 1533 f.; [[Denis Sinor]]: ''The Establishment and Dissolution of the Turk Empire.'' In: Denis Sinor (Hrsg.): ''The Cambridge History of Early Inner Asia.'' Cambridge 1990, S. 285–316; [[Bertold Spuler]]: ''Geschichte Mittelasiens seit dem Auftreten der Türken.'' In: [[Karl Jettmar]] (Hrsg.): ''Geschichte Mittelasiens.'' Leiden 1966, S. 123 ff. Zu den chinesisch-türkischen Beziehungen in dieser Zeit siehe Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997; Wang Zhenping: ''Tang China in multi-polar Asia. A history of diplomacy and war.'' Honolulu 2013, S. 21 ff.</ref> nachdem sie 552 die Macht der mächtigen Stammesföderation der [[Rouran]] gebrochen hatten.<ref>Nikolay N. Kradin: ''From Tribal Confederation to Empire: The Evolution of the Rouran Society.'' In: ''Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae'' 58, 2005, S. 149–169.</ref> Ihr Reich erstreckte sich über ein gewaltiges Territorium vom [[Aralsee]] bis in die [[Mandschurei]] und umfasste ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Es war seit etwa 582 in zwei [[Khanat|Khaganate]] (ein westliches und ein östliches) aufgeteilt: Im Westen kam es oft zu Auseinandersetzungen mit den Sassaniden, während die Türken im Osten die chinesische Reichsgrenze bedrohten. Herrscher wie [[Sizabulos]] und [[Tardu]] tauchen sowohl in westlichen als auch in (später entstandenen) orientalischen und in chinesischen Quellen auf, wenngleich viele Fragen aufgrund der dünnen Quellenlage offen sind. Offenbar war das Khaganat, deren beide Oberherrscher zur Sicherung ihrer Herrschaft auf Beute und Prestige angewiesen waren, wie viele andere Steppenreiche nicht sehr stabil. 630 wurde das östliche Khaganat von den Chinesen erobert, Mitte des 7. Jahrhunderts löste sich das westliche Khaganat faktisch auf.<ref>Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997, S. 176 ff.</ref> Im Jahr 682 erhoben sich die Türken jedoch gegen ihre chinesischen Oberherren und eroberten weite Teile ihres ersten Reiches in Zentralasien und der Mongolei zurück.<ref>Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997, S. 262 ff.</ref> Im folgenden Kampf gegen die Araber brach das zuvor neu etablierte westliche Khaganat jedoch erneut zusammen, wobei die türkischen [[Türgesch]] für einige Jahre zu einem wichtigen Machtfaktor wurden. Das östliche Khaganat, das sowohl von den Kämpfen gegen Araber und Chinesen als auch durch interne Konflikte geschwächt war, ging in den 740er-Jahren unter, nachdem die Türken von den [[Uiguren]] besiegt wurden.<ref>Zu diesen siehe Colin Mackerras: ''The Uighur Empire According to the T'ang Dynastic Histories. A Study in Sino-Uighur Relations 744–840.'' Columbia, SC 1973.</ref>
 
Die [[Kök-Türken]] spielten eine wichtige Rolle in Zentralasien,<ref>Zu den Kök-Türken siehe einführend Mark Dickens: ''Türks.'' In: ''[[The Oxford Dictionary of Late Antiquity]].'' Band 2 (2018), S. 1533 f.; [[Denis Sinor]]: ''The Establishment and Dissolution of the Turk Empire.'' In: Denis Sinor (Hrsg.): ''The Cambridge History of Early Inner Asia.'' Cambridge 1990, S. 285–316; [[Bertold Spuler]]: ''Geschichte Mittelasiens seit dem Auftreten der Türken.'' In: [[Karl Jettmar]] (Hrsg.): ''Geschichte Mittelasiens.'' Leiden 1966, S. 123 ff. Zu den chinesisch-türkischen Beziehungen in dieser Zeit siehe Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997; Wang Zhenping: ''Tang China in multi-polar Asia. A history of diplomacy and war.'' Honolulu 2013, S. 21 ff.</ref> nachdem sie 552 die Macht der mächtigen Stammesföderation der [[Rouran]] gebrochen hatten.<ref>Nikolay N. Kradin: ''From Tribal Confederation to Empire: The Evolution of the Rouran Society.'' In: ''Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae'' 58, 2005, S. 149–169.</ref> Ihr Reich erstreckte sich über ein gewaltiges Territorium vom [[Aralsee]] bis in die [[Mandschurei]] und umfasste ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Es war seit etwa 582 in zwei [[Khanat|Khaganate]] (ein westliches und ein östliches) aufgeteilt: Im Westen kam es oft zu Auseinandersetzungen mit den Sassaniden, während die Türken im Osten die chinesische Reichsgrenze bedrohten. Herrscher wie [[Sizabulos]] und [[Tardu]] tauchen sowohl in westlichen als auch in (später entstandenen) orientalischen und in chinesischen Quellen auf, wenngleich viele Fragen aufgrund der dünnen Quellenlage offen sind. Offenbar war das Khaganat, deren beide Oberherrscher zur Sicherung ihrer Herrschaft auf Beute und Prestige angewiesen waren, wie viele andere Steppenreiche nicht sehr stabil. 630 wurde das östliche Khaganat von den Chinesen erobert, Mitte des 7. Jahrhunderts löste sich das westliche Khaganat faktisch auf.<ref>Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997, S. 176 ff.</ref> Im Jahr 682 erhoben sich die Türken jedoch gegen ihre chinesischen Oberherren und eroberten weite Teile ihres ersten Reiches in Zentralasien und der Mongolei zurück.<ref>Pan Yihong: ''Son of Heaven and Heavenly Qaghan. Sui-Tang China and its Neighbors.'' Bellingham 1997, S. 262 ff.</ref> Im folgenden Kampf gegen die Araber brach das zuvor neu etablierte westliche Khaganat jedoch erneut zusammen, wobei die türkischen [[Türgesch]] für einige Jahre zu einem wichtigen Machtfaktor wurden. Das östliche Khaganat, das sowohl von den Kämpfen gegen Araber und Chinesen als auch durch interne Konflikte geschwächt war, ging in den 740er-Jahren unter, nachdem die Türken von den [[Uiguren]] besiegt wurden.<ref>Zu diesen siehe Colin Mackerras: ''The Uighur Empire According to the T'ang Dynastic Histories. A Study in Sino-Uighur Relations 744–840.'' Columbia, SC 1973.</ref>
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[[Datei:Hommes au banquet, pigment sur plâtre, Penjikent, Tadjikistan.jpg|mini|Szene eines Herrenbanketts auf einer Wandmalerei im sogdischen Pandschakent]]
   
[[Sogdien]] war eine Region mit mehreren wirtschaftlich bedeutenden Stadtstaaten in den Oasen und ein kultureller Schmelztiegel.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Sogdian Traders. A History.'' Leiden/Boston 2005.</ref> Die Region stand politisch lange unter Kontrolle der verschiedenen eingebrochenen Nomadengruppen, seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts dann unter Herrschaft der Kök-Türken. Im Gegensatz zu Baktrien war die Fremdherrschaft für die Sogdier nicht drückend und behinderte nicht ihr wirtschaftliches und kulturelles Handeln. Vielmehr interagierten Türken und Sogdier recht intensiv und offenbar sogar weitgehend harmonisch miteinander. Sogdier spielten in der Verwaltung des Kök-Türkenreichs eine wichtige Rolle und wurden auch mit wichtigen diplomatischen Missionen betraut, wie das Beispiel des bereits erwähnten [[Maniakh]] belegt. Die türkische Militärmacht sicherte auch die weitere Entfaltung des sogdischen Handels und das Aufblühen der sogdischen Kultur, wie unter anderem archäologische Untersuchungen belegen.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff., hier S. 149 f.</ref> Von der bereits erwähnten neuen Überlandroute zwischen China und dem Westen profitierte Sogdien erheblich, zumal nun regionale Händler vor Ort den Handel weitgehend in eigenen Händen hatten.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff., hier S. 148 f.</ref> Nachdem das Kök-Türkenreich erlosch, behielten die Sogdier im Reich der Uiguren weiterhin eine führende Stellung.
 
[[Sogdien]] war eine Region mit mehreren wirtschaftlich bedeutenden Stadtstaaten in den Oasen und ein kultureller Schmelztiegel.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Sogdian Traders. A History.'' Leiden/Boston 2005.</ref> Die Region stand politisch lange unter Kontrolle der verschiedenen eingebrochenen Nomadengruppen, seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts dann unter Herrschaft der Kök-Türken. Im Gegensatz zu Baktrien war die Fremdherrschaft für die Sogdier nicht drückend und behinderte nicht ihr wirtschaftliches und kulturelles Handeln. Vielmehr interagierten Türken und Sogdier recht intensiv und offenbar sogar weitgehend harmonisch miteinander. Sogdier spielten in der Verwaltung des Kök-Türkenreichs eine wichtige Rolle und wurden auch mit wichtigen diplomatischen Missionen betraut, wie das Beispiel des bereits erwähnten [[Maniakh]] belegt. Die türkische Militärmacht sicherte auch die weitere Entfaltung des sogdischen Handels und das Aufblühen der sogdischen Kultur, wie unter anderem archäologische Untersuchungen belegen.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff., hier S. 149 f.</ref> Von der bereits erwähnten neuen Überlandroute zwischen China und dem Westen profitierte Sogdien erheblich, zumal nun regionale Händler vor Ort den Handel weitgehend in eigenen Händen hatten.<ref>Étienne de la Vaissière: ''Central Asia and the Silk Road.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford u. a. 2012, S. 142 ff., hier S. 148 f.</ref> Nachdem das Kök-Türkenreich erlosch, behielten die Sogdier im Reich der Uiguren weiterhin eine führende Stellung.
    
In den angrenzenden Regionen [[Kabulistan]] und [[Zabulistan]] herrschte nach dem Ende der Nezak Mitte des 7. Jahrhunderts die Dynastie der [[Turk-Schahi]], die wiederum im 9. Jahrhundert von den [[Hindu-Shahi]] abgelöst wurde, die den [[Buddhismus]] bzw. [[Hinduismus]] förderten.<ref>Vgl. Minoru Inaba: ''Across the Hindūkush of the ʿAbbasid Period.'' In: D. G. Tor (Hrsg.): ''In The ʿAbbasid and Carolingian Empires. Comparative Studies in Civilizational Formation.'' Leiden/Boston 2018, S. 123 ff.</ref>
 
In den angrenzenden Regionen [[Kabulistan]] und [[Zabulistan]] herrschte nach dem Ende der Nezak Mitte des 7. Jahrhunderts die Dynastie der [[Turk-Schahi]], die wiederum im 9. Jahrhundert von den [[Hindu-Shahi]] abgelöst wurde, die den [[Buddhismus]] bzw. [[Hinduismus]] förderten.<ref>Vgl. Minoru Inaba: ''Across the Hindūkush of the ʿAbbasid Period.'' In: D. G. Tor (Hrsg.): ''In The ʿAbbasid and Carolingian Empires. Comparative Studies in Civilizational Formation.'' Leiden/Boston 2018, S. 123 ff.</ref>
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[[Datei:Akshobya in His Eastern Paradise with Cross of Light.jpg|mini|rechts|300px|[[Akshobhya]] in seinem [[Abhirati|östlichen Paradies]] mit Lichtkreuz, ein Symbol des Manichäismus.]]
   
Religiöse und kulturelle Vielfalt war ohnehin ein Kennzeichen des spätantiken Zentralasiens, wo Buddhisten, Hindus, [[Zoroastrismus|Zoroastrier]], [[Christentum|Christen]], [[Manichäismus|Manichäer]] und Polytheisten lebten.<ref>Max Deeg: ''Along the Silk Road: From Aleppo to Chang'an.'' In: Nicholas J. Baker-Brian, Josef Lossl (Hrsg.): ''A Companion to Religion in Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018, S. 233–253.</ref> Während das Römerreich seit dem 4. Jahrhundert vom Christentum und Persien stark von Zoroastrismus geprägt wurden, war die religiöse Orientierung in vielen Teilen Transoxaniens anscheinend offen. Christliche Gemeinden der [[Assyrische Kirche des Ostens|assyrischen]] und der [[Nestorianismus|nestorianischen]] Kirche entstanden in Zentralasien, Indien und im späten 8. Jahrhundert sogar in China (siehe [[Nestorianische Stele]]). Ebenfalls rasch verbreitete sich der Manichäismus entlang der Seidenstraße; in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurde er sogar dominierende Religion im Uigurenreich. Sowohl Christen als auch Manichäer setzten dabei auf eine rege Missionstätigkeit. Sogdier wiederum haben in Zentralasien eine wichtige Vermittlerrolle hinsichtlich des Buddhismus gespielt.
 
Religiöse und kulturelle Vielfalt war ohnehin ein Kennzeichen des spätantiken Zentralasiens, wo Buddhisten, Hindus, [[Zoroastrismus|Zoroastrier]], [[Christentum|Christen]], [[Manichäismus|Manichäer]] und Polytheisten lebten.<ref>Max Deeg: ''Along the Silk Road: From Aleppo to Chang'an.'' In: Nicholas J. Baker-Brian, Josef Lossl (Hrsg.): ''A Companion to Religion in Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018, S. 233–253.</ref> Während das Römerreich seit dem 4. Jahrhundert vom Christentum und Persien stark von Zoroastrismus geprägt wurden, war die religiöse Orientierung in vielen Teilen Transoxaniens anscheinend offen. Christliche Gemeinden der [[Assyrische Kirche des Ostens|assyrischen]] und der [[Nestorianismus|nestorianischen]] Kirche entstanden in Zentralasien, Indien und im späten 8. Jahrhundert sogar in China (siehe [[Nestorianische Stele]]). Ebenfalls rasch verbreitete sich der Manichäismus entlang der Seidenstraße; in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurde er sogar dominierende Religion im Uigurenreich. Sowohl Christen als auch Manichäer setzten dabei auf eine rege Missionstätigkeit. Sogdier wiederum haben in Zentralasien eine wichtige Vermittlerrolle hinsichtlich des Buddhismus gespielt.
    
Als die muslimischen Araber ihre [[Islamische Expansion|Expansion]] nach Zentralasien ausweiteten, trafen sie dabei auf die erbitterte Gegenwehr sogdischer Regionalherrscher (siehe [[Dēwāštič]] und [[Ghurak]]), türkischer Stammesgruppen sowie der Turk- und später Hindu-Schahi.<ref>Zur islamischen Expansion in Zentralasien siehe [[Hamilton Alexander Rosskeen Gibb]]: ''The Arab Conquests in Central Asia.'' London 1923 ([https://digitalcommons.unomaha.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1147&context=afghanuno Digitalisat]). Siehe auch Christopher Beckwith: ''The Tibetan Empire in Central Asia.'' Princeton 1987, S. 55 ff.; Robert G. Hoyland: ''In God’s Path.'' Oxford 2015, S. 148 ff.</ref> Dieser Widerstand wurde erst nach einiger Zeit gebrochen; in der Region um Kabul leisteten die dortigen Herrscher sogar noch bis weit ins 9. Jahrhundert Widerstand. Einer der Herrscher in Kabul ging um 740 sogar soweit, seine Abwehrbemühungen gegen das Kalifat besonders hervorzuheben, indem er sich als ''Phrom Gesar'', als römischer Kaiser, bezeichnete, während er gleichzeitig die Hilfe Chinas ersuchte.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 45.</ref> Die Islamisierung Irans und Zentralasiens war denn auch keineswegs ein schneller Prozess.
 
Als die muslimischen Araber ihre [[Islamische Expansion|Expansion]] nach Zentralasien ausweiteten, trafen sie dabei auf die erbitterte Gegenwehr sogdischer Regionalherrscher (siehe [[Dēwāštič]] und [[Ghurak]]), türkischer Stammesgruppen sowie der Turk- und später Hindu-Schahi.<ref>Zur islamischen Expansion in Zentralasien siehe [[Hamilton Alexander Rosskeen Gibb]]: ''The Arab Conquests in Central Asia.'' London 1923 ([https://digitalcommons.unomaha.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1147&context=afghanuno Digitalisat]). Siehe auch Christopher Beckwith: ''The Tibetan Empire in Central Asia.'' Princeton 1987, S. 55 ff.; Robert G. Hoyland: ''In God’s Path.'' Oxford 2015, S. 148 ff.</ref> Dieser Widerstand wurde erst nach einiger Zeit gebrochen; in der Region um Kabul leisteten die dortigen Herrscher sogar noch bis weit ins 9. Jahrhundert Widerstand. Einer der Herrscher in Kabul ging um 740 sogar soweit, seine Abwehrbemühungen gegen das Kalifat besonders hervorzuheben, indem er sich als ''Phrom Gesar'', als römischer Kaiser, bezeichnete, während er gleichzeitig die Hilfe Chinas ersuchte.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 45.</ref> Die Islamisierung Irans und Zentralasiens war denn auch keineswegs ein schneller Prozess.
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[[Datei:Conquest of Western Turks.png|mini|Chinesische Feldzüge gegen die Westtürken im 7. Jahrhundert.]]
   
Vom 7. bis Mitte des 8. Jahrhunderts war mit dem chinesischen Kaiserreich der [[Tang-Dynastie]] eine weitere Großmacht in Zentralasien aktiv. Die Tang-Kaiser hatten nicht nur die staatliche Einheit Chinas nach einer langen Zeit politischer Wirren infolge des Untergangs der [[Jin-Dynastie (265–420)|Jin-Dynastie]] gesichert (nachdem die vorausgegangene, kurzlebige [[Sui-Dynastie]] sie wiederhergestellt hatte), die Tang-Zeit stellte auch politisch, wirtschaftlich und kulturell eine neue Hochphase der chinesischen Geschichte dar.<ref>Mark Edward Lewis: ''China's Cosmopolitan Empire. The Tang Dynasty.'' London/Cambridge (Massachusetts) 2009.</ref> Die wirtschaftlichen Verbindungen mit Zentralasien waren für China durchaus von Bedeutung; im Westen waren die Chinesen in der römischen Kaiserzeit als ''[[Seres]]'' zumindest wage bekannt („Seidenleute“, nach dem teuren chinesischen Luxusprodukt). Hinzu kam, dass die politischen Entwicklungen in Zentralasien oft auch chinesische Interessen tangierten.<ref>Vgl. dazu Valerie Hansen: ''The Synthesis of the Tang Dynasty: The Culmination of China’s Contacts and Communication with Eurasia, 310–755.'' In: Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018, S. 108 ff.</ref> Dies hatte zu diplomatischen Kontakten mit Persien geführt; spätestens ab dem 5. Jahrhundert sind sassanidische Gesandtschaften zunächst an die [[Nördliche Wei-Dynastie]] und dann an die Sui- und schließlich die Tang-Dynastie bezeugt. Die chinesischen Quellen bezeichnen Persien als ''Bosi'' bzw. ''Po-ssu'', die Verbindungen scheinen insgesamt gut gewesen zu sein.<ref>Vgl. Edwin G. Pulleyblank: ''[http://www.iranicaonline.org/articles/chinese-iranian-i Chinese-Iranian Relations I. In Pre-Islamic Times]''. In: ''[[Encyclopædia Iranica]]'' V, 1991, 424–431. Allgemein zur Außenpolitik Tang-Chinas siehe etwa Wang Zhenping: ''Tang China in multi-polar Asia. A history of diplomacy and war.'' Honolulu 2013.</ref>
 
Vom 7. bis Mitte des 8. Jahrhunderts war mit dem chinesischen Kaiserreich der [[Tang-Dynastie]] eine weitere Großmacht in Zentralasien aktiv. Die Tang-Kaiser hatten nicht nur die staatliche Einheit Chinas nach einer langen Zeit politischer Wirren infolge des Untergangs der [[Jin-Dynastie (265–420)|Jin-Dynastie]] gesichert (nachdem die vorausgegangene, kurzlebige [[Sui-Dynastie]] sie wiederhergestellt hatte), die Tang-Zeit stellte auch politisch, wirtschaftlich und kulturell eine neue Hochphase der chinesischen Geschichte dar.<ref>Mark Edward Lewis: ''China's Cosmopolitan Empire. The Tang Dynasty.'' London/Cambridge (Massachusetts) 2009.</ref> Die wirtschaftlichen Verbindungen mit Zentralasien waren für China durchaus von Bedeutung; im Westen waren die Chinesen in der römischen Kaiserzeit als ''[[Seres]]'' zumindest wage bekannt („Seidenleute“, nach dem teuren chinesischen Luxusprodukt). Hinzu kam, dass die politischen Entwicklungen in Zentralasien oft auch chinesische Interessen tangierten.<ref>Vgl. dazu Valerie Hansen: ''The Synthesis of the Tang Dynasty: The Culmination of China’s Contacts and Communication with Eurasia, 310–755.'' In: Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018, S. 108 ff.</ref> Dies hatte zu diplomatischen Kontakten mit Persien geführt; spätestens ab dem 5. Jahrhundert sind sassanidische Gesandtschaften zunächst an die [[Nördliche Wei-Dynastie]] und dann an die Sui- und schließlich die Tang-Dynastie bezeugt. Die chinesischen Quellen bezeichnen Persien als ''Bosi'' bzw. ''Po-ssu'', die Verbindungen scheinen insgesamt gut gewesen zu sein.<ref>Vgl. Edwin G. Pulleyblank: ''[http://www.iranicaonline.org/articles/chinese-iranian-i Chinese-Iranian Relations I. In Pre-Islamic Times]''. In: ''[[Encyclopædia Iranica]]'' V, 1991, 424–431. Allgemein zur Außenpolitik Tang-Chinas siehe etwa Wang Zhenping: ''Tang China in multi-polar Asia. A history of diplomacy and war.'' Honolulu 2013.</ref>
    
Mit dem Fall des Sassanidenreichs und dem Vordringen der Araber änderten sich die politischen Bedingungen grundlegend. China unterhielt vielfältige wirtschaftliche und politische Kontakte nach Zentralasien und fungierte als zweite Ordnungsmacht, an die verschiedene Seiten Hilferufe sendeten.<ref>Materialreicher Überblick auf Grundlage chinesischer Quellen bei [[Otto Franke (Sinologe)|Otto Franke]]: ''Geschichte des chinesischen Reiches.'' Band 2. Berlin/Leipzig 1936, S. 439 ff.</ref> Kurzzeitig unterstützten die Chinesen den persischen Prinzen [[Peroz von Persien|Peroz]], der sich an den chinesischen Kaiserhof gerettet hatte; womöglich bestand am südlichen Hindukusch für einige Zeit sogar ein sassanidisches Restreich fort.<ref>Domenico Agostini, Sören Stark: ''Zāwulistān, Kāwulistān and the land Bosi - On the question of a Sasanian court-in-exile in the southern Hindukush.'' In: ''Studia Iranica'' 45, 2016, S. 17–38.</ref> Die Chinesen expandierten nun verstärkt direkt nach Zentralasien, um ihre eigenen Interessen zu schützen – nicht nur vor den Arabern, sondern auch vor ihrem älteren Feind, dem türkischen Khaganat, das China an der West- und Nordgrenze bedrohte. Bereits um die Mitte des 7. Jahrhunderts hatten die Chinesen ihre Position im [[Tarimbecken]] gefestigt und das „Generalprotektorat des befriedeten Westens“ geschaffen; Chinas Machteinfluss reichte bald bis nach Sogdien hinein.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 40.</ref>
 
Mit dem Fall des Sassanidenreichs und dem Vordringen der Araber änderten sich die politischen Bedingungen grundlegend. China unterhielt vielfältige wirtschaftliche und politische Kontakte nach Zentralasien und fungierte als zweite Ordnungsmacht, an die verschiedene Seiten Hilferufe sendeten.<ref>Materialreicher Überblick auf Grundlage chinesischer Quellen bei [[Otto Franke (Sinologe)|Otto Franke]]: ''Geschichte des chinesischen Reiches.'' Band 2. Berlin/Leipzig 1936, S. 439 ff.</ref> Kurzzeitig unterstützten die Chinesen den persischen Prinzen [[Peroz von Persien|Peroz]], der sich an den chinesischen Kaiserhof gerettet hatte; womöglich bestand am südlichen Hindukusch für einige Zeit sogar ein sassanidisches Restreich fort.<ref>Domenico Agostini, Sören Stark: ''Zāwulistān, Kāwulistān and the land Bosi - On the question of a Sasanian court-in-exile in the southern Hindukush.'' In: ''Studia Iranica'' 45, 2016, S. 17–38.</ref> Die Chinesen expandierten nun verstärkt direkt nach Zentralasien, um ihre eigenen Interessen zu schützen – nicht nur vor den Arabern, sondern auch vor ihrem älteren Feind, dem türkischen Khaganat, das China an der West- und Nordgrenze bedrohte. Bereits um die Mitte des 7. Jahrhunderts hatten die Chinesen ihre Position im [[Tarimbecken]] gefestigt und das „Generalprotektorat des befriedeten Westens“ geschaffen; Chinas Machteinfluss reichte bald bis nach Sogdien hinein.<ref>Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 40.</ref>
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[[Datei:Tang Dynasty circa 700 CE.png|mini|Tang-China um 700]]
   
In den chinesischen Quellen wird berichtet, wie das türkische Khaganat faktisch in sich zusammenbrach, geschwächt von arabischen Angriffen und internen Konflikten, wovon die Chinesen erheblich profitierten.<ref>Otto Franke: ''Geschichte des chinesischen Reiches.'' Band 2. Berlin/Leipzig 1936, S. 442 f.</ref> Mitte des 8. Jahrhunderts kollidierte jedoch die chinesische Machtsphäre unmittelbar mit dem weiter rasch expandierenden Kalifat. 751 erlitten die Chinesen in der [[Schlacht am Talas]] eine Niederlage, die eine Umorientierung zur Folge hatte.<ref>Christopher Beckwith: ''The Tibetan Empire in Central Asia.'' Princeton 1987, S. 138–140.</ref> Nunmehr konsolidierten die Chinesen ihre weiter vorhandenen westlichen Stützpunkte, griffen aber nicht mehr aktiv in Zentralasien ein. Das Kalifat wiederum war ebenfalls um Konsolidierung des neuen Weltreichs bemüht, das inzwischen vom Umsturz der herrschenden [[Umayyaden]] durch die [[Abbasiden]] erschüttert wurde (wobei die Rebellion im Osten des Iran ihren Anfang nahm), während fast zeitgleich in China die [[An-Lushan-Rebellion]] ausbrach, die beinahe zum Fall der Tang-Dynastie geführt hätte.
 
In den chinesischen Quellen wird berichtet, wie das türkische Khaganat faktisch in sich zusammenbrach, geschwächt von arabischen Angriffen und internen Konflikten, wovon die Chinesen erheblich profitierten.<ref>Otto Franke: ''Geschichte des chinesischen Reiches.'' Band 2. Berlin/Leipzig 1936, S. 442 f.</ref> Mitte des 8. Jahrhunderts kollidierte jedoch die chinesische Machtsphäre unmittelbar mit dem weiter rasch expandierenden Kalifat. 751 erlitten die Chinesen in der [[Schlacht am Talas]] eine Niederlage, die eine Umorientierung zur Folge hatte.<ref>Christopher Beckwith: ''The Tibetan Empire in Central Asia.'' Princeton 1987, S. 138–140.</ref> Nunmehr konsolidierten die Chinesen ihre weiter vorhandenen westlichen Stützpunkte, griffen aber nicht mehr aktiv in Zentralasien ein. Das Kalifat wiederum war ebenfalls um Konsolidierung des neuen Weltreichs bemüht, das inzwischen vom Umsturz der herrschenden [[Umayyaden]] durch die [[Abbasiden]] erschüttert wurde (wobei die Rebellion im Osten des Iran ihren Anfang nahm), während fast zeitgleich in China die [[An-Lushan-Rebellion]] ausbrach, die beinahe zum Fall der Tang-Dynastie geführt hätte.
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Der Bereich des [[Indischer Ozean|Indischen Ozeans]] stellte bereits in der Antike einen durch maritime Handelsrouten verbundenen Handelsraum dar, dessen Verbindungen weiter über das [[Rotes Meer|Rote Meer]] bis in die [[Mittelmeerraum|Mittelmeerwelt]] reichten.<ref>Vgl. grundsätzlich Matthew Adam Cobb (Hrsg.): ''The Indian Ocean Trade in Antiquity.'' London/New York 2018; Roderich Ptak: ''Die maritime Seidenstrasse.'' München 2007.</ref> Seit dem [[Hellenismus]] bestanden recht intensive Handelskontakte zwischen dem Westen und dem Raum des Indischen Ozeans, die sich in der [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiserzeit]] intensivierten. Für diese [[Römisch-indische Beziehungen|römisch-indischen Beziehungen]] ist der ''[[Periplus Maris Erythraei]]'' von besonderer Bedeutung.<ref>Lionel Casson: ''The Periplus Maris Erythraei.'' Princeton 1989.</ref>
 
Der Bereich des [[Indischer Ozean|Indischen Ozeans]] stellte bereits in der Antike einen durch maritime Handelsrouten verbundenen Handelsraum dar, dessen Verbindungen weiter über das [[Rotes Meer|Rote Meer]] bis in die [[Mittelmeerraum|Mittelmeerwelt]] reichten.<ref>Vgl. grundsätzlich Matthew Adam Cobb (Hrsg.): ''The Indian Ocean Trade in Antiquity.'' London/New York 2018; Roderich Ptak: ''Die maritime Seidenstrasse.'' München 2007.</ref> Seit dem [[Hellenismus]] bestanden recht intensive Handelskontakte zwischen dem Westen und dem Raum des Indischen Ozeans, die sich in der [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiserzeit]] intensivierten. Für diese [[Römisch-indische Beziehungen|römisch-indischen Beziehungen]] ist der ''[[Periplus Maris Erythraei]]'' von besonderer Bedeutung.<ref>Lionel Casson: ''The Periplus Maris Erythraei.'' Princeton 1989.</ref>
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[[Datei:Periplous of the Erythraean Sea.svg|mini|400px|Handelswege nach dem ''Periplus Maris Erythraei'' aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.]]
   
Die Handelsroute für griechisch-römische Händler über den Seeweg verlief in der frühen und hohen Kaiserzeit von den Häfen [[Myos Hormos]] und [[Berenike (Baranis)|Berenike]] am Roten Meer ausgehend weiter über [[Adulis]]; es ging dann die Südküste der arabischen Halbinsel entlang bis zu den Häfen am Indus und weiter die indische [[Malabarküste]] hinab, später sogar bis nach [[Sri Lanka]].<ref>Vgl. Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 128 ff.; Raoul McLaughlin: ''Rome and the Distant East. Trade Routes to the Ancient Lands of Arabia, India and China.'' London/New York 2010, S. 25 ff.</ref> Abzweigungen der Seehandelsrouten verliefen zudem in den [[Persischer Golf|Persischen Golf]] (dessen Bedeutung für den antiken Handel oft unterschätzt wird)<ref>Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 301 f.</ref> sowie die ostafrikanische Küste hinunter<ref>Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 136–138.</ref> (so wird im ''Periplus'' der Hafen [[Rhapta]] in [[Azania]] erwähnt). Von entscheidender Bedeutung für den römischen [[Indienhandel]] war somit die freie Passage durch das Rote Meer in den Indischen Ozean.
 
Die Handelsroute für griechisch-römische Händler über den Seeweg verlief in der frühen und hohen Kaiserzeit von den Häfen [[Myos Hormos]] und [[Berenike (Baranis)|Berenike]] am Roten Meer ausgehend weiter über [[Adulis]]; es ging dann die Südküste der arabischen Halbinsel entlang bis zu den Häfen am Indus und weiter die indische [[Malabarküste]] hinab, später sogar bis nach [[Sri Lanka]].<ref>Vgl. Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 128 ff.; Raoul McLaughlin: ''Rome and the Distant East. Trade Routes to the Ancient Lands of Arabia, India and China.'' London/New York 2010, S. 25 ff.</ref> Abzweigungen der Seehandelsrouten verliefen zudem in den [[Persischer Golf|Persischen Golf]] (dessen Bedeutung für den antiken Handel oft unterschätzt wird)<ref>Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 301 f.</ref> sowie die ostafrikanische Küste hinunter<ref>Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 136–138.</ref> (so wird im ''Periplus'' der Hafen [[Rhapta]] in [[Azania]] erwähnt). Von entscheidender Bedeutung für den römischen [[Indienhandel]] war somit die freie Passage durch das Rote Meer in den Indischen Ozean.
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Der recht intensive Handelsverkehr zwischen Rom und Indien war im Zusammenhang mit der [[Reichskrise des 3. Jahrhunderts]] und dem Aufstieg des neupersischen Sassanidenreichs im 3. Jahrhundert zunächst rückläufig, wobei Händler aus [[Palmyra]] im 3. Jahrhundert eine zunehmende größere Rolle spielten.<ref>Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 71 ff.</ref> Der Hafen von Berenike wurde weiter benutzt, wenngleich archäologisch auch dort ein Rückgang feststellbar ist, Myos Hormos scheint seine Bedeutung weitgehend verloren zu haben; dazu passend sind römische Münzfunde in Indien aus dem späteren 3. Jahrhundert (im Gegensatz zu früheren Münzprägungen) faktisch nicht vorhanden.<ref>Vgl. Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 295–297; Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 74.</ref>
 
Der recht intensive Handelsverkehr zwischen Rom und Indien war im Zusammenhang mit der [[Reichskrise des 3. Jahrhunderts]] und dem Aufstieg des neupersischen Sassanidenreichs im 3. Jahrhundert zunächst rückläufig, wobei Händler aus [[Palmyra]] im 3. Jahrhundert eine zunehmende größere Rolle spielten.<ref>Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 71 ff.</ref> Der Hafen von Berenike wurde weiter benutzt, wenngleich archäologisch auch dort ein Rückgang feststellbar ist, Myos Hormos scheint seine Bedeutung weitgehend verloren zu haben; dazu passend sind römische Münzfunde in Indien aus dem späteren 3. Jahrhundert (im Gegensatz zu früheren Münzprägungen) faktisch nicht vorhanden.<ref>Vgl. Matthew Adam Cobb: ''Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE.'' Leiden/Boston 2018, S. 295–297; Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 74.</ref>
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[[Datei:Indo-Sassanid.jpg|mini|250px|Spätantike Handelswege im westlichen Indischen Ozean]]
   
In der Spätantike erholte sich der römische Indienhandel wieder.<ref>James Howard-Johnston: ''The India Trade in Late Antiquity.'' In: Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017, S. 284 ff.; Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 77 f.</ref> Allerdings sahen sich römische Händler nun mit neuer Konkurrenz konfrontiert, da persische und [[Aksumitisches Reich|aksumitische]] Händler im westlichen Indischen Ozean aktiv waren, wie entsprechende Münzfunde belegen.<ref>Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 78.</ref> Das Sassanidenreich kontrollierte nicht nur die iranische Seite des Persischen Golfs, persische Truppen hatten bereits relativ früh Vorstöße nach [[Bahrein]] und bis nach [[Oman|Mazun]] unternommen, so dass sich der persische Einfluss bis nach Südarabien erstreckte. An der Wüstengrenze zwischen Rom und Persien verließen sich beide Seiten teils auf arabische Verbündete: Ostrom auf die [[Ghassaniden]], Persien auf die [[Lachmiden]].<ref>Greg Fisher: ''Rome, Persia, and Arabia Shaping the Middle East from Pompey to Muhammad.'' London/New York 2020.</ref>
 
In der Spätantike erholte sich der römische Indienhandel wieder.<ref>James Howard-Johnston: ''The India Trade in Late Antiquity.'' In: Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017, S. 284 ff.; Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 77 f.</ref> Allerdings sahen sich römische Händler nun mit neuer Konkurrenz konfrontiert, da persische und [[Aksumitisches Reich|aksumitische]] Händler im westlichen Indischen Ozean aktiv waren, wie entsprechende Münzfunde belegen.<ref>Gary K. Young: ''Rome’s Eastern Trade.'' London/New York 2001, S. 78.</ref> Das Sassanidenreich kontrollierte nicht nur die iranische Seite des Persischen Golfs, persische Truppen hatten bereits relativ früh Vorstöße nach [[Bahrein]] und bis nach [[Oman|Mazun]] unternommen, so dass sich der persische Einfluss bis nach Südarabien erstreckte. An der Wüstengrenze zwischen Rom und Persien verließen sich beide Seiten teils auf arabische Verbündete: Ostrom auf die [[Ghassaniden]], Persien auf die [[Lachmiden]].<ref>Greg Fisher: ''Rome, Persia, and Arabia Shaping the Middle East from Pompey to Muhammad.'' London/New York 2020.</ref>
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Politisch bedeutsam waren im westlichen Indischen Ozean um 500 neben dem Sassanidenreich drei Machtzentren: das Reich von Aksum am Horn von Afrika, Himyar in Südarabien und das Gupta-Reich auf dem indischen Subkontinent.
 
Politisch bedeutsam waren im westlichen Indischen Ozean um 500 neben dem Sassanidenreich drei Machtzentren: das Reich von Aksum am Horn von Afrika, Himyar in Südarabien und das Gupta-Reich auf dem indischen Subkontinent.
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[[Datei:LocationAksumiteEmpire.png|mini|Ungefähre Ausdehnung des aksumitischen Reiches im 4. Jahrhundert.]]
   
Das [[Aksumitisches Reich|Reich von Aksum]] im heutigen [[Äthiopien]] und [[Eritrea]] war aufgrund der Missionsarbeit des [[Frumentius]] seit der Zeit König [[Ezana]]s Mitte des 4. Jahrhunderts christlich.<ref>Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 44 ff.; [[Francis Breyer]]: ''Das Königreich Aksum. Geschichte und Archäologie Abessiniens in der Spätantike.'' Mainz u. a. 2012; Stuart Munro-Hay: ''Aksum. An African Civilisation of Late Antiquity.'' Edinburgh 1991; Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, speziell S. 273 ff.</ref> Die Könige Aksums ließen Münzen prägen und Inschriften als Tatenberichte aufstellen. Aksum profitierte sehr vom Indienhandel und exportierte ebenfalls Güter (so Elfenbein und Sklaven). Der Hafen von [[Adulis]], nicht weit von der Hauptstadt [[Aksum]] entfernt, war dafür ein wichtiger Umschlagplatz und das Tor Aksums zum spätantiken Handelsnetzwerk.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 47 f.</ref> Dies geht etwa aus dem Bericht des [[Kosmas Indikopleustes]] hervor, der im 6. Jahrhundert in diesen Raum und eventuell sogar weiter bis nach Indien gereist war.
 
Das [[Aksumitisches Reich|Reich von Aksum]] im heutigen [[Äthiopien]] und [[Eritrea]] war aufgrund der Missionsarbeit des [[Frumentius]] seit der Zeit König [[Ezana]]s Mitte des 4. Jahrhunderts christlich.<ref>Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 44 ff.; [[Francis Breyer]]: ''Das Königreich Aksum. Geschichte und Archäologie Abessiniens in der Spätantike.'' Mainz u. a. 2012; Stuart Munro-Hay: ''Aksum. An African Civilisation of Late Antiquity.'' Edinburgh 1991; Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, speziell S. 273 ff.</ref> Die Könige Aksums ließen Münzen prägen und Inschriften als Tatenberichte aufstellen. Aksum profitierte sehr vom Indienhandel und exportierte ebenfalls Güter (so Elfenbein und Sklaven). Der Hafen von [[Adulis]], nicht weit von der Hauptstadt [[Aksum]] entfernt, war dafür ein wichtiger Umschlagplatz und das Tor Aksums zum spätantiken Handelsnetzwerk.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 47 f.</ref> Dies geht etwa aus dem Bericht des [[Kosmas Indikopleustes]] hervor, der im 6. Jahrhundert in diesen Raum und eventuell sogar weiter bis nach Indien gereist war.
    
Die aksumitischen Herrscher, die den Titel ''[[Negus]]'' trugen, waren recht expansiv tätig und erweiterten ihren Herrschaftsbereich nicht nur in Ostafrika, sondern waren auch in [[Altes Südarabien|Südarabien]] präsent, zumal beide Kulturräume in enger Beziehung zueinander standen.<ref>Einführend Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, S. 247–332.</ref> In Südwestarabien hatte sich im 4. Jahrhundert das Königreich [[Himyar]] mit der Hauptstadt [[Zafar (Himyaren)|Zafar]] im heutigen [[Jemen]] die Vormachtstellung gesichert, nachdem es die konkurrierenden Reiche [[Saba (Antike)|Saba]] und [[Hadramaut (Antike)|Hadramaut]] erobert hatte.<ref>Yosef Yuval Tobi: ''[https://oxfordre.com/classics/view/10.1093/acrefore/9780199381135.001.0001/acrefore-9780199381135-e-8132 Ḥimyar, kingdom of].'' In: ''[[The Oxford Classical Dictionary]] Online'' (5. Auflage); Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, speziell S. 263 ff.; [[Wilfried Seipel]] (Hrsg.): ''Jemen. Kunst und Archäologie im Land der Königin von Saba.'' Wien 1998.</ref> Aksum war bestrebt, stets politischen Einfluss im Jemen auszuüben. Hintergrund dafür waren die dort ebenfalls verlaufenen Handelsrouten, die sowohl für Aksum als auch für Himyar überaus profitabel waren. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden konkurrierenden Reichen.<ref>Vgl. Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, hier S. 259–261.</ref> Hinzu kam, dass sich die Herrscher Himyars seit Ende des 4. Jahrhunderts zum Judentum bekannten und die aksumitischen Könige sich als Schutzherren der christlichen Gemeinden dort verstanden.<ref>Vgl. Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 78 ff.</ref>
 
Die aksumitischen Herrscher, die den Titel ''[[Negus]]'' trugen, waren recht expansiv tätig und erweiterten ihren Herrschaftsbereich nicht nur in Ostafrika, sondern waren auch in [[Altes Südarabien|Südarabien]] präsent, zumal beide Kulturräume in enger Beziehung zueinander standen.<ref>Einführend Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, S. 247–332.</ref> In Südwestarabien hatte sich im 4. Jahrhundert das Königreich [[Himyar]] mit der Hauptstadt [[Zafar (Himyaren)|Zafar]] im heutigen [[Jemen]] die Vormachtstellung gesichert, nachdem es die konkurrierenden Reiche [[Saba (Antike)|Saba]] und [[Hadramaut (Antike)|Hadramaut]] erobert hatte.<ref>Yosef Yuval Tobi: ''[https://oxfordre.com/classics/view/10.1093/acrefore/9780199381135.001.0001/acrefore-9780199381135-e-8132 Ḥimyar, kingdom of].'' In: ''[[The Oxford Classical Dictionary]] Online'' (5. Auflage); Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, speziell S. 263 ff.; [[Wilfried Seipel]] (Hrsg.): ''Jemen. Kunst und Archäologie im Land der Königin von Saba.'' Wien 1998.</ref> Aksum war bestrebt, stets politischen Einfluss im Jemen auszuüben. Hintergrund dafür waren die dort ebenfalls verlaufenen Handelsrouten, die sowohl für Aksum als auch für Himyar überaus profitabel waren. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden konkurrierenden Reichen.<ref>Vgl. Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, hier S. 259–261.</ref> Hinzu kam, dass sich die Herrscher Himyars seit Ende des 4. Jahrhunderts zum Judentum bekannten und die aksumitischen Könige sich als Schutzherren der christlichen Gemeinden dort verstanden.<ref>Vgl. Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 78 ff.</ref>
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[[Datei:Kaleb.jpg|mini|200px|Münze König Kalebs]]
   
Der schwelende Konflikt brach 525 in einen offenen Konflikt zwischen Aksum und Himyar aus. Der himyarische König [[Yusuf Asʾar Yathʾar]] war hart gegen Christen vorgegangen und hatte 518 oder (wahrscheinlicher) 523 in [[Nadschran|Najran]] ein Massaker unter Christen angerichtet. Zur Vergeltung bereitete der Negus [[Ella Asbeha]] (''Kaleb'') eine Strafexpedition vor, wobei im Hintergrund auch die oben erwähnten handelspolitischen Fragen eine Rolle gespielt haben dürften.<ref>Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 92 ff.; Norbert Nebes: ''Die Märtyrer von Nagrān und das Ende der Himyar. Zur politischen Geschichte Südarabiens im frühen sechsten Jahrhundert.'' In: ''Aethiopica'' 11, 2008, S. 7–40; Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 63 ff.; Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, hier S. 281 ff.</ref> Ella Asbeha sicherte sich auch die Unterstützung Justins I. zu, des damaligen oströmischen Kaisers. Die Oströmer stellten Transportschiffe, mit denen aksumitische Truppen im Jahr 525 in den Jemen übersetzten und die Himyaren schlugen.
 
Der schwelende Konflikt brach 525 in einen offenen Konflikt zwischen Aksum und Himyar aus. Der himyarische König [[Yusuf Asʾar Yathʾar]] war hart gegen Christen vorgegangen und hatte 518 oder (wahrscheinlicher) 523 in [[Nadschran|Najran]] ein Massaker unter Christen angerichtet. Zur Vergeltung bereitete der Negus [[Ella Asbeha]] (''Kaleb'') eine Strafexpedition vor, wobei im Hintergrund auch die oben erwähnten handelspolitischen Fragen eine Rolle gespielt haben dürften.<ref>Glen Bowersock: ''The Throne of Adulis: Red Sea Wars on the Eve of Islam.'' Oxford 2013, S. 92 ff.; Norbert Nebes: ''Die Märtyrer von Nagrān und das Ende der Himyar. Zur politischen Geschichte Südarabiens im frühen sechsten Jahrhundert.'' In: ''Aethiopica'' 11, 2008, S. 7–40; Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 63 ff.; Christian Julien Robin: ''Arabia and Ethiopia.'' In: Scott Fitzgerald Johnson (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Late Antiquity.'' Oxford 2012, hier S. 281 ff.</ref> Ella Asbeha sicherte sich auch die Unterstützung Justins I. zu, des damaligen oströmischen Kaisers. Die Oströmer stellten Transportschiffe, mit denen aksumitische Truppen im Jahr 525 in den Jemen übersetzten und die Himyaren schlugen.
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Um 630 fielen die persischen Besitzungen in Arabien jedoch an die muslimischen Araber.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 89 ff.</ref> Das Reich von Aksum konnte seine Machtstellung am Horn von Afrika vorerst bewahren, allerdings wurden seine Seeverbindungen unterbrochen und das christliche Königreich weitgehend isoliert.
 
Um 630 fielen die persischen Besitzungen in Arabien jedoch an die muslimischen Araber.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 89 ff.</ref> Das Reich von Aksum konnte seine Machtstellung am Horn von Afrika vorerst bewahren, allerdings wurden seine Seeverbindungen unterbrochen und das christliche Königreich weitgehend isoliert.
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[[Datei:Gupta Empire 320 - 600 ad.PNG|mini|Das Gupta-Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht]]
   
In Indien existierten in der Spätantike mehrere Reiche, das größte und bedeutendste unter diesen war das [[Gupta-Reich]], das auf dem Höhepunkt seiner Macht den Großteil des Subkontinents außer den Süden beherrschte.<ref>Fred Virkus: ''Politische Strukturen im Guptareich (300-550 n. Chr.).'' Wiesbaden 2004. Vgl. daneben (jeweils mit weiterer Literatur) [[Hermann Kulke]], [[Dietmar Rothermund]]: ''Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute.'' 3. aktualisierte Auflage der Sonderausgabe. München 2018, S. 106 ff.; [[Romila Thapar]]: ''The Penguin History of Early India.'' London 2002, S. 280 ff.</ref> Die Guptazeit gilt vielen Historikern als eine goldene Zeit Indiens, in der klassische Literaturwerke in [[Sanskrit]] geschrieben wurden und sich die Kunst entfaltete. Es gibt aber auch skeptischere Einschätzungen, da etwa archäologische Untersuchungen darauf hindeuten, dass mehrere Städte in der Guptazeit verödeten bzw. kaum Anzeichen von Bauaktivitäten aufweisen, was gegen eine allgemeine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit spricht.<ref>Vgl. Marlene Njammasch: ''Gab es eine indische Spätantike?'' In: ''Klio'' 71, 1989, S. 469–476. Njammasch weist auch auf numismatische und kunsthistorische Untersuchungen hin, die das Bild eines großen goldenen Zeitalters relativieren.</ref>
 
In Indien existierten in der Spätantike mehrere Reiche, das größte und bedeutendste unter diesen war das [[Gupta-Reich]], das auf dem Höhepunkt seiner Macht den Großteil des Subkontinents außer den Süden beherrschte.<ref>Fred Virkus: ''Politische Strukturen im Guptareich (300-550 n. Chr.).'' Wiesbaden 2004. Vgl. daneben (jeweils mit weiterer Literatur) [[Hermann Kulke]], [[Dietmar Rothermund]]: ''Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute.'' 3. aktualisierte Auflage der Sonderausgabe. München 2018, S. 106 ff.; [[Romila Thapar]]: ''The Penguin History of Early India.'' London 2002, S. 280 ff.</ref> Die Guptazeit gilt vielen Historikern als eine goldene Zeit Indiens, in der klassische Literaturwerke in [[Sanskrit]] geschrieben wurden und sich die Kunst entfaltete. Es gibt aber auch skeptischere Einschätzungen, da etwa archäologische Untersuchungen darauf hindeuten, dass mehrere Städte in der Guptazeit verödeten bzw. kaum Anzeichen von Bauaktivitäten aufweisen, was gegen eine allgemeine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit spricht.<ref>Vgl. Marlene Njammasch: ''Gab es eine indische Spätantike?'' In: ''Klio'' 71, 1989, S. 469–476. Njammasch weist auch auf numismatische und kunsthistorische Untersuchungen hin, die das Bild eines großen goldenen Zeitalters relativieren.</ref>
    
Die Herkunft der Guptas liegt im Dunkeln. Um 300 gelang es ihnen jedenfalls, in [[Magadha]] eine Herrschaft zu etablieren. Der erste bedeutende Herrscher war [[Chandragupta I.]], der um 330 regierte. Ihm gelang es, eine [[Licchavi]]-Prinzessin zu heiraten, was den Guptas Legitimation verschaffte und half, ihre politische Stellung zu stabilisieren; er nahm denn auch selbstbewusst den Titel ''maharajaadhiraja'' („Oberkönig der Großkönige“) an. Sein Sohn und Nachfolger [[Samudragupta]] gilt als einer der großen Eroberer der indischen Geschichte und erweiterte in seiner 40-jährigen Regierungszeit das Herrschaftsgebiet der Guptas in mehreren Feldzügen ganz erheblich.<ref>Hermann Kulke, Dietmar Rothermund: ''Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute.'' 3. aktualisierte Auflage der Sonderausgabe. München 2018, S. 106 f.</ref> [[Pataliputra]] wurde erobert und die Guptas stießen auch nach Süden vor. Samudragupta ahmte den imperialen Herrschaftsanspruch seines Vaters nach. So betonte er den Anspruch auf Oberherrschaft über weite Teile des Subkontinents durch die Annahme des Titels ''[[Chakravartin]]'', womit er sich nach hinduistischer Tradition als Weltherrscher inszenierte.<ref>Vgl. Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 22 f.</ref> Ende des 4. Jahrhunderts gelang es den Guptas des Weiteren, ein Bündnis mit den konkurrierenden [[Vakataka]]-Dynastie zu schließen. Die Guptas beherrschten das Gangestal und Teile des [[Dekkan]] direkt, in anderen Teilen Nordindiens befanden sich aber noch Stämme und Kleinreiche, die teils Vasallen waren, teils aber auch nur die Oberherrschaft der Guptas anerkannten, während Nordwestindien (mit den Resten der [[Kuschana]]herrschaft) und Südindien außerhalb ihres Herrschaftsbereichs lagen.
 
Die Herkunft der Guptas liegt im Dunkeln. Um 300 gelang es ihnen jedenfalls, in [[Magadha]] eine Herrschaft zu etablieren. Der erste bedeutende Herrscher war [[Chandragupta I.]], der um 330 regierte. Ihm gelang es, eine [[Licchavi]]-Prinzessin zu heiraten, was den Guptas Legitimation verschaffte und half, ihre politische Stellung zu stabilisieren; er nahm denn auch selbstbewusst den Titel ''maharajaadhiraja'' („Oberkönig der Großkönige“) an. Sein Sohn und Nachfolger [[Samudragupta]] gilt als einer der großen Eroberer der indischen Geschichte und erweiterte in seiner 40-jährigen Regierungszeit das Herrschaftsgebiet der Guptas in mehreren Feldzügen ganz erheblich.<ref>Hermann Kulke, Dietmar Rothermund: ''Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute.'' 3. aktualisierte Auflage der Sonderausgabe. München 2018, S. 106 f.</ref> [[Pataliputra]] wurde erobert und die Guptas stießen auch nach Süden vor. Samudragupta ahmte den imperialen Herrschaftsanspruch seines Vaters nach. So betonte er den Anspruch auf Oberherrschaft über weite Teile des Subkontinents durch die Annahme des Titels ''[[Chakravartin]]'', womit er sich nach hinduistischer Tradition als Weltherrscher inszenierte.<ref>Vgl. Johannes Preiser-Kapeller: ''Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr.'' Wien 2018, S. 22 f.</ref> Ende des 4. Jahrhunderts gelang es den Guptas des Weiteren, ein Bündnis mit den konkurrierenden [[Vakataka]]-Dynastie zu schließen. Die Guptas beherrschten das Gangestal und Teile des [[Dekkan]] direkt, in anderen Teilen Nordindiens befanden sich aber noch Stämme und Kleinreiche, die teils Vasallen waren, teils aber auch nur die Oberherrschaft der Guptas anerkannten, während Nordwestindien (mit den Resten der [[Kuschana]]herrschaft) und Südindien außerhalb ihres Herrschaftsbereichs lagen.
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[[Datei:HunCoinDerivedFromSassanianDesign5thCE.JPG|mini|200px|Alchonmünze mit der Darstellung König Khingilas]]
   
Ebenso wie Rom und Persien sah sich auch das spätantike Guptareich mit einer verschärften Bedrohungslage an seinen Grenzen konfrontiert. Mitte des 5. Jahrhunderts tauchten Invasoren im Nordwesten auf, die in indischen Quellen als ''Huna(s)'' (Hunnen) bezeichnet werden.<ref>Upendra Thakur: ''The Hunas in India.'' Varanasi 1967; Fred Virkus: ''Politische Strukturen im Guptareich (300-550 n. Chr.).'' Wiesbaden 2004, S. 85 f.</ref> Es handelte sich dabei um Teile der [[Iranische Hunnen|iranischen Hunnen]] (siehe vorherigen Abschnitt), die sich von ihren neuen Herrschaftszentren im heutigen [[Afghanistan]] nun nach Süden bzw. Südosten wandten.<ref>Michael Alram u. a. (Hrsg.): ''Das Antlitz des Fremden. Die Münzprägungen der Hunnen und Westtürken in Zentralasien und Indien.'' Wien 2016, S. 71 ff.; Timo Stickler: ''The Gupta Empire in the Face of the Hun Threat. Parallels to the Late Roman Empire?'' In: J. Bemmann, M. Schmauder (Hrsg.): ''The Complexity of Interaction along the Eurasian Steppe Zone in the first Millennium CE.'' Wiesbaden 2015, S. 659–669.</ref>
 
Ebenso wie Rom und Persien sah sich auch das spätantike Guptareich mit einer verschärften Bedrohungslage an seinen Grenzen konfrontiert. Mitte des 5. Jahrhunderts tauchten Invasoren im Nordwesten auf, die in indischen Quellen als ''Huna(s)'' (Hunnen) bezeichnet werden.<ref>Upendra Thakur: ''The Hunas in India.'' Varanasi 1967; Fred Virkus: ''Politische Strukturen im Guptareich (300-550 n. Chr.).'' Wiesbaden 2004, S. 85 f.</ref> Es handelte sich dabei um Teile der [[Iranische Hunnen|iranischen Hunnen]] (siehe vorherigen Abschnitt), die sich von ihren neuen Herrschaftszentren im heutigen [[Afghanistan]] nun nach Süden bzw. Südosten wandten.<ref>Michael Alram u. a. (Hrsg.): ''Das Antlitz des Fremden. Die Münzprägungen der Hunnen und Westtürken in Zentralasien und Indien.'' Wien 2016, S. 71 ff.; Timo Stickler: ''The Gupta Empire in the Face of the Hun Threat. Parallels to the Late Roman Empire?'' In: J. Bemmann, M. Schmauder (Hrsg.): ''The Complexity of Interaction along the Eurasian Steppe Zone in the first Millennium CE.'' Wiesbaden 2015, S. 659–669.</ref>
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== Soziokultureller Grundriss ==
 
== Soziokultureller Grundriss ==
 
=== Kulturelles Leben ===
 
=== Kulturelles Leben ===
[[Datei:Vergilius romanus 234v.jpg|miniatur|Rat der Götter. Illustration zu Vergils [[Aeneis]] in einem Codex des 5. Jahrhunderts ([[Vergilius Romanus]]).]]
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Anders als eine an klassizistischen Idealen orientierte Forschung früher oft annahm, zeigte die spätantike Literatur lange Zeit kaum Anzeichen eines qualitativen Niedergangs.<ref>Allgemeiner Überblick bei Scott McGill, Edward Watts (Hrsg.): ''A Companion to Late Antique Literature.'' Hoboken, NJ 2018. Vgl. auch die Kurzinformationen in ''Lexikon der antiken christlichen Literatur.'' Hrsg. von Wilhelm Geerlings, [[Siegmar Döpp]], unter Mitarbeit von Peter Bruns, Georg Röwekamp, Matthias Skeb u. Bettina Windau, 3. vollständig überarb. und erw. Aufl., Freiburg i. Br. 2002; Rainer Nickel: ''Lexikon der antiken Literatur.'' Düsseldorf 1999.</ref> Mit der weitgehenden Umstellung der Buchproduktion von [[Papyrus]] auf [[Pergament]] um 400 (ganz verdrängt wurde die Schriftrolle erst im späten 6. Jahrhundert) wurden zwar bestimmte Autoren, deren Werke nicht kopiert wurden, von der weiteren Überlieferung ausgeschlossen. Im Osten brach die Kontinuität der klassischen Bildung aber auch im [[Frühmittelalter]] nie vollständig ab (siehe [[Bücherverluste in der Spätantike]]). In der spätantiken lateinischen und griechischen Literatur entstanden noch bis weit ins 6. Jahrhundert hinein bedeutende Werke. Deren Verfasser waren die Träger einer Elitenkultur, deren klassische Bildung (''[[paideia]]'') ein Zeichen der Standeszugehörigkeit war und wurde gepflegt. Dies galt speziell für das griechisch geprägten Ostreich. Neben Christen schrieben in dieser Zeit auch noch pagane Autoren. Bis etwa 600 rissen kaum antike literarische Traditionen ab, allerdings wurden zugleich neue begründet.
 
Anders als eine an klassizistischen Idealen orientierte Forschung früher oft annahm, zeigte die spätantike Literatur lange Zeit kaum Anzeichen eines qualitativen Niedergangs.<ref>Allgemeiner Überblick bei Scott McGill, Edward Watts (Hrsg.): ''A Companion to Late Antique Literature.'' Hoboken, NJ 2018. Vgl. auch die Kurzinformationen in ''Lexikon der antiken christlichen Literatur.'' Hrsg. von Wilhelm Geerlings, [[Siegmar Döpp]], unter Mitarbeit von Peter Bruns, Georg Röwekamp, Matthias Skeb u. Bettina Windau, 3. vollständig überarb. und erw. Aufl., Freiburg i. Br. 2002; Rainer Nickel: ''Lexikon der antiken Literatur.'' Düsseldorf 1999.</ref> Mit der weitgehenden Umstellung der Buchproduktion von [[Papyrus]] auf [[Pergament]] um 400 (ganz verdrängt wurde die Schriftrolle erst im späten 6. Jahrhundert) wurden zwar bestimmte Autoren, deren Werke nicht kopiert wurden, von der weiteren Überlieferung ausgeschlossen. Im Osten brach die Kontinuität der klassischen Bildung aber auch im [[Frühmittelalter]] nie vollständig ab (siehe [[Bücherverluste in der Spätantike]]). In der spätantiken lateinischen und griechischen Literatur entstanden noch bis weit ins 6. Jahrhundert hinein bedeutende Werke. Deren Verfasser waren die Träger einer Elitenkultur, deren klassische Bildung (''[[paideia]]'') ein Zeichen der Standeszugehörigkeit war und wurde gepflegt. Dies galt speziell für das griechisch geprägten Ostreich. Neben Christen schrieben in dieser Zeit auch noch pagane Autoren. Bis etwa 600 rissen kaum antike literarische Traditionen ab, allerdings wurden zugleich neue begründet.
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;Dichtung
 
;Dichtung
 
Der bedeutendste spätantike Dichter in lateinischer Sprache war der (wie Ammianus Marcellinus) aus dem Osten des Reichs stammende [[Claudian]], der um 400 wirkte.<ref>Alan Cameron: ''Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius.'' Oxford 1970.</ref> Der letzte lateinische Epiker von Rang war dann [[Gorippus]], der im 6. Jahrhundert das stilistisch eng an [[Vergil]] orientierte Werk ''[[Johannes Troglita|Johannis]]'' verfasste. In Gallien und Spanien blühte noch lange eine stark rhetorisch geprägte Dichtkunst, etwa die des [[Ausonius]]. Der aus einer vornehmen [[Gallorömischer Senatsadel|gallischen senatorischen]] Familie stammende [[Sidonius Apollinaris]] schrieb Lobreden und Briefe, die einen detaillierten Einblick in die Endphase der [[Gallorömische Kultur|gallorömischen Kultur]] ermöglichen. Etwa hundert Jahre später markiert das Werk des [[Venantius Fortunatus]] dann den Übergang von der spätantiken zur frühmittelalterlichen lateinischen Dichtung.
 
Der bedeutendste spätantike Dichter in lateinischer Sprache war der (wie Ammianus Marcellinus) aus dem Osten des Reichs stammende [[Claudian]], der um 400 wirkte.<ref>Alan Cameron: ''Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius.'' Oxford 1970.</ref> Der letzte lateinische Epiker von Rang war dann [[Gorippus]], der im 6. Jahrhundert das stilistisch eng an [[Vergil]] orientierte Werk ''[[Johannes Troglita|Johannis]]'' verfasste. In Gallien und Spanien blühte noch lange eine stark rhetorisch geprägte Dichtkunst, etwa die des [[Ausonius]]. Der aus einer vornehmen [[Gallorömischer Senatsadel|gallischen senatorischen]] Familie stammende [[Sidonius Apollinaris]] schrieb Lobreden und Briefe, die einen detaillierten Einblick in die Endphase der [[Gallorömische Kultur|gallorömischen Kultur]] ermöglichen. Etwa hundert Jahre später markiert das Werk des [[Venantius Fortunatus]] dann den Übergang von der spätantiken zur frühmittelalterlichen lateinischen Dichtung.
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[[Datei:Boethius.jpeg|miniatur|Mittelalterliche Illustration des Anicius Manlius Severinus Boethius]]
   
;Prosa und Philosophie
 
;Prosa und Philosophie
 
In der spätantiken [[Lateinische Literatur|lateinischen Literatur]] entstanden eine Vielzahl bedeutender Werke sowohl von christlichen als auch von paganen Autoren. Es ist in diesem Zusammenhang vollkommen falsch davon auszugehen, dass christlichen Autoren die klassische Bildung, die auf den Werken paganer Autoren ruhte, verachteten oder sie diese zu unterdrücken versuchten. Vielmehr weist die Spätantike zahlreiche klassisch gebildete christliche Autoren auf, denen das alte Bildungsideal weiterhin wichtig war.<ref>Alan Cameron: ''The Last Pagans of Rome''. Oxford/New York 2011; Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung.'' Tübingen 2007.</ref>
 
In der spätantiken [[Lateinische Literatur|lateinischen Literatur]] entstanden eine Vielzahl bedeutender Werke sowohl von christlichen als auch von paganen Autoren. Es ist in diesem Zusammenhang vollkommen falsch davon auszugehen, dass christlichen Autoren die klassische Bildung, die auf den Werken paganer Autoren ruhte, verachteten oder sie diese zu unterdrücken versuchten. Vielmehr weist die Spätantike zahlreiche klassisch gebildete christliche Autoren auf, denen das alte Bildungsideal weiterhin wichtig war.<ref>Alan Cameron: ''The Last Pagans of Rome''. Oxford/New York 2011; Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung.'' Tübingen 2007.</ref>
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Der in der bildenden Kunst seit etwa 300 dominierende entindividualisierte, frontale Darstellungsstil (man vergleiche etwa die Kaiserporträts [[Caracalla]]s mit denen [[Valentinian II.|Valentinians II.]] oder [[Leo I. (Byzanz)|Leos I.]]) wird dabei oft mit orientalischem Einfluss erklärt. Während sich das handwerkliche Niveau der Werke in den Kaiserresidenzen und oft auch in den Provinzhauptstädten noch bis ins 6. Jahrhundert weitgehend halten ließ, ist ansonsten aus archäologischer Perspektive ein Niedergang der materiellen Kultur ab etwa 400 kaum zu leugnen. Oft war man nicht mehr in der Lage, verfallene oder zerstörte Bauwerke aus älterer Zeit in alter Schönheit zu erneuern; offenbar fehlte es auf dem flachen Land hierfür nun vielfach an den entsprechenden Kenntnissen.<ref>Siehe allgemein auch [[Paul Veyne]]: ''Die Kunst der Spätantike. Geschichte eines Stilwandels''. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-010664-8.</ref> Und obwohl auch im 5. und 6. Jahrhunderten durchaus noch Inschriften gesetzt wurden, waren diese vor allem im Westen außerhalb der Metropolen in der Regel weit entfernt vom Standard früherer Jahrhunderte. Augenscheinlich war die gebildete, wohlhabende Elite der Spätantike im Vergleich zu früheren Jahrhunderten geschrumpft.
 
Der in der bildenden Kunst seit etwa 300 dominierende entindividualisierte, frontale Darstellungsstil (man vergleiche etwa die Kaiserporträts [[Caracalla]]s mit denen [[Valentinian II.|Valentinians II.]] oder [[Leo I. (Byzanz)|Leos I.]]) wird dabei oft mit orientalischem Einfluss erklärt. Während sich das handwerkliche Niveau der Werke in den Kaiserresidenzen und oft auch in den Provinzhauptstädten noch bis ins 6. Jahrhundert weitgehend halten ließ, ist ansonsten aus archäologischer Perspektive ein Niedergang der materiellen Kultur ab etwa 400 kaum zu leugnen. Oft war man nicht mehr in der Lage, verfallene oder zerstörte Bauwerke aus älterer Zeit in alter Schönheit zu erneuern; offenbar fehlte es auf dem flachen Land hierfür nun vielfach an den entsprechenden Kenntnissen.<ref>Siehe allgemein auch [[Paul Veyne]]: ''Die Kunst der Spätantike. Geschichte eines Stilwandels''. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-010664-8.</ref> Und obwohl auch im 5. und 6. Jahrhunderten durchaus noch Inschriften gesetzt wurden, waren diese vor allem im Westen außerhalb der Metropolen in der Regel weit entfernt vom Standard früherer Jahrhunderte. Augenscheinlich war die gebildete, wohlhabende Elite der Spätantike im Vergleich zu früheren Jahrhunderten geschrumpft.
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[[Datei:Byzantinischer Mosaizist des 5. Jahrhunderts 002.jpg|miniatur|Dieses Mosaik aus dem Kaiserpalast in Konstantinopel (5./6. Jahrhundert) illustriert das hohe Niveau, das die bildende Kunst in den Metropolen noch lange halten konnte.]]
   
Im Westen setzte bereits im 5. Jahrhundert ein Transformations- und Verschmelzungsprozess ein, der langsam durch die Entstehung „barbarischer“ Reiche auf dem Boden des Imperiums zum Übergang ins Frühmittelalter führte. Dieser Prozess fand spätestens im frühen 7. Jahrhundert seinen Abschluss. Die Germanen versuchten aber keineswegs, die römische Kultur zu beseitigen, wie die römische Verwaltungspraxis [[Theoderich der Große|Theoderichs des Großen]] oder die Rechtspraxis der Westgoten zeigt. Dies gilt auch für andere Bereiche: Forscher wie [[Philipp von Rummel]], Guy Halsall oder Michael Kulikowski vertreten mittlerweile zudem die These, viele scheinbar „barbarische“ Elemente der materiellen Kultur und Kleidung seien in Wahrheit Neuentwicklungen, die aus dem ''Imperium Romanum'' selbst stammten und eine neue militärische Elite kennzeichneten, die sehr wohl auch Römer umfasste.<ref>Vgl. z. B. Philipp von Rummel: ''Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert.'' Berlin/New York 2007.</ref> Auf der anderen Seite gab es auch gebildete Personen, die sich im Westen mit den neuen Herren arrangierten, wie unter anderem die Beispiele des Bischofs [[Avitus von Vienne]], des Arztes [[Anthimus]] oder des Dichters [[Venantius Fortunatus]] zeigen.
 
Im Westen setzte bereits im 5. Jahrhundert ein Transformations- und Verschmelzungsprozess ein, der langsam durch die Entstehung „barbarischer“ Reiche auf dem Boden des Imperiums zum Übergang ins Frühmittelalter führte. Dieser Prozess fand spätestens im frühen 7. Jahrhundert seinen Abschluss. Die Germanen versuchten aber keineswegs, die römische Kultur zu beseitigen, wie die römische Verwaltungspraxis [[Theoderich der Große|Theoderichs des Großen]] oder die Rechtspraxis der Westgoten zeigt. Dies gilt auch für andere Bereiche: Forscher wie [[Philipp von Rummel]], Guy Halsall oder Michael Kulikowski vertreten mittlerweile zudem die These, viele scheinbar „barbarische“ Elemente der materiellen Kultur und Kleidung seien in Wahrheit Neuentwicklungen, die aus dem ''Imperium Romanum'' selbst stammten und eine neue militärische Elite kennzeichneten, die sehr wohl auch Römer umfasste.<ref>Vgl. z. B. Philipp von Rummel: ''Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert.'' Berlin/New York 2007.</ref> Auf der anderen Seite gab es auch gebildete Personen, die sich im Westen mit den neuen Herren arrangierten, wie unter anderem die Beispiele des Bischofs [[Avitus von Vienne]], des Arztes [[Anthimus]] oder des Dichters [[Venantius Fortunatus]] zeigen.
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Auch die uralten republikanischen Ämter des ''[[cursus honorum]]'' ([[Volkstribunat]], [[Praetur]], [[Consulat]]) behielten trotz ihrer realen Machtlosigkeit noch lange eine gewisse Anziehungskraft und blieben bis ins 6. Jahrhundert bestehen. Anders als früher war die Bekleidung dieser Ehrenstellen allerdings nicht mehr der Schlüssel zur Aufnahme in den Senat: In der Spätantike war die Zugehörigkeit zum Senatorenstand erblich geworden. Als die Zahl der Senatoren daher um 450 zu groß geworden war, nahm man den ''clarissimi'' und ''spectabiles'' das Recht zur Teilnahme an Senatssitzungen. Damit wurde der Senat faktisch zu einer Versammlung der höchsten aktiven und ehemaligen kaiserlichen Beamten, er zählte fortan kaum mehr als 100 tatsächliche Mitglieder und repräsentierte die weltliche Reichselite.<ref>Vgl. zum spätantiken Senat den Überblick bei [[Stefan Rebenich]]: ''melior pars humani generis. Aristokratie(n) in der Spätantike''. In: Hans Beck u. a. (Hrsg.), ''Die Macht der Wenigen'', München 2008, S. 153–175.</ref>
 
Auch die uralten republikanischen Ämter des ''[[cursus honorum]]'' ([[Volkstribunat]], [[Praetur]], [[Consulat]]) behielten trotz ihrer realen Machtlosigkeit noch lange eine gewisse Anziehungskraft und blieben bis ins 6. Jahrhundert bestehen. Anders als früher war die Bekleidung dieser Ehrenstellen allerdings nicht mehr der Schlüssel zur Aufnahme in den Senat: In der Spätantike war die Zugehörigkeit zum Senatorenstand erblich geworden. Als die Zahl der Senatoren daher um 450 zu groß geworden war, nahm man den ''clarissimi'' und ''spectabiles'' das Recht zur Teilnahme an Senatssitzungen. Damit wurde der Senat faktisch zu einer Versammlung der höchsten aktiven und ehemaligen kaiserlichen Beamten, er zählte fortan kaum mehr als 100 tatsächliche Mitglieder und repräsentierte die weltliche Reichselite.<ref>Vgl. zum spätantiken Senat den Überblick bei [[Stefan Rebenich]]: ''melior pars humani generis. Aristokratie(n) in der Spätantike''. In: Hans Beck u. a. (Hrsg.), ''Die Macht der Wenigen'', München 2008, S. 153–175.</ref>
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[[Datei:Anicia Juliana.jpg|miniatur|Diese Büste aus dem frühen 6. Jahrhundert zeigt eine oströmische Aristokratin (vielleicht [[Anicia Iuliana]]) mit einer Schriftrolle als Symbol ihrer ''[[paideia]]''.]]
   
Ein entscheidender Schub in der Christianisierung der Amts- und Bildungsträger erfolgte bereits nach dem Tod des letzten nichtchristlichen Kaisers [[Julian Apostata]], in der Zeit zwischen den 60er und 90er Jahren des 4. Jahrhunderts.<ref>Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung''. Tübingen 2007, S. 137f.</ref> Der Senat in Rom wurde im Verlauf des späteren 4. Jahrhunderts immer mehr „christianisiert“, auch wenn Heiden in ihm wenigstens bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts noch eine nicht unbedeutende Gruppe stellten.<ref>Zum Wandel der Senatsaristokratie vgl. die wichtige Studie von Salzman: Michele R. Salzman, ''The Making of a Christian Aristocracy: social and religious change in the western Roman Empire''. Cambridge/Mass. 2002.</ref> In durchaus spannungsreichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum vollzog sich Aneignung und Wandel des paganen Kulturgut durch christliche Gebildete.<ref>Vgl. Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung''. Tübingen 2007.</ref> Offenbar wurden Grundbesitzer und städtische Oberschicht recht gezielt missioniert. Christen sind als ''viri clarissimi'' vor allem unter Aufsteigern aus den Provinzen oder unter anderen Nutznießern kaiserlicher Protektion auszumachen; wahrscheinlich sahen sich die sozialen Aufsteiger den heidnischen Traditionen kaum verpflichtet. Umgekehrt gab es noch im 5. Jahrhundert in Ost und West einige hohe Würdenträger, die sich offen als Anhänger der alten Religion geben konnten; so zum Beispiel der ''[[praefectus urbi]]'' des Jahres 402, Caecina Decius Albinus, oder [[Messius Phoebus Severus]], der ''consul ordinarius'' des Jahres 470. Dies wurde erst im 6. Jahrhundert unmöglich, als der Vorwurf des Heidentums zu einem politischen Kampfinstrument geworden war.
 
Ein entscheidender Schub in der Christianisierung der Amts- und Bildungsträger erfolgte bereits nach dem Tod des letzten nichtchristlichen Kaisers [[Julian Apostata]], in der Zeit zwischen den 60er und 90er Jahren des 4. Jahrhunderts.<ref>Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung''. Tübingen 2007, S. 137f.</ref> Der Senat in Rom wurde im Verlauf des späteren 4. Jahrhunderts immer mehr „christianisiert“, auch wenn Heiden in ihm wenigstens bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts noch eine nicht unbedeutende Gruppe stellten.<ref>Zum Wandel der Senatsaristokratie vgl. die wichtige Studie von Salzman: Michele R. Salzman, ''The Making of a Christian Aristocracy: social and religious change in the western Roman Empire''. Cambridge/Mass. 2002.</ref> In durchaus spannungsreichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum vollzog sich Aneignung und Wandel des paganen Kulturgut durch christliche Gebildete.<ref>Vgl. Peter Gemeinhardt: ''Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung''. Tübingen 2007.</ref> Offenbar wurden Grundbesitzer und städtische Oberschicht recht gezielt missioniert. Christen sind als ''viri clarissimi'' vor allem unter Aufsteigern aus den Provinzen oder unter anderen Nutznießern kaiserlicher Protektion auszumachen; wahrscheinlich sahen sich die sozialen Aufsteiger den heidnischen Traditionen kaum verpflichtet. Umgekehrt gab es noch im 5. Jahrhundert in Ost und West einige hohe Würdenträger, die sich offen als Anhänger der alten Religion geben konnten; so zum Beispiel der ''[[praefectus urbi]]'' des Jahres 402, Caecina Decius Albinus, oder [[Messius Phoebus Severus]], der ''consul ordinarius'' des Jahres 470. Dies wurde erst im 6. Jahrhundert unmöglich, als der Vorwurf des Heidentums zu einem politischen Kampfinstrument geworden war.
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Dem Osten erging es wirtschaftlich lange Zeit wesentlich besser als dem Westen, auch aufgrund der Tatsache, dass die wichtigen Industrien und Handelszentren im Osten lagen. Dort endete auch die [[Seidenstraße]] und es gab einen regen Handelsaustausch mit Persien und weiter bis nach [[Zentralasien]] und indirekt nach China,<ref>Vgl. zu diesem Beziehungsgeflecht zwischen Mittelmeerwelt und dem asiatischen Raum auch Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018.</ref> wobei [[Sogdien|sogdische]] Händler eine wichtige Rolle spielten ([[Spätantike#Zentralasien und der fernere Osten: Reitervölker und die chinesische Großmacht|siehe oben]]).<ref>Valerie Hansen: ''The Silk Road. A History with Documents.'' Oxford 2016; [[Étienne de La Vaissière]]: ''Sogdian Traders. A History.'' Leiden/Boston 2005. Für die Frühzeit siehe nun auch Craig Benjamin: ''Empires of Ancient Eurasia. The First Silk Roads Era, 100 BCE–250 CE.'' Cambridge 2018.</ref> Die römischen Handelskontakte reichten über das Rote Meer bis in das (im 4. Jahrhundert christianisierte) [[Aksumitisches Reich|Reich von Aksum]] im heutigen [[Äthiopien]], nach [[Altes Südarabien|Südarabien]] und [[Indien]] ([[Spätantike#Der westliche Indische Ozean in der Spätantike: Maritimer Handel und regionale Machtpolitik|siehe oben]]),<ref>James Howard-Johnston: ''The India Trade in Late Antiquity.'' In: Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017, S. 284ff.; Raoul McLaughlin: ''The Roman Empire and the Indian Ocean. The Ancient World Economy and the Kingdoms of Africa, Arabia and India.'' Barnsley 2014; Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012.</ref> während die Handelsverbindungen über Persien nach Zentralasien und weiter nach China von den Sassaniden kontrolliert wurden. In der neueren Forschung wird neben dem Warenhandel (aus dem Osten kamen vor allem Luxuswaren nach Westen, so Seide und Gewürze wie Pfeffer) auch der damit verbundene Ideenaustausch über die spätantiken Handelsnetzwerke Eurasiens betont.<ref>Vgl. dazu Matthew P. Canepa: ''Distant Displays of Power. Understanding Cross-Cultural Interaction Among the Elites of Rome, Sasanian Iran, and Sui-Tang China.'' In: ''Ars Orientalis'' 38, 2010, S. 121–154.</ref> Römische Versuche, am [[Horn von Afrika]] den persischen Einfluss zurückzudrängen bzw. neue, von den Sassaniden unabhängige Handelsrouten einzurichten (siehe dazu [[Theophilos der Inder]] und [[Ella Asbeha]]), scheiterten jedoch.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 61ff.</ref> Persische Händler beherrschten den [[Indienhandel]] im Indischen Ozean, wofür [[Sri Lanka|Ceylon]] ein wichtiger Umschlagplatz war. Die spätrömische Goldwährung, der ''[[Solidus]]'', blieb im Mittelmeerraum bis ins Hochmittelalter der Standard und spielte auch im Fernhandel eine wichtige Rolle. Im spätantiken Imperium kursierten nach modernen Schätzungen mehrere Millionen dieser Münzen; ärmere Römer konnten von etwa 3 ''Solidi'' pro Jahr leben. Im Orient war daneben die sassanidische [[Drachme (Persien)|Silberdrachme]] weit verbreitet; sie wurde im 7. Jahrhundert von den Arabern übernommen.  
 
Dem Osten erging es wirtschaftlich lange Zeit wesentlich besser als dem Westen, auch aufgrund der Tatsache, dass die wichtigen Industrien und Handelszentren im Osten lagen. Dort endete auch die [[Seidenstraße]] und es gab einen regen Handelsaustausch mit Persien und weiter bis nach [[Zentralasien]] und indirekt nach China,<ref>Vgl. zu diesem Beziehungsgeflecht zwischen Mittelmeerwelt und dem asiatischen Raum auch Nicola Di Cosmo, Michael Maas (Hrsg.): ''Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750.'' Cambridge 2018.</ref> wobei [[Sogdien|sogdische]] Händler eine wichtige Rolle spielten ([[Spätantike#Zentralasien und der fernere Osten: Reitervölker und die chinesische Großmacht|siehe oben]]).<ref>Valerie Hansen: ''The Silk Road. A History with Documents.'' Oxford 2016; [[Étienne de La Vaissière]]: ''Sogdian Traders. A History.'' Leiden/Boston 2005. Für die Frühzeit siehe nun auch Craig Benjamin: ''Empires of Ancient Eurasia. The First Silk Roads Era, 100 BCE–250 CE.'' Cambridge 2018.</ref> Die römischen Handelskontakte reichten über das Rote Meer bis in das (im 4. Jahrhundert christianisierte) [[Aksumitisches Reich|Reich von Aksum]] im heutigen [[Äthiopien]], nach [[Altes Südarabien|Südarabien]] und [[Indien]] ([[Spätantike#Der westliche Indische Ozean in der Spätantike: Maritimer Handel und regionale Machtpolitik|siehe oben]]),<ref>James Howard-Johnston: ''The India Trade in Late Antiquity.'' In: Eberhard Sauer (Hrsg.): ''Sasanian Persia. Between Rome and the Steppes of Eurasia.'' Edinburgh 2017, S. 284ff.; Raoul McLaughlin: ''The Roman Empire and the Indian Ocean. The Ancient World Economy and the Kingdoms of Africa, Arabia and India.'' Barnsley 2014; Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012.</ref> während die Handelsverbindungen über Persien nach Zentralasien und weiter nach China von den Sassaniden kontrolliert wurden. In der neueren Forschung wird neben dem Warenhandel (aus dem Osten kamen vor allem Luxuswaren nach Westen, so Seide und Gewürze wie Pfeffer) auch der damit verbundene Ideenaustausch über die spätantiken Handelsnetzwerke Eurasiens betont.<ref>Vgl. dazu Matthew P. Canepa: ''Distant Displays of Power. Understanding Cross-Cultural Interaction Among the Elites of Rome, Sasanian Iran, and Sui-Tang China.'' In: ''Ars Orientalis'' 38, 2010, S. 121–154.</ref> Römische Versuche, am [[Horn von Afrika]] den persischen Einfluss zurückzudrängen bzw. neue, von den Sassaniden unabhängige Handelsrouten einzurichten (siehe dazu [[Theophilos der Inder]] und [[Ella Asbeha]]), scheiterten jedoch.<ref>Timothy Power: ''The Red Sea from Byzantium to the Caliphate: AD 500–1000.'' Cairo 2012, S. 61ff.</ref> Persische Händler beherrschten den [[Indienhandel]] im Indischen Ozean, wofür [[Sri Lanka|Ceylon]] ein wichtiger Umschlagplatz war. Die spätrömische Goldwährung, der ''[[Solidus]]'', blieb im Mittelmeerraum bis ins Hochmittelalter der Standard und spielte auch im Fernhandel eine wichtige Rolle. Im spätantiken Imperium kursierten nach modernen Schätzungen mehrere Millionen dieser Münzen; ärmere Römer konnten von etwa 3 ''Solidi'' pro Jahr leben. Im Orient war daneben die sassanidische [[Drachme (Persien)|Silberdrachme]] weit verbreitet; sie wurde im 7. Jahrhundert von den Arabern übernommen.  
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[[Datei:Mosaik (Lin).jpg|miniatur|Mosaiken wie dieses aus dem 6. Jahrhundert (Lin am Ohridsee, Albanien) zeugen vom Wohlstand auch in den damaligen Provinzen.]]
   
Im Westen des Imperiums war zwar ein gewisser Bevölkerungsrückgang festzustellen, aber dieser setzte erst im 5. und 6. Jahrhundert in voller Stärke ein, während die Verhältnisse im 4. Jahrhundert vermutlich sogar günstiger waren als in der Soldatenkaiserzeit. Die großen Städte, vor allem [[Rom]], [[Karthago]], [[Trier]], [[Konstantinopel]], [[Antiochia am Orontes|Antiochia]] und [[Alexandria]], standen noch lange in Blüte und verfielen im Westen erst nach den Eroberungen durch die Germanen, im Osten noch später.<ref>Vgl. Jens Uwe Krause/Christian Witschel (Hrsg.), ''Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003''. Stuttgart 2006.</ref> Westrom erlebte allerdings, bedingt oder verstärkt durch die endlosen Kriege, im 5. Jahrhundert einen (regional sehr unterschiedlich ausgeprägten) wirtschaftlichen Niedergang. Hinzu kam, dass die reichsten Gebiete (vor allem Nordafrika) nun dem Zugriff der kaiserlichen Regierung in Ravenna entzogen waren. Für Italien markiert daneben der zweite Gotenkrieg (541–552) einen Einschnitt. Die langwierigen, gnadenlosen Kämpfe ruinierten das einstige Kernland des Imperiums. So entging etwa die Stadt Rom, die um 530 noch immerhin etwa 100.000 Einwohner gehabt haben dürfte, nur knapp der vollständigen Zerstörung. Allerdings erschien Italien trotz allem den [[Langobarden]] noch 568 als lohnendes Ziel. Dass dort nach über 30 Jahren voller Krieg und Plünderung noch immer Beute winkte, belegt vor allem, wie reich die Halbinsel zuvor gewesen sein muss.
 
Im Westen des Imperiums war zwar ein gewisser Bevölkerungsrückgang festzustellen, aber dieser setzte erst im 5. und 6. Jahrhundert in voller Stärke ein, während die Verhältnisse im 4. Jahrhundert vermutlich sogar günstiger waren als in der Soldatenkaiserzeit. Die großen Städte, vor allem [[Rom]], [[Karthago]], [[Trier]], [[Konstantinopel]], [[Antiochia am Orontes|Antiochia]] und [[Alexandria]], standen noch lange in Blüte und verfielen im Westen erst nach den Eroberungen durch die Germanen, im Osten noch später.<ref>Vgl. Jens Uwe Krause/Christian Witschel (Hrsg.), ''Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003''. Stuttgart 2006.</ref> Westrom erlebte allerdings, bedingt oder verstärkt durch die endlosen Kriege, im 5. Jahrhundert einen (regional sehr unterschiedlich ausgeprägten) wirtschaftlichen Niedergang. Hinzu kam, dass die reichsten Gebiete (vor allem Nordafrika) nun dem Zugriff der kaiserlichen Regierung in Ravenna entzogen waren. Für Italien markiert daneben der zweite Gotenkrieg (541–552) einen Einschnitt. Die langwierigen, gnadenlosen Kämpfe ruinierten das einstige Kernland des Imperiums. So entging etwa die Stadt Rom, die um 530 noch immerhin etwa 100.000 Einwohner gehabt haben dürfte, nur knapp der vollständigen Zerstörung. Allerdings erschien Italien trotz allem den [[Langobarden]] noch 568 als lohnendes Ziel. Dass dort nach über 30 Jahren voller Krieg und Plünderung noch immer Beute winkte, belegt vor allem, wie reich die Halbinsel zuvor gewesen sein muss.
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=== Kaisertum und Verwaltung ===
 
=== Kaisertum und Verwaltung ===
 
Der '''Kaiser''' beanspruchte im spätrömischen Reich spätestens seit Diokletian eine sakrale Stellung, nicht unähnlich der eines Vizekönigs Gottes auf Erden (Näheres dazu im Artikel [[Kaiser]]). Auf Porträts und Münzen verloren sich bereits seit Diokletian die individuellen Züge der Herrscher vielfach gegenüber der Betonung der Entrückung und Sakralität ihres Amtes. Zwischen Konstantin und Phokas waren fast alle Kaiser (mit einigen Ausnahmen wie Julian und [[Johannes (Kaiser)|Johannes]]) glattrasiert. Das zunehmend übersteigerte Hofzeremoniell erreichte seine Vollendung dann unter Justinian; dabei sind die Parallelen zum [[Sassanidenreich|sassanidischen Hof]] auffällig, werden aber in der Forschung unterschiedlich interpretiert.<ref>Vgl. dazu ausführlich Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran''. Berkeley 2009.</ref> Dennoch kann nicht von einer „orientalischen Zwangsherrschaft“ gesprochen werden, denn faktisch hatten die spätantiken Kaiser nicht mehr Befugnisse als ihre Vorgänger – eher weniger. Außerdem sollte die Beeinflussung mehrerer Kaiser durch [[Heermeister]], einflussreiches Hofpersonal und Verwaltungspersonen sowie durch kirchliche Würdenträger speziell im Westen nicht unterschätzt werden. Manche Kaiser waren zudem in sehr jungen Jahren auf den Thron gelangt und standen somit unter dem Einfluss ihrer Berater.
 
Der '''Kaiser''' beanspruchte im spätrömischen Reich spätestens seit Diokletian eine sakrale Stellung, nicht unähnlich der eines Vizekönigs Gottes auf Erden (Näheres dazu im Artikel [[Kaiser]]). Auf Porträts und Münzen verloren sich bereits seit Diokletian die individuellen Züge der Herrscher vielfach gegenüber der Betonung der Entrückung und Sakralität ihres Amtes. Zwischen Konstantin und Phokas waren fast alle Kaiser (mit einigen Ausnahmen wie Julian und [[Johannes (Kaiser)|Johannes]]) glattrasiert. Das zunehmend übersteigerte Hofzeremoniell erreichte seine Vollendung dann unter Justinian; dabei sind die Parallelen zum [[Sassanidenreich|sassanidischen Hof]] auffällig, werden aber in der Forschung unterschiedlich interpretiert.<ref>Vgl. dazu ausführlich Matthew P. Canepa: ''The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran''. Berkeley 2009.</ref> Dennoch kann nicht von einer „orientalischen Zwangsherrschaft“ gesprochen werden, denn faktisch hatten die spätantiken Kaiser nicht mehr Befugnisse als ihre Vorgänger – eher weniger. Außerdem sollte die Beeinflussung mehrerer Kaiser durch [[Heermeister]], einflussreiches Hofpersonal und Verwaltungspersonen sowie durch kirchliche Würdenträger speziell im Westen nicht unterschätzt werden. Manche Kaiser waren zudem in sehr jungen Jahren auf den Thron gelangt und standen somit unter dem Einfluss ihrer Berater.
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[[Datei:Leo I Louvre Ma1012 n2.jpg|mini|250px|Porträtbüste des oströmischen Kaisers [[Leo I. (Byzanz)|Leo]] (heute im [[Louvre]])]]
      
Der spätantike Herrscher war immer noch an das altrömische Prinzip der Fürsorgepflicht gebunden, und neue Kaiser wurden weiterhin durch Akklamation erhoben. Auch wenn die Bedeutung des dynastischen Denkens wuchs und zumindest Kaisersöhne, sofern vorhanden, kaum übergangen werden konnten, war das Kaisertum formal nach wie vor nicht erblich. Um die Nachfolge von Verwandten zu sichern, wurde meist versucht, diese im Vorfeld bereits als Mitkaiser an der Macht zu beteiligen (z. B. Justinian durch Justin I.). Zudem war die Gesetzesherrschaft keineswegs suspendiert, wie oft mit dem Begriff des [[Dominat]]s in der älteren Forschung suggeriert wurde. Vielmehr zeigen zahlreiche Erlasse in den Kodizes, dass die Kaiser weiterhin an das Recht als solches gebunden waren (siehe beispielsweise die Äußerung im [[Codex Iustinianus]], 1,14,4), da sie durch offen unrechtmäßiges Vorgehen ihre Legitimität eingebüßt und Usurpationen riskiert hätten – so wie Kaiser [[Phokas]], der zahlreiche Aristokraten hinrichten ließ und schließlich 610 gestürzt wurde. Auffällig ist überdies, dass die Herrscher nach Theodosius I. für über zwei Jahrhunderte zu Palastkaisern (''principes clausi'') wurden, die – mit Ausnahme von [[Majorian]] – nicht mehr selbst Heere in die Schlacht führten. Im Osten verließen die ''Augusti'' Konstantinopel nun nur noch höchst selten.
 
Der spätantike Herrscher war immer noch an das altrömische Prinzip der Fürsorgepflicht gebunden, und neue Kaiser wurden weiterhin durch Akklamation erhoben. Auch wenn die Bedeutung des dynastischen Denkens wuchs und zumindest Kaisersöhne, sofern vorhanden, kaum übergangen werden konnten, war das Kaisertum formal nach wie vor nicht erblich. Um die Nachfolge von Verwandten zu sichern, wurde meist versucht, diese im Vorfeld bereits als Mitkaiser an der Macht zu beteiligen (z. B. Justinian durch Justin I.). Zudem war die Gesetzesherrschaft keineswegs suspendiert, wie oft mit dem Begriff des [[Dominat]]s in der älteren Forschung suggeriert wurde. Vielmehr zeigen zahlreiche Erlasse in den Kodizes, dass die Kaiser weiterhin an das Recht als solches gebunden waren (siehe beispielsweise die Äußerung im [[Codex Iustinianus]], 1,14,4), da sie durch offen unrechtmäßiges Vorgehen ihre Legitimität eingebüßt und Usurpationen riskiert hätten – so wie Kaiser [[Phokas]], der zahlreiche Aristokraten hinrichten ließ und schließlich 610 gestürzt wurde. Auffällig ist überdies, dass die Herrscher nach Theodosius I. für über zwei Jahrhunderte zu Palastkaisern (''principes clausi'') wurden, die – mit Ausnahme von [[Majorian]] – nicht mehr selbst Heere in die Schlacht führten. Im Osten verließen die ''Augusti'' Konstantinopel nun nur noch höchst selten.
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Die faktische Teilung von ziviler und militärischer Gewalt, die in Rom zuvor unbekannt gewesen war, ist ein typisches Phänomen der Spätantike und wurde erst ab dem 6. Jahrhundert schrittweise wieder aufgegeben. Dabei war die zivile Hierarchie der ''militia officialis'' seit Diokletian und Konstantin im Wesentlichen die folgende: Direkt dem Kaiser unterstellt waren die [[Prätorianerpräfekt]]en (Singular: ''praefectus praetorio''). Es handelte sich bei ihnen seit der Zeit Konstantins um die höchsten zivilen Verwaltungsbeamten des Reiches; vor 395 existierten drei, danach vier Präfekturen (nun je zwei für das West- und das Ostreich). Die Präfekturen zerfielen wiederum in Diözesen, denen Vikare vorstanden, und die ihrerseits aus Provinzen bestanden. In Italien blieb dieses System bis in die Zeit der [[Ostgoten]] bestehen, im Osten sogar bis ins 7. Jahrhundert. Die Basiseinheit der Verwaltung blieb bis ins 6. Jahrhundert die Stadt (''polis'' bzw. ''civitas''), wobei die traditionellen urbanen Ämter seit dem 4. Jahrhundert an Bedeutung verloren und die städtische Autonomie im Verlauf der Epoche zunehmend eingeschränkt wurde (s.&nbsp;o.).
 
Die faktische Teilung von ziviler und militärischer Gewalt, die in Rom zuvor unbekannt gewesen war, ist ein typisches Phänomen der Spätantike und wurde erst ab dem 6. Jahrhundert schrittweise wieder aufgegeben. Dabei war die zivile Hierarchie der ''militia officialis'' seit Diokletian und Konstantin im Wesentlichen die folgende: Direkt dem Kaiser unterstellt waren die [[Prätorianerpräfekt]]en (Singular: ''praefectus praetorio''). Es handelte sich bei ihnen seit der Zeit Konstantins um die höchsten zivilen Verwaltungsbeamten des Reiches; vor 395 existierten drei, danach vier Präfekturen (nun je zwei für das West- und das Ostreich). Die Präfekturen zerfielen wiederum in Diözesen, denen Vikare vorstanden, und die ihrerseits aus Provinzen bestanden. In Italien blieb dieses System bis in die Zeit der [[Ostgoten]] bestehen, im Osten sogar bis ins 7. Jahrhundert. Die Basiseinheit der Verwaltung blieb bis ins 6. Jahrhundert die Stadt (''polis'' bzw. ''civitas''), wobei die traditionellen urbanen Ämter seit dem 4. Jahrhundert an Bedeutung verloren und die städtische Autonomie im Verlauf der Epoche zunehmend eingeschränkt wurde (s.&nbsp;o.).
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[[Datei:Roman Empire with dioceses in 400 AD.png|miniatur|hochkant=1.4|Die administrative Gliederung des ''Imperium Romanum'' nach 395.]]
      
Zentrum des herrschaftlichen Handelns war der '''Kaiserhof''', wie auch Verwaltung und Hof kaum voneinander zu trennen sind.<ref>Vgl. Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 225.</ref> Der spätrömische Hof (''comitatus'') umfasste eine Vielzahl von Beamten (''militia palatina''), von denen die wichtigsten zum Hofrat (''consistorium'') gehörten.<ref>Vgl. zum Hof einführend Michael McCormick: ''Emperor and Court.'' In: [[Averil Cameron]] u. a. (Hrsg.): ''The Cambridge Ancient History'' 14, Cambridge 2000, S. 135–163: Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 217ff.</ref> Zu den wichtigsten Funktionären zählten neben dem ''[[magister officiorum]]'', dem Leiter der Verwaltung, der ''comes sacrarum largitionum'', der für die Reichsfinanzen zuständig war, und der ''praepositus sacri cubiculi''. Letzterer war meist ein [[Eunuch]] und leitete den kaiserlichen Haushalt, wodurch er oftmals den Zugang zum Kaiser kontrollieren konnte. Der ''[[quaestor sacri palatii]]'' war der Leiter der kaiserlichen Kanzlei. Er war in der Regel ein Jurist, da er auch mit der Abfassung kaiserlicher Gesetze beauftragt war. Außerdem publizierte er kaiserliche Edikte und bewahrte die Kopien auf. Personen, die sich auf wichtigen Posten besonders hervorgetan hatten, wurden teils auch mit dem hohen Ehrentitel eines ''[[patricius]]'' ausgezeichnet.
 
Zentrum des herrschaftlichen Handelns war der '''Kaiserhof''', wie auch Verwaltung und Hof kaum voneinander zu trennen sind.<ref>Vgl. Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 225.</ref> Der spätrömische Hof (''comitatus'') umfasste eine Vielzahl von Beamten (''militia palatina''), von denen die wichtigsten zum Hofrat (''consistorium'') gehörten.<ref>Vgl. zum Hof einführend Michael McCormick: ''Emperor and Court.'' In: [[Averil Cameron]] u. a. (Hrsg.): ''The Cambridge Ancient History'' 14, Cambridge 2000, S. 135–163: Rene Pfeilschifter: ''Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher.'' München 2014, S. 217ff.</ref> Zu den wichtigsten Funktionären zählten neben dem ''[[magister officiorum]]'', dem Leiter der Verwaltung, der ''comes sacrarum largitionum'', der für die Reichsfinanzen zuständig war, und der ''praepositus sacri cubiculi''. Letzterer war meist ein [[Eunuch]] und leitete den kaiserlichen Haushalt, wodurch er oftmals den Zugang zum Kaiser kontrollieren konnte. Der ''[[quaestor sacri palatii]]'' war der Leiter der kaiserlichen Kanzlei. Er war in der Regel ein Jurist, da er auch mit der Abfassung kaiserlicher Gesetze beauftragt war. Außerdem publizierte er kaiserliche Edikte und bewahrte die Kopien auf. Personen, die sich auf wichtigen Posten besonders hervorgetan hatten, wurden teils auch mit dem hohen Ehrentitel eines ''[[patricius]]'' ausgezeichnet.
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=== Die spätrömische Armee ===
 
=== Die spätrömische Armee ===
[[Datei:Consular diptych Probus 406.jpg|miniatur|Kaiser Honorius (mit dem ''[[Labarum]]'') in der Tracht eines spätrömischen Offiziers. Elfenbeindyptichon von 406 n. Chr.]]
   
Auch die spätrömische Armee wandelte sich.<ref>Grundlegend zum spätantiken Heer – speziell des 4. Jahrhunderts – ist Yann Le Bohec: ''Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit'', Stuttgart 2010.</ref> Noch unter den [[Severer]]n (193–235) hatten Organisation und Ausrüstung der römischen Truppen im Wesentlichen dem spätestens seit [[Augustus]] gängigen Muster entsprochen. Die Funde auf dem 2008 entdeckten [[Harzhornereignis|Harzhornschlachtfeld]], das in die Zeit nach 228 datiert werden kann, beinhalten ''[[Pilum|pila]]'', ''caligae'' und Teile typisch kaiserzeitlicher Helme. Doch in den Niederlagen, die die römische Armee in den Jahren zwischen 244 und 260 gegen [[Goten]] und [[Sassanidenreich|Sassaniden]] erlitt, sowie im Rahmen einer langen Kette von Bürgerkriegen (siehe [[Reichskrise des 3. Jahrhunderts]]), verloren viele Legionäre ihr Leben; ganze Einheiten wurden aufgerieben und nicht wieder aufgestellt. Um 260 führte darum insbesondere Kaiser [[Gallienus]] weitreichende Reformen durch: Das Kommando über die Legionen wurde nun den Senatoren entzogen, die durch Berufssoldaten ersetzt wurden, der Anteil an Kavallerie wurde deutlich erhöht und die taktischen Einheiten, in denen die Infanterie operierte, verkleinert.
 
Auch die spätrömische Armee wandelte sich.<ref>Grundlegend zum spätantiken Heer – speziell des 4. Jahrhunderts – ist Yann Le Bohec: ''Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit'', Stuttgart 2010.</ref> Noch unter den [[Severer]]n (193–235) hatten Organisation und Ausrüstung der römischen Truppen im Wesentlichen dem spätestens seit [[Augustus]] gängigen Muster entsprochen. Die Funde auf dem 2008 entdeckten [[Harzhornereignis|Harzhornschlachtfeld]], das in die Zeit nach 228 datiert werden kann, beinhalten ''[[Pilum|pila]]'', ''caligae'' und Teile typisch kaiserzeitlicher Helme. Doch in den Niederlagen, die die römische Armee in den Jahren zwischen 244 und 260 gegen [[Goten]] und [[Sassanidenreich|Sassaniden]] erlitt, sowie im Rahmen einer langen Kette von Bürgerkriegen (siehe [[Reichskrise des 3. Jahrhunderts]]), verloren viele Legionäre ihr Leben; ganze Einheiten wurden aufgerieben und nicht wieder aufgestellt. Um 260 führte darum insbesondere Kaiser [[Gallienus]] weitreichende Reformen durch: Das Kommando über die Legionen wurde nun den Senatoren entzogen, die durch Berufssoldaten ersetzt wurden, der Anteil an Kavallerie wurde deutlich erhöht und die taktischen Einheiten, in denen die Infanterie operierte, verkleinert.
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Ein Problem stellten die unter eigenen Anführern kämpfenden [[Foederaten]] dar, die vor allem im Westen immer mehr an Bedeutung gewannen, da sie weitaus billiger waren als reguläre Einheiten, aber zugleich vom Kaiser immer schlechter kontrolliert werden konnten. Vermutlich wurde schon den Westgoten bei ihrer Ansiedlung in Aquitanien zugestanden, „ihren“ Anteil am Steueraufkommen selbst einzutreiben. In Westrom mündete dieser Prozess schließlich im 5. Jahrhundert in der faktischen Selbstauflösung des regulären Heeres, da im Westen zuletzt die finanziellen Mittel zum Unterhalt regulärer Truppen fehlten, die die Foederaten hätten kontrollieren sollen. Die germanischen Truppen traten nun an die Stelle des weströmischen Heeres, und ihre Anführer übernahmen schließlich die Rolle des Staates, der aus ihrer Sicht am Ende überflüssig geworden war. Gleichzeitig entstanden ab etwa 400 in Ost und West private Haustruppen, die Feldherren oder sogar reiche Privatleute unterhielten, die sogenannten ''[[Bucellarius|bucellarii]]''. Einige Forscher vermuten, dass in diesem Zusammenhang die blutige [[Schlacht am Frigidus]] 394, in der [[Theodosius I.]] den Usurpator [[Eugenius]] besiegte, einen Wendepunkt markiert habe. Damals starben nicht nur zahllose germanische Hilfstruppen beider Seiten, sondern es fanden auch die besten Einheiten des regulären weströmischen Heeres den Tod. Diese konnten offenbar nicht mehr ersetzt werden, wenngleich die Heeresstärke zum Zeitpunkt des Todes Theodosius’ I. noch relativ hoch lag. Allerdings mussten in der darauffolgenden Zeit mehrere Einheiten im Westen neu aufgestellt werden, was wohl zu Lasten der Qualität dieser neuen Einheiten ging. Danach waren die Kaiser in Westrom viel stärker auf den Einsatz barbarischer Foederaten angewiesen als die Kaiser im Osten, was ihren Einfluss schmälerte. Spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts lag die Macht im Westen dann in den Händen von Militärs römischer wie nichtrömischer Herkunft, und aus den Anführern der verbündeten Foederaten wurden angesichts der Agonie der Zentralgewalt schrittweise faktisch unabhängige Territorialherren. Die alte weströmische Armee löste sich Schritt für Schritt auf.<ref>Vgl. Wolfgang Liebeschuetz: ''The End of the Roman Army in the Western Empire.'' In: J. Rich, G. Shipley (Hrsg.): ''War and Society in the Roman World.'' London/New York 1993, S. 265–276.</ref>
 
Ein Problem stellten die unter eigenen Anführern kämpfenden [[Foederaten]] dar, die vor allem im Westen immer mehr an Bedeutung gewannen, da sie weitaus billiger waren als reguläre Einheiten, aber zugleich vom Kaiser immer schlechter kontrolliert werden konnten. Vermutlich wurde schon den Westgoten bei ihrer Ansiedlung in Aquitanien zugestanden, „ihren“ Anteil am Steueraufkommen selbst einzutreiben. In Westrom mündete dieser Prozess schließlich im 5. Jahrhundert in der faktischen Selbstauflösung des regulären Heeres, da im Westen zuletzt die finanziellen Mittel zum Unterhalt regulärer Truppen fehlten, die die Foederaten hätten kontrollieren sollen. Die germanischen Truppen traten nun an die Stelle des weströmischen Heeres, und ihre Anführer übernahmen schließlich die Rolle des Staates, der aus ihrer Sicht am Ende überflüssig geworden war. Gleichzeitig entstanden ab etwa 400 in Ost und West private Haustruppen, die Feldherren oder sogar reiche Privatleute unterhielten, die sogenannten ''[[Bucellarius|bucellarii]]''. Einige Forscher vermuten, dass in diesem Zusammenhang die blutige [[Schlacht am Frigidus]] 394, in der [[Theodosius I.]] den Usurpator [[Eugenius]] besiegte, einen Wendepunkt markiert habe. Damals starben nicht nur zahllose germanische Hilfstruppen beider Seiten, sondern es fanden auch die besten Einheiten des regulären weströmischen Heeres den Tod. Diese konnten offenbar nicht mehr ersetzt werden, wenngleich die Heeresstärke zum Zeitpunkt des Todes Theodosius’ I. noch relativ hoch lag. Allerdings mussten in der darauffolgenden Zeit mehrere Einheiten im Westen neu aufgestellt werden, was wohl zu Lasten der Qualität dieser neuen Einheiten ging. Danach waren die Kaiser in Westrom viel stärker auf den Einsatz barbarischer Foederaten angewiesen als die Kaiser im Osten, was ihren Einfluss schmälerte. Spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts lag die Macht im Westen dann in den Händen von Militärs römischer wie nichtrömischer Herkunft, und aus den Anführern der verbündeten Foederaten wurden angesichts der Agonie der Zentralgewalt schrittweise faktisch unabhängige Territorialherren. Die alte weströmische Armee löste sich Schritt für Schritt auf.<ref>Vgl. Wolfgang Liebeschuetz: ''The End of the Roman Army in the Western Empire.'' In: J. Rich, G. Shipley (Hrsg.): ''War and Society in the Roman World.'' London/New York 1993, S. 265–276.</ref>
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[[Datei:Notitia.jpg|miniatur|Eine Seite aus einer mittelalterlichen Kopie der ''Notitia dignitatum''.]]
      
Während die Besoldung der Truppen den zivilen Beamten oblag, sah die militärische Hierarchie (''militia armata'') des spätantiken Reiches grob aus wie folgt: Nur dem Kaiser (bzw. den Kaisern) unterstellt war der ''Heermeister'', der ''[[magister militum]]'' (bzw. die ''magistri militum'', denn es gab zumindest in Ostrom meist mehrere). Dieser konnte durchaus über beachtliche politische Macht verfügen, wie die Endzeit des Westreiches zeigt, wo die Heermeister schließlich die Kaiser weitgehend kontrollierten, während es im Ostreich gelang, die politische Rolle des Heermeisteramts zu beschneiden.<ref>[[Wolfgang Kuhoff]]: ''Die Versuchung der Macht. Spätrömische Heermeister und ihr potentieller Griff nach dem Kaisertum''. In: Silvia Serena Tschopp, Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.): ''Macht und Kommunikation''. Berlin 2012, S. 39–80; Anne Poguntke: ''Das römische Heermeisteramt im 5. Jahrhundert. Überlegungen zum Verhältnis zwischen Kaiser und Heermeister in Ost und West.'' In: Carola Föller, Fabian Schulz (Hrsg.): ''Osten und Westen 400–600 n. Chr. Kommunikation, Kooperation und Konflikt.'' Stuttgart 2016, S. 239–262.</ref>
 
Während die Besoldung der Truppen den zivilen Beamten oblag, sah die militärische Hierarchie (''militia armata'') des spätantiken Reiches grob aus wie folgt: Nur dem Kaiser (bzw. den Kaisern) unterstellt war der ''Heermeister'', der ''[[magister militum]]'' (bzw. die ''magistri militum'', denn es gab zumindest in Ostrom meist mehrere). Dieser konnte durchaus über beachtliche politische Macht verfügen, wie die Endzeit des Westreiches zeigt, wo die Heermeister schließlich die Kaiser weitgehend kontrollierten, während es im Ostreich gelang, die politische Rolle des Heermeisteramts zu beschneiden.<ref>[[Wolfgang Kuhoff]]: ''Die Versuchung der Macht. Spätrömische Heermeister und ihr potentieller Griff nach dem Kaisertum''. In: Silvia Serena Tschopp, Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.): ''Macht und Kommunikation''. Berlin 2012, S. 39–80; Anne Poguntke: ''Das römische Heermeisteramt im 5. Jahrhundert. Überlegungen zum Verhältnis zwischen Kaiser und Heermeister in Ost und West.'' In: Carola Föller, Fabian Schulz (Hrsg.): ''Osten und Westen 400–600 n. Chr. Kommunikation, Kooperation und Konflikt.'' Stuttgart 2016, S. 239–262.</ref>
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Die über effiziente Verwaltungsstrukturen verfügende Kirche (siehe auch [[Alte Kirche]]) festigte in der Spätantike ihre Stellung. Bereits [[Konstantin der Große]] hatte die Kirche gefördert, sodass diese nun auch über wirtschaftliche Macht verfügte, die sie unter anderem auch für die Armenversorgung nutzte. Durch staatliche Privilegien wurde sie auch für die Oberschicht des Reiches interessant, und indem sich seit dem 4. Jahrhundert die Kindstaufe durchsetzte, während Apostasie (Abfall vom Glauben) bald mit dem Tod bedroht wurde, war es schließlich kaum noch möglich, sich frei für oder gegen das Christentum zu entscheiden. Es kam jedoch trotz oder wegen der steigenden Macht der neuen Religion bald zu mehreren Kontroversen innerhalb der Kirche: Weniger das [[Heidentum]], das aber noch im 5. und 6. Jahrhundert (allerdings in immer schwächerer Form) aktiv war, als vielmehr theologische Differenzen (besonders bzgl. der Natur Christi) innerhalb der Kirche erschwerten die innere Festigung (siehe [[Erstes Konzil von Nicäa]], [[Arianismus]], [[Nestorianismus]], [[Monophysitismus]]). Auch die fünf ökumenischen [[Konzil]]e der Spätantike konnten hier keine Einigung herstellen.<ref>Eine detaillierte Darstellung der Geschichte des spätantiken Christentums findet sich u.&nbsp;a. in Peter Brown: ''Der Schatz im Himmel: Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Weltreichs.'' Stuttgart 2017; Jean-Marie Mayeur, Luce Pietri, Andre Vauchez u. a.: ''Die Geschichte des Christentums, Altertum.'' Bd. 2 und 3, Sonderausgabe, Freiburg i. B. 2005. Zur Christologie grundlegend ist Alois Grillmeier u.&nbsp;a.: ''Jesus der Christus im Glauben der Kirche.'' 2 Bde. in 5 Tl.-Bdn., aktual. Neuaufl., Freiburg i. Br. 2004.</ref>
 
Die über effiziente Verwaltungsstrukturen verfügende Kirche (siehe auch [[Alte Kirche]]) festigte in der Spätantike ihre Stellung. Bereits [[Konstantin der Große]] hatte die Kirche gefördert, sodass diese nun auch über wirtschaftliche Macht verfügte, die sie unter anderem auch für die Armenversorgung nutzte. Durch staatliche Privilegien wurde sie auch für die Oberschicht des Reiches interessant, und indem sich seit dem 4. Jahrhundert die Kindstaufe durchsetzte, während Apostasie (Abfall vom Glauben) bald mit dem Tod bedroht wurde, war es schließlich kaum noch möglich, sich frei für oder gegen das Christentum zu entscheiden. Es kam jedoch trotz oder wegen der steigenden Macht der neuen Religion bald zu mehreren Kontroversen innerhalb der Kirche: Weniger das [[Heidentum]], das aber noch im 5. und 6. Jahrhundert (allerdings in immer schwächerer Form) aktiv war, als vielmehr theologische Differenzen (besonders bzgl. der Natur Christi) innerhalb der Kirche erschwerten die innere Festigung (siehe [[Erstes Konzil von Nicäa]], [[Arianismus]], [[Nestorianismus]], [[Monophysitismus]]). Auch die fünf ökumenischen [[Konzil]]e der Spätantike konnten hier keine Einigung herstellen.<ref>Eine detaillierte Darstellung der Geschichte des spätantiken Christentums findet sich u.&nbsp;a. in Peter Brown: ''Der Schatz im Himmel: Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Weltreichs.'' Stuttgart 2017; Jean-Marie Mayeur, Luce Pietri, Andre Vauchez u. a.: ''Die Geschichte des Christentums, Altertum.'' Bd. 2 und 3, Sonderausgabe, Freiburg i. B. 2005. Zur Christologie grundlegend ist Alois Grillmeier u.&nbsp;a.: ''Jesus der Christus im Glauben der Kirche.'' 2 Bde. in 5 Tl.-Bdn., aktual. Neuaufl., Freiburg i. Br. 2004.</ref>
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[[Datei:Krist spred 2.jpg|mini|Gebiete mit starken christlichen Gemeinden um das Jahr 325 n. Chr.]]
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[[Datei:Krist spred 3.jpg|mini|Die Ausbreitung des Christentums um 600 n. Chr.]]
   
Die Rolle des Kaisers als Schutzherr des Christentums wurde seit Konstantin betont, ebenso die sakrale christliche Aura des Kaisertums. In diesem Sinne spielte der Kaiser im spätantiken Christentum eine wichtige, aber auch nicht unproblematische Rolle.<ref>Uta Heil, Jörg Ulrich (Hrsg.): ''Kirche und Kaiser in Antike und Spätantike.'' Berlin/Boston 2017.</ref> Dabei muss beachtet werden, dass in jener Zeit Religionsfragen nicht nur von einem kleinen Zirkel von Theologen besprochen wurden, sondern dass diese Diskussion mit Leidenschaft auch in den unteren Bevölkerungsschichten geführt wurde. Schließlich ging es um das persönliche Heil des Einzelnen. Wer einer falschen Lehre anhing, dessen Seele war verloren. Die Feststellung des „orthodoxen“ Standpunktes war also für alle Gläubigen von entscheidender Bedeutung. Hinzu kamen verunsichernde Ereignisse wie die kurzfristige heidnische Renaissance unter Kaiser Julian oder der Schock der Plünderung Roms 410, auf den [[Augustinus von Hippo]], [[Orosius]] und andere literarisch reagierten. Bis zum Ende der Epoche (und vor allem im Osten darüber hinaus) bestimmten theologische Auseinandersetzungen, die meist untrennbar mit Machtfragen verknüpft waren, die Geschichte in entscheidendem Maße mit.
 
Die Rolle des Kaisers als Schutzherr des Christentums wurde seit Konstantin betont, ebenso die sakrale christliche Aura des Kaisertums. In diesem Sinne spielte der Kaiser im spätantiken Christentum eine wichtige, aber auch nicht unproblematische Rolle.<ref>Uta Heil, Jörg Ulrich (Hrsg.): ''Kirche und Kaiser in Antike und Spätantike.'' Berlin/Boston 2017.</ref> Dabei muss beachtet werden, dass in jener Zeit Religionsfragen nicht nur von einem kleinen Zirkel von Theologen besprochen wurden, sondern dass diese Diskussion mit Leidenschaft auch in den unteren Bevölkerungsschichten geführt wurde. Schließlich ging es um das persönliche Heil des Einzelnen. Wer einer falschen Lehre anhing, dessen Seele war verloren. Die Feststellung des „orthodoxen“ Standpunktes war also für alle Gläubigen von entscheidender Bedeutung. Hinzu kamen verunsichernde Ereignisse wie die kurzfristige heidnische Renaissance unter Kaiser Julian oder der Schock der Plünderung Roms 410, auf den [[Augustinus von Hippo]], [[Orosius]] und andere literarisch reagierten. Bis zum Ende der Epoche (und vor allem im Osten darüber hinaus) bestimmten theologische Auseinandersetzungen, die meist untrennbar mit Machtfragen verknüpft waren, die Geschichte in entscheidendem Maße mit.
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[[Datei:AugustineLateran.jpg|miniatur|Älteste bekannte Darstellung des Augustinus in der Tradition des Autorenbildes (Laterankirche, 6. Jahrhundert).]]
   
Indem das Christentum zur Religion von Kaiser und Reich (dem ''Imperium sanctum'') wurde und Christus zum ''Kosmokrator'', der als eine Art himmlischer Kaiser gedacht wurde, musste es sich der Welt anpassen und erfuhr eine massive Transformation. Unter anderem wurde es notwendig, Gewalt theologisch zu begründen, da auch das nunmehr christliche Imperium weiterhin militärische Konflikte ausfocht. Besonders Augustinus entwickelte daher, aufbauend auf der alten römischen Vorstellung des ''[[bellum iustum]]'', eine theologische Rechtfertigung des Krieges. Neben dieser Entfernung vom altchristlichen Gebot der Nächstenliebe erregte vor allem die zunehmende Verweltlichung der Kleriker und der rasant wachsende Reichtum der Kirche vielfach Befremden und Widerspruch. Erst in den letzten Jahren wird in der Forschung zudem verstärkt darauf hingewiesen, dass es im 4. Jahrhundert durchaus noch keine klaren Vorstellungen davon gab, was genau „Christsein“ eigentlich ausmache – so sei jene Richtung, die den strikten Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums vertrat, zunächst nur eine unter vielen Strömungen gewesen, während es in der Praxis anfangs viele Menschen gab, die lediglich ''unter anderem'' Christ waren.<ref>Vgl. hierzu den Überblick bei [[Karen Piepenbrink]]: ''Antike und Christentum.'' Darmstadt 2007, S. 96ff.</ref>
 
Indem das Christentum zur Religion von Kaiser und Reich (dem ''Imperium sanctum'') wurde und Christus zum ''Kosmokrator'', der als eine Art himmlischer Kaiser gedacht wurde, musste es sich der Welt anpassen und erfuhr eine massive Transformation. Unter anderem wurde es notwendig, Gewalt theologisch zu begründen, da auch das nunmehr christliche Imperium weiterhin militärische Konflikte ausfocht. Besonders Augustinus entwickelte daher, aufbauend auf der alten römischen Vorstellung des ''[[bellum iustum]]'', eine theologische Rechtfertigung des Krieges. Neben dieser Entfernung vom altchristlichen Gebot der Nächstenliebe erregte vor allem die zunehmende Verweltlichung der Kleriker und der rasant wachsende Reichtum der Kirche vielfach Befremden und Widerspruch. Erst in den letzten Jahren wird in der Forschung zudem verstärkt darauf hingewiesen, dass es im 4. Jahrhundert durchaus noch keine klaren Vorstellungen davon gab, was genau „Christsein“ eigentlich ausmache – so sei jene Richtung, die den strikten Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums vertrat, zunächst nur eine unter vielen Strömungen gewesen, während es in der Praxis anfangs viele Menschen gab, die lediglich ''unter anderem'' Christ waren.<ref>Vgl. hierzu den Überblick bei [[Karen Piepenbrink]]: ''Antike und Christentum.'' Darmstadt 2007, S. 96ff.</ref>
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{{Hauptartikel|Religionen der Spätantike}}
 
{{Hauptartikel|Religionen der Spätantike}}
 
In der Spätantike gelang nicht nur dem Christentum der Durchbruch zur dominierenden Religion im römischen Reich, sondern auch neue Glaubensrichtungen kamen auf und bereits etablierte entwickelten sich weiter.<ref>Einführende Beiträge in Josef Lössl, Nicholas J. Baker-Brian (Hrsg.): ''A Companion to Religion in Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018.</ref>
 
In der Spätantike gelang nicht nur dem Christentum der Durchbruch zur dominierenden Religion im römischen Reich, sondern auch neue Glaubensrichtungen kamen auf und bereits etablierte entwickelten sich weiter.<ref>Einführende Beiträge in Josef Lössl, Nicholas J. Baker-Brian (Hrsg.): ''A Companion to Religion in Late Antiquity.'' Hoboken (NJ) 2018.</ref>
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[[Datei:ProbusCoin.jpg|miniatur|Münze des Kaisers [[Probus (Kaiser)|Probus]] (276–282) mit Sol Invictus auf der Quadriga]]
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[[Datei:Symmachorum.jpg|mini|Dieses Elfenbeindiptychon mit der Inschrift [[Quintus Aurelius Symmachus|SYMMACHORVM]] stellt um 390 n. Chr. eine Priesterin des [[Bacchus]] beim unblutigen Opfer dar.]]
      
Das „Heidentum“ (der Begriff ist problematisch, da polemisch und pauschal, in der Forschung spricht man daher oft von „paganen“ oder „traditionellen“ Kulten) blieb wenigstens bis ins späte 4. Jahrhundert eine lebendige Kraft, die noch Widerstand gegen die Christianisierung leistete. Im [[Streit um den Victoriaaltar]], den der römische Stadtpräfekt [[Quintus Aurelius Symmachus]] und Bischof [[Ambrosius von Mailand]] im Jahr 384 austrugen, kamen die gegensätzlichen Positionen von Christen und Heiden noch einmal symptomatisch zum Ausdruck.<ref>Jelle Wytzes: ''Der letzte Kampf des Heidentums in Rom.'' Leiden 1977.</ref> Für die christlichen Gelehrten waren die paganen Gottheiten Dämonen, die durch das Christentum entlarvt und überwunden worden waren und keine Toleranz verdienten. 391 wurde die Ausübung heidnischer Praktiken endgültig verboten, und um 400 war der Sieg des Christentums dann zwar unabwendbar, doch noch im 5. Jahrhundert hofften wohl manche pagane Intellektuelle auf eine Renaissance der vorchristlichen Religion.
 
Das „Heidentum“ (der Begriff ist problematisch, da polemisch und pauschal, in der Forschung spricht man daher oft von „paganen“ oder „traditionellen“ Kulten) blieb wenigstens bis ins späte 4. Jahrhundert eine lebendige Kraft, die noch Widerstand gegen die Christianisierung leistete. Im [[Streit um den Victoriaaltar]], den der römische Stadtpräfekt [[Quintus Aurelius Symmachus]] und Bischof [[Ambrosius von Mailand]] im Jahr 384 austrugen, kamen die gegensätzlichen Positionen von Christen und Heiden noch einmal symptomatisch zum Ausdruck.<ref>Jelle Wytzes: ''Der letzte Kampf des Heidentums in Rom.'' Leiden 1977.</ref> Für die christlichen Gelehrten waren die paganen Gottheiten Dämonen, die durch das Christentum entlarvt und überwunden worden waren und keine Toleranz verdienten. 391 wurde die Ausübung heidnischer Praktiken endgültig verboten, und um 400 war der Sieg des Christentums dann zwar unabwendbar, doch noch im 5. Jahrhundert hofften wohl manche pagane Intellektuelle auf eine Renaissance der vorchristlichen Religion.
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Vor Beginn der Spätantike war die  [[Gnosis]] eine nicht unwichtige religiöse Strömung mit vielschichtigem Ursprung, die sich in ihrem Zenit im 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. über den gesamten [[Mittelmeerraum]] verbreitet hatte.<ref>Vgl. [[Martin Ritter von Ostheim|Martin R. von Ostheim]]: ''Selbsterlösung durch Erkenntnis. Die Gnosis im 2. Jahrhundert n. Chr.'' Basel 2013, S.&nbsp;7 f.</ref> [[Frühchristentum]] und Gnosis entwickelten sich zunächst weitgehend unabhängig voneinander, bis es dann im ersten Viertel des 1. Jahrhunderts zu den ersten Berührungen kam.<ref>Udo Schnelle: ''Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr.'' Göttingen 2015, S.&nbsp;540–558.</ref> Es kam dann im 2. Jahrhundert zu einer partiellen Synthese zwischen dem Christentum und gnostischen Positionen.
 
Vor Beginn der Spätantike war die  [[Gnosis]] eine nicht unwichtige religiöse Strömung mit vielschichtigem Ursprung, die sich in ihrem Zenit im 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. über den gesamten [[Mittelmeerraum]] verbreitet hatte.<ref>Vgl. [[Martin Ritter von Ostheim|Martin R. von Ostheim]]: ''Selbsterlösung durch Erkenntnis. Die Gnosis im 2. Jahrhundert n. Chr.'' Basel 2013, S.&nbsp;7 f.</ref> [[Frühchristentum]] und Gnosis entwickelten sich zunächst weitgehend unabhängig voneinander, bis es dann im ersten Viertel des 1. Jahrhunderts zu den ersten Berührungen kam.<ref>Udo Schnelle: ''Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr.'' Göttingen 2015, S.&nbsp;540–558.</ref> Es kam dann im 2. Jahrhundert zu einer partiellen Synthese zwischen dem Christentum und gnostischen Positionen.
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[[Datei:Manicheans.jpg|miniatur|[[Manichäer]] aus einem Manuskript von [[Khocho]], [[Tarimbecken]].]]
   
Ein besonderes Phänomen der Spätantike stellt der [[Manichäismus]] dar.<ref>Manfred Hutter: ''Manichäismus.'' In: ''[[Reallexikon für Antike und Christentum]].'' Band 24. Stuttgart 2012, Sp. 6–48.</ref> Begründet wurde er im 3. Jahrhundert vom Perser [[Mani (Religionsstifter)|Mani]], der sich Aspekte verschiedener Religionen (wie des Christentums, aber auch des Zoroastrismus (s. u.) und des [[Buddhismus]]) bediente. Beim Manichäismus handelte es sich um eine dualistische Buchreligion (Gut und Böse, Licht und Dunkelheit gelten als in einen ewigen Kampf verwickelt), die sich bald zu einer einflussreichen Glaubensrichtung entwickelte und in Persien anfangs gefördert wurde. Der neue Glaube fand von Spanien bis [[Zentralasien]] Anhänger, die aber im Römischen Reich und in Persien teils Verfolgungen ausgesetzt waren. [[Augustinus]] hing dieser Religion an, bevor er zum Christentum konvertierte. Bald darauf wurde „Manichäer“ für christliche Theologen ein [[Synonym]] für „Ketzer“ und behielt diese Bedeutung bis ins Mittelalter.
 
Ein besonderes Phänomen der Spätantike stellt der [[Manichäismus]] dar.<ref>Manfred Hutter: ''Manichäismus.'' In: ''[[Reallexikon für Antike und Christentum]].'' Band 24. Stuttgart 2012, Sp. 6–48.</ref> Begründet wurde er im 3. Jahrhundert vom Perser [[Mani (Religionsstifter)|Mani]], der sich Aspekte verschiedener Religionen (wie des Christentums, aber auch des Zoroastrismus (s. u.) und des [[Buddhismus]]) bediente. Beim Manichäismus handelte es sich um eine dualistische Buchreligion (Gut und Böse, Licht und Dunkelheit gelten als in einen ewigen Kampf verwickelt), die sich bald zu einer einflussreichen Glaubensrichtung entwickelte und in Persien anfangs gefördert wurde. Der neue Glaube fand von Spanien bis [[Zentralasien]] Anhänger, die aber im Römischen Reich und in Persien teils Verfolgungen ausgesetzt waren. [[Augustinus]] hing dieser Religion an, bevor er zum Christentum konvertierte. Bald darauf wurde „Manichäer“ für christliche Theologen ein [[Synonym]] für „Ketzer“ und behielt diese Bedeutung bis ins Mittelalter.
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== Forschungsstand ==
 
== Forschungsstand ==
[[Datei:Aya sofya.jpg|miniatur|Eines der bekanntesten Bauwerke der Spätantike: die [[Hagia Sophia]] im heutigen [[Istanbul]] (errichtet ab 532 unter Justinian). Die [[Minarett]]e wurden erst nach der [[Belagerung von Konstantinopel (1453)|Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453]] hinzugefügt.]]
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Als problematisch galt die Erforschung der Spätantike lange, wie bereits angesprochen, schon aufgrund der relativ fließenden Grenze zum Mittelalter hin. In der älteren Forschung wurde die Auffassung vertreten, dass die Spätantike ein Zeitalter des moralischen und kulturellen Verfalls gewesen sei ([[Dekadenz]]theorie nach [[Edward Gibbon]]: ''[[Verfall und Untergang des Römischen Imperiums|Decline and Fall of the Roman Empire]]''; auch [[Voltaire]]: ''Essai sur les mœurs et l’esprit des nations''; Assoziation von ''spät'' mit ''Dahinwelken'', ''Verfall''). Diese Lehrmeinung war auch im 19. Jahrhundert vorherrschend. Noch [[Otto Seeck]] vertrat diesen Standpunkt in seinem berühmten Hauptwerk ''Geschichte des Untergangs der antiken Welt'' zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
 
Als problematisch galt die Erforschung der Spätantike lange, wie bereits angesprochen, schon aufgrund der relativ fließenden Grenze zum Mittelalter hin. In der älteren Forschung wurde die Auffassung vertreten, dass die Spätantike ein Zeitalter des moralischen und kulturellen Verfalls gewesen sei ([[Dekadenz]]theorie nach [[Edward Gibbon]]: ''[[Verfall und Untergang des Römischen Imperiums|Decline and Fall of the Roman Empire]]''; auch [[Voltaire]]: ''Essai sur les mœurs et l’esprit des nations''; Assoziation von ''spät'' mit ''Dahinwelken'', ''Verfall''). Diese Lehrmeinung war auch im 19. Jahrhundert vorherrschend. Noch [[Otto Seeck]] vertrat diesen Standpunkt in seinem berühmten Hauptwerk ''Geschichte des Untergangs der antiken Welt'' zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
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== Anmerkungen ==
 
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